© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/18 / 27. April 2018

Griff nach der Kasse
Macrons Träume und Berlins Geld: Plädoyer für eine ehrliche Debatte zur Zukunft der EU
Joachim Starbatty

Tritt Emmanuel Macron ans Rednerpult – wie jüngst am 17. April im Europäischen Parlament (EP) –, wirkt der französische Präsident wie ein Konfirmand: schmächtige Gestalt, eng geschnittener Anzug. Wenn er zu reden beginnt, sehen wir einen anderen Macron. Eine kraftvolle Stimme mit einer klaren Botschaft: Die EU könne wirkungsvoll den berechtigten Anliegen und Sorgen entsprechen, wenn, ja wenn nur die Nationalstaaten Souveränität abtreten. Kommissionschef Jean-Claude Juncker ist erfreut: Frankreich ist wieder da. Macrons Botschaft hat auch den Vorsitzenden der großen Fraktionen im Europäischen Parlament gefallen – den Christdemokraten (EVP), Sozialdemokraten (S&D) und Liberalen (ALDE). Ein Souveränitätszuwachs der EU stärkt auch die Rolle des zweitrangigen EP. Mehr Europa heißt mehr Zentralisierung, mehr Kompetenzen für die Kommission und mehr Einfluß für das EP.

Macron behauptet, der Souveränitätsverlust schwäche nicht die Mitgliedstaaten der EU. Im Gegenteil würde die EU die aus dem Souveränitätszuwachs gewonnene Macht im Sinne ihrer Mitglieder verwenden. Auch der frühere bundesdeutsche Finanzminister, Wolfgang Schäuble, hat vor dem Bundesverfassungsgericht so argumentiert: Der Souveränitätsverlust im Zuge der Schaffung der Währungsunion – Verzicht auf die bewährte Stabilitätspolitik der Deutschen Bundesbank und auf bewegliche Wechselkurse zum Ausgleich unterschiedlicher Wettbewerbsentwicklungen – und der Bruch der No-Bailout-Klausel – weder die Gemeinschaft noch ein Mitgliedstaat treten für die finanziellen Verbindlichkeiten eines anderen Mitgliedstaates ein (Artikel 125 AEUV/Lissabon-Vertrag) – seien gerechtfertigt, weil die gemeinschaftlichen Institutionen sich im Sinne nationaler Interessen einsetzen würden. Da die EU im internationalen Konzert eine gewichtigere Stimme als die einzelnen Nationalstaaten habe, würde ihnen der Souveränitätsverzicht in Wirklichkeit mehr internationalen Einfluß verschaffen. Das ist dialektische Kunst: den Verlust von nationaler Souveränität als Souveränitätsgewinn zu verkaufen.

Macron will vor allem mehr Souveränität in der Eurozone und fordert einen gemeinsamen Finanzminister und einen eigenen Haushalt. Da dieser nicht unmittelbar auf die Haushalte der jeweiligen Mitgliedstaaten einwirken kann, wird er hauptsächlich als Geldverteiler auftreten. Die zusätzlichen Finanzmittel sollen „asymmetrische Schocks“ ohne Zeitverzug und wirkungsvoll ausgleichen. Da so die Währungsunion zukunftssicher gemacht werde, sei auch dieser Machtzuwachs auf zentraler Ebene vorteilhaft für die Mitgliedsländer.

Macrons Europavision ist an dem Vermächtnis der Französischen Revolution zu messen: Liberté, Égalité, Fraternité. Die Kommission sieht es derzeit als ihr vorrangiges Ziel an, die Spaltung der Eurozone in Nord- und Südländer zu überwinden. Damit gesteht sie freilich ein, daß der Euro die Währungsunion spaltet. Er liegt wie ein Würgeeisen um den Hals der hochverschuldeten Mitgliedstaaten, die, von dem Zinsgeschenk nach Beitritt zur Währungsunion verführt, private und öffentliche Schuldenberge aufgetürmt und über großzügige Lohnabschlüsse ihre internationale Konkurrenzfähigkeit verloren haben. Sie büßen nun dafür mit Arbeitslosigkeit und Lohndruck. Sie werden nun gezwungen, das Gegenteil von dem zu tun, wozu sie sich vorher haben verleiten lassen.

Das gilt insbesondere für Griechenland. Es muß von anderen Staaten verschriebene Sanierungsprogramme umsetzen, wenngleich es diese großenteils nach seinen eigenen Vorstellungen befolgt oder auch nicht. Der französische Präsident frage die Griechen, ob sie sich nach dem Beitritt zur Währungsunion freier fühlten – Egalité? Sind die Griechen Gleiche unter Gleichen? Abgeordnete aus der südlichen Peripherie der Eurozone brandmarken die ungleichen Auswirkungen der Währungsunion. Auf das Wohlwollen der reicheren Nordstaaten angewiesen zu sein und sich Vorhaltungen und Ermahnungen anhören zu müssen ist das Gegenteil von Egalité. Fühlt sich eine Nation, deren Jugend auswandert, weil sie zu Hause keine Arbeit und kein Auskommen findet, brüderlich behandelt? Die Eurozone ist das Gegenteil zum Vermächtnis der Französischen Revolution. Macron weiß das gut, hat er doch die Auswirkungen der bisherigen Rettungspolitik für Griechenland als Gegenteil dessen gegeißelt, was für Griechenland notwendig sei.

Und wie stellt sich der in Aussicht gestellte Souveränitätsgewinn für die deutschen Sparer dar? Deren Geldvermögen ist in den letzten sieben Jahren um unglaubliche 447 Milliarden Euro geschrumpft, weil EZB-Präsident Mario Draghi mit Ankäufen von Staatsanleihen und Nullzinspolitik die Eurozone zusammenhalten will. Wolfgang Schäuble ist stolz auf seine „schwarze Null“. Die Sparer bluten dafür. Niemand kann exakt sagen, was der endgültige Marsch in die Haftungsgemeinschaft den deutschen Steuerzahler kostet. Aber es wird teurer, als wir alle ahnen. Und es geht über unsere Köpfe hinweg.

Und das soll ein Souveränitätszuwachs auf nationaler Ebene sein? Ein Machtgewinn winkt nur für Juncker und für Pierre Moscovici und Valdis Dombrovskis, seine zuständigen Kommissare für Währung und Finanzmärkte. In deren Märchenstunden im Parlament lesen sie vorbereitete Texte zur bevorstehenden Rettung Griechenlands und zur Sanierung der Eurozone vor. Dabei sind sie entweder blind für die Realität oder sie machen den Abgeordneten etwas vor. Und das soll ein Souveränitätsgewinn sein, wenn unser Schicksal in den Händen von Leuten liegt, die entweder nicht sachkundig oder nicht ehrlich sind?






Prof. Dr. Joachim Starbatty ist Ökonom und Mitglied des EU-Parlaments. 2015 trat er aus der AfD aus und schloß sich der neuen Allianz für Fortschritt und Aufbruch, nun Liberal-Konservative Reformer (LKR), an.