© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/18 / 27. April 2018

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Polemik statt Plebiszite
Jörg Kürschner

Wir wollen mehr Demokratie wagen“, versprach Willy Brandt in seiner Regierungserklärung 1969. Mit dieser Botschaft wollte der erste SPD-Bundeskanzler der Nachkriegszeit ein Zeichen des Aufbruchs setzen, in bewußter Abgrenzung zu zwanzig Jahren CDU-Dauerherrschaft. Die deutsche Sozialdemokratie war allerdings nicht so aufrührerisch, daß sie auch das Wagnis von mehr direkter Demokratie eingegangen wäre.  

Mit dem Einzug der Grünen Anfang der achtziger Jahre stand die direkte Demokratie erneut auf der Tagesordnung. Doch alle Anläufe blieben erfolglos, scheiterten stets an CDU und CSU, ohne die eine Änderung des Grundgesetzes wegen der erforderlichen Zweidrittelmehrheit nicht möglich war. Bis heute ist die Ökopartei ihren basisdemokratischen Vorstellungen treu geblieben. „Wir wollen Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide in die Verfassung einführen“, heißt im Programm zur Bundestagswahl 2017.

Ein Schlüsselthema auch für die neue politische Konkurrenz AfD, die in der vergangenen Woche im Bundestag einen Antrag auf Einsetzung einer Enquetekommission eingebracht hat. Der AfD-Abgeordnete Jochen Haug hatte dabei auf eine kurze Passage des Koalitionsvertrags verwiesen. Darin kündigen Union und SPD die Einberufung einer Expertenkommission an, die „weitere Elemente der Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie“ prüfen soll. Für die AfD seien drei Punkte wichtig, so der  Rechtsanwalt, nämlich ein Volksentscheid bei der Abgabe nationaler Souveränität an höhere Ebenen, ein fakultatives Veto der Bürger bei vom Bundestag beschlossenen Gesetzen sowie ein Recht der Bürger auf Gesetzesinitiative auf Bundesebene. Wer gedacht hatte, das Parlament würde die Gelegenheit zu einer ernsthaften Debatte über Elemente einer direkten Demokratie nutzen, wurde enttäuscht. Polemik und Anfeindungen prägten die Aussprache, nur die FDP war um Sachlichkeit bemüht. Dem Linken-Parlamentarier Friedrich Straetmanns ging es um die Steuerpflicht von AfD-Fraktionschefin Alice Weidel, die Grünen-Geschäftsführerin Britta Haßelmann unterstellte der AfD, sie wolle in der Kommission gegen Menschen anderer Herkunft, Lesben, Schwule, Obdachlose und Andersdenkende hetzen. Im übrigen sei der Antrag unvollständig und „dahingefluppt“. Der erläuternde Hinweis von AfD-Geschäftsführer Bernd Baumann, im Rahmen der Enquetekommission solle zunächst fraktionsübergreifend ausgelotet werden, ob es Gemeinsamkeiten gebe, verpuffte. „Wir brauchen keine aufgeblähte Enquetekommission, die viel Geld kostet“, befand der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor, eine Diskussion im Innenausschuß reiche aus. Für den SPD-Abgeordneten Lars Castellucci war sofort die „antidemokratische Haltung“ des AfD-Antrags klar.

Apropos antidemokratische Haltung. Nach der hitzigen Debatte kühlte die Bundestagsmehrheit ihr Mütchen an der AfD auf ihre Weise. Bei der Wahl zu drei Gremien, die die Regierung kontrollieren sollen, ließ sie alle fünf Abgeordneten der größten Oppositionsfraktion durchfallen.