© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/18 / 13. April 2018

Die Revolution predigen
Viele der auf ’68 folgenden Publikationen verschwanden wieder, einige wie die „taz“ sind geblieben
Karlheinz Weißmann

Es muß irgendwann 1978 gewesen sein, als ich in einem Göttinger Antiquariat – die Besitzerin war Kommunistin und warf die Carl-Schmitt-Ausgaben immer in die „Grabbelkiste“ – unfreiwillig Zeuge eines Gesprächs wurde, bei dem es um das aktuelle Großprojekt der linken Szene ging. Titel war Die Neue und Ziel, eine radikale Tageszeitung auf den Markt zu bringen und das „Meinungsmonopol“ der „Herrschenden“ zu brechen und „Gegenöffentlichkeit“ herzustellen. Was die Teilnehmer beunruhigte, war, daß sie noch kein Exemplar in Händen hielten – ich schon. Als jemand, der sich notorisch für abweichende Meinungen interessierte und immer wieder Exemplare aller möglichen linken Druckerzeugnisse anforderte, mußte mein Name in die Adressenliste derjenigen gerutscht sein, die eine erste Ausgabe der Neuen bekamen.

Verknüpfungen zwischen Medien und den Grünen

Wenn es sonst keinen Grund gegeben hätte, sich das mit dem Abonnement zu überlegen, dann die Langweiligkeit des Blattes, das jener Tendenz zuzurechnen war, die man als linkssozialistisch bezeichnete. Das heißt, die Initiatoren hofften, eine Basis in den Gewerkschaften zu finden oder irgendwann doch eine Partei zwischen SPD und DKP zustande zu bringen. Daraus wurde so wenig wie aus der „Neuen“, die nach ein paar Jahren auf wochenweises Erscheinen zurückging und dann eingestellt wurde. 

Das hatte auch mit dem Erfolg des Konkurrenzprojekts, der tageszeitung, kurz taz, zu tun, die fast zeitgleich auf den Markt gekommen war. Ein Erfolg, der sich angesichts der chaotischen Umstände ihrer Entstehung, der fragilen finanziellen Basis, der Dysfunktion aller Basisdemokratie (bis hin zu den Texteingriffen des „Säzzers“) und dem Mangel an Professionalität der Redakteure keineswegs von selbst verstand. Andererseits war die taz aber auch das, was die Lage der Linken forderte. Einer der Gründer, Michael Sontheimer, charakterisierte die Motivation leicht ironisch, aber treffend mit den Worten: „Da es offenbar zu mühsam war, die Revolution zu machen und die Chancen dafür in der wohlstandsgesättigten BRD auch nicht so gut standen, wollten wir wenigstens die Revolution predigen. Notfalls in jeder Kurzmeldung.“ 

Die Durchsetzung der taz als Leitorgan der Linken nach dem Zerflattern der Blütenträume von ’68 und dem „Deutschen Herbst“ hatte wesentlich damit zu tun, daß sie deren neue Hauptströmung repräsentierte: alternativ, pazifistisch, anarchisch bis anarchistisch, systemkritisch. Die Grenze zur Systemfeindschaft wurde in den ersten Jahren regelmäßig überschritten, die Haltung zur RAF war ausgesprochen seifig, und eindeutige Distanz zur Anwendung politischer Gewalt suchte man vergebens. Aber es war auch klar, daß man einen Ausweg aus der dogmatischen Verhärtung suchte, nur begrenztes Interesse an den Theoriedebatten hatte und es verstand, den ideologischen Schwerpunkt in Richtung auf die Ökologie zu verschieben. Daß sich der Aufstieg der Grünen zeitgleich mit der Etablierung der taz vollzog, war alles andere als ein Zufall, denn die ganze „Alternative Szene“ und die „Neuen sozialen Bewegungen“ rückten, wenn auch zögernd, ab von dem, was einmal die APO und dann die ML-Bewegung – ML für „Marxisten-Leninisten“ – und deren Umsturzphantasien bestimmt hatte.

Veränderung der gesamten Presselandschaft 

Wendete man den Blick zurück, dann wurde die Diskrepanz deutlich: Anfang der siebziger Jahre hatte es im Bundesgebiet etwa 350 linksradikale Organisationen mit gut einhunderttausend Mitgliedern gegeben, denen mehr als vierhundert Zeitungen und Zeitschriften zur Verfügung standen. Deren Spektrum reichte von Organen, die am Rande der Illegalität operierten (883) bis zu solchen, die man an jedem besser sortierten Kiosk kaufen konnte (konkret, Das da), von den hektographierten Mitteilungen des örtlichen AStA bis zu denen irgend-einer Landkommune oder Hausbeset­zergruppe, von den Veröffentlichungen für die Theoriebesessenen (Schwarzer Faden, Marxistische Blätter) bis zu den Stadtteilzeitungen, die sich eher für die Neueröffnung eines Bio-Ladens in der Nachbarschaft interessierten, von den ausgesprochenen Parteiblättern (dazu gehörte die UZ – Unsere Zeit der DKP genauso wie der Arbeiterkampf des sektiererischen Kommunistischen Bundes), bis zu den anspruchsvolleren Publikationen (Blätter für deutsche und internationale Politik), die versuchten ein breiteres Spektrum anzusprechen. 

Aber vieles davon versickerte im Lauf der Zeit, verlor die Unterstützung des Milieus, ging an Dilettantismus zugrunde. Dagegen gab es aber auch Entwicklungen in Richtung auf mehr Professionalität – so im Fall des Sponti-Blatts Pflasterstrand, für das Daniel Cohn-Bendit, der Veteran des „Pariser Mai“, verantwortlich zeichnete – , oder die sukzessive Lösung von allzu strikten Fixierungen, etwa bei der traditionsreichen anarchistischen Befreiung oder der Kommune, die aber erst 1983 aus den Organen des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW), der stärksten maoistischen Gruppierung, entstand.

Während der KBW Anfang der achtziger Jahre Hebammendienst für die Entstehung der Grünen leistete, sorgte die Kommune für eine Neubestimmung des Kurses in Sachen Weltanschauung. Denn die Lage war eben nicht länger von der Konfrontation des linken Lagers mit dem Establishment geprägt, das seine Positionen zäh verteidigte, sondern von der Kapitulation der Bürgerlichen und dem Eindringen des progressiven Zeitgeistes in alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Der Chefredakteur der Kommune, Joscha Schmierer, verkörperte in seiner Person zwar so etwas wie die Kontinuität der Bewegung: weiland SDS-„Häuptling“ in Heidelberg, dann Erster Sekretär des ZK des KBW und jetzt einer, der bei den Grünen Strippen zog. Es mag sein, daß Leute wie Schmierer anfangs daran dachten, die Grünen zu unterwandern, aber faktisch begriffen sie sehr schnell, daß sich eine ganz unerwartete Chance bot, Einfluß auf die Mitte zu gewinnen, die empfänglich geworden war für eine „Lightversion“ dessen, was man ’68 gewollt hatte.

Nach Bildung der ersten rot-grünen Koalition im Bund würde Schmierer als Berater von Joschka Fischer ins Außenministerium gehen. So weit sind nicht viele gekommen, aber Schmierers Häutung war auch nicht untypisch für die Entwicklung der linken Publizistik. 

Die Zahl der Unerbittlichen schrumpfte, die Zahl derjenigen wuchs, die ihren Frieden mit den Verhältnissen machten. Dabei spielten biographische Gründe eine Rolle, selbstverständlich auch Korruption, aber vor allem die Einsicht darein, daß die Entwicklung einer modernen, amerikanisierten, hedonistischen Gesellschaft den eigenen Zielvorstellungen auf unerwartete Weise entgegengekommen war und man nur noch offene Türen einrennen mußte.