© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/18 / 27. April 2018

Sicherheit rangiert vor Willkommenskultur
Asyl I: Wie der Fall des Attentäters Anis Amri belegt auch die jüngst aufgedeckte Korruption in Bremen notorische Schwachstellen im System
Christian Vollradt

Daß Asylbewerber in Bremen bessere Karten für eine Anerkennung haben als in anderen Bundesländern, ist statistisch schon lange belegt. Die Schutzquote für Flüchtlinge aus dem Irak beispielsweise ist im norddeutschen Stadtstaat mit 96,4 Prozent fast doppelt so hoch wie in Berlin mit 50,3 Prozent. Warum das so ist, blieb lange unklar. Es gebe eben Ermessensspielräume, lautete eine These. Nun kommt eine neue Erklärung hinzu: Korruption.

Die Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) soll im großen Stile Anträge ohne Prüfung genehmigt haben. Zudem wurde in einem Fall eine in Niedersachsen angeordnete Rückführung laut Dublin-Übereinkommen in ein Abschiebeverbot geändert. Insgesamt sollen etwa 2.000 Fälle aus den Jahren 2013 bis 2016 wegen unzulässiger Asylgewährung auf den Prüfstand. Die meisten betreffen Leute, die angaben, Jesiden zu sein. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die frühere Leiterin der Bremer Bamf-Außenstelle sowie fünf weitere Beschuldigte, darunter Rechtsanwälte und Dolmetscher, wegen Bestechlichkeit und „bandenmäßiger Verleitung zur mißbräuchlichen Asylantragstellung“.

Darüber hinaus hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) angekündigt, den Korruptionsverdacht im Bamf mittels einer unabhängigen Untersuchung genauestens prüfen zu lassen. „Ich möchte wissen, ob es hier Systemmängel gibt, die solche Dinge ermöglichen.“

Erhellend könnte in diesem Zusammenhang auch sein, was am Donnerstag vergangener Woche mehrere Experten im 1. Untersuchungsausschuß („Breitscheidplatz/Anis Amri“) des Bundestags zum Thema Asyl- und Aufenthaltsrecht vortrugen. Für die „eine oder andere offene Flanke“ in der inneren Sicherheit machte der Konstanzer Völkerrechtler Marcel Kau auch den deutschen Föderalismus verantwortlich. Auch sein emeritierter Kollege Kay Hailbronner gab zu bedenken, daß in der Vergangenheit das Verfassungsprinzip der Bundestreue in der Zusammenarbeit der Länder mit dem Bund verletzt wurde. Der Rechtswissenschaftler aus Konstanz plädierte für verbindliche Standards im Bedrohungsmanagement. Hier gebe es zu große Unterschiede zwischen den Ländern, daher sei eine Kompetenzerweiterung durch den Bund geboten. Positiv vermerkte Hailbronner, daß in der Folge des Falles Amri neue Instrumente zur Überwachung, zur Identitätsfeststellung und zum Datenaustausch geschaffen wurden.

Von der Warte des Praktikers in der Verwaltung her sprach der von der AfD benannte Experte Dieter Amann, der viele Jahre als Verwaltungsbeamter in Ausländerbehörden in Baden-Württemberg gearbeitet hat. Verantwortlich für die Mißstände macht er vor allem Personalmangel und fehlende politische Unterstützung. Längst hätten die Zuständigen an der Basis den Überblick im komplizierten und laufenden Änderungen unterworfenen Ausländerrecht verloren. Daß ablehnende Asylbescheide fast immer in erfolgreichen Widerspruchsverfahren und Klagen endeten, erkläre auch den Trend zu positiven Entscheidungen. Die verwirrenden gesetzlichen Bestimmungen ließen seiner Meinung nach die zahlreichen Fehler nur allzu verständlich erscheinen. Es sei unwahrscheinlich, so Amann, daß es in deutschen Großstädten noch funktionierende Ausländerbehörden gebe. Für viele Migranten sei die Einreise nach und der Verbleib in Deutschland das höchste Ziel, für das sie sich sogar in Lebensgefahr brächten. „Es ist lächerlich, dies mit Verwaltungsakten verhindern zu wollen“, meinte Amann.

Daß das Ausländerrecht in Deutschland kaum noch zu überblicken sei, bemerkten auch andere Teilnehmer der Expertenrunde. Manchmal komme man gar nicht mehr mit der Abfassung juristischer Kommentare hinterher, weil sich bei der Drucklegung die Gesetzeslage bereits wieder verändere. Vom Gesetzgeber – also den Abgeordneten – wünschen sich manche Juristen daher etwas mehr „Ruhe und Gelassenheit“ in puncto Novellierungen. Eine einheitliche Rechtsprechung sei durch die zahlreichen Änderungen – allein 30 seien es im Aufenthaltsgesetz zwischen 2011 und heute – teilweise nicht mehr möglich, bemängelte Thomas Oberhäuser, verantwortlich für die Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Deutschen Anwaltverein. Er widersprach dem Eindruck, diese Änderungen durch die Legislative beruhten auf Vorgaben des Völker- oder Europarechts. Überwiegend seien sie auf nationaler Ebene erfolgt, führte er aus.

Daß der spätere Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri trotz seiner Straftaten mit mehreren Aliasnamen seine wahre Identität verschleiern und sich so dem Zugriff der Behörden entziehen konnte, sei kein gesetzgeberisches, sondern ein technisches Problem gewesen, meinte in der Anhörung der Berliner Fachanwalt für Migrationsrecht Rolf Stahlmann. Er sah auch kein Problem in den gravierenden Unterschieden zwischen den Bundesländern hinsichtlich der Asylentscheidungem. Diese Unterschiede in der Anwendung des Rechts gingen seiner Meinung nach nicht über den gestzlichen Ermessensspielraum hinaus.

„Ausländerpolizei              ist durchaus sinnvoll“

Anders als etwa der Asylrechtsexperte Hailbronner sprach sich Hans-Eckhard Sommer, zuständig für Auslanderrecht im bayerischen Innenministerium, ausdrücklich gegen eine vermehrte Auslagerung von Zuständigkeiten an den Bund aus. Die Vergangenheit habe gezeigt, daß gerade in den Behörden des Bundes – siehe die Vorfälle im Bremer Bamf – die gravierendsten Fehler gemacht worden seien. Sommer machte deutlich, daß das Ausländerrecht ein Sicherheitsgesetz sei. „Dies ist in manchen Ländern aus dem Blick geraten, die es zu einem Integrations- oder Willkommensgesetz umgedeutet hätten“, kritisierte er. Deswegen sollten seiner Meinung auch die Innen- und nicht die Familienministerien zuständig bleiben. „Die früher übliche Bezeichnung Ausländerpolizei ist durchaus sinnvoll“, so Sommer. 

Innenminister Seehofer will unterdessen eine Kommission mit der stichprobenartigen Untersuchung früherer Asylentscheidungen beauftragen. Ein Zwischenbericht darüber soll bis zum Sommer dem Bundestag vorgelegt werden, fordert die FDP-Opposition.