© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/18 / 27. April 2018

Hilfe zur Selbsthilfe
Vielfältiges Portfolio: Die UN-Flüchtlingsorganisation IOM koordiniert weltweite Migrationsbewegungen
Marc Zoellner

Wenn Smart Akawa auf sein funkelndes rotes Trike klopft, wirkt sein Lächeln geradezu ansteckend. Drei dieser Fahrzeuge habe er bereits anschaffen können, erzählt der Mittzwanziger stolz. Und ein Ende des Wachstums sei lang noch nicht in Sicht: „Wir werden stärker“, lacht Smart beim Interview in seinem Büro im Hafenviertel von Freetown, der Hauptstadt des bettelarmen westafrikanischen Sierra Leone. „Ich möchte dieses Geschäft wachsen sehen, mehr als alles andere“, fügt er hinzu. „Denn ich möchte Arbeitsplätze für die junge Generation hier in Sierra Leone schaffen.“ Von Arbeitslosigkeit war auch Smart einst bedroht, trotz seines abgeschlossenen Studiums in Finanzwissenschaften an der hiesigen Universität. Allein unter den Fünfzehn- bis Fünfunddreißigjährigen der Bevölkerung Sierra Leones, berichtet das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) für 2017, seien über 70 Prozent unterbeschäftigt; ganze 800.000 Jugendliche der sieben Millionen Einwohner zählenden Nation suchten derzeit nach einem Job.

Die dramatische Situation auf dem Arbeitsmarkt veranlaßte auch Smart vor wenigen Jahren auszuwandern – erst nach Ghana, wo er sich vergeblich um ein legales Visum für die Emigration nach Deutschland beworben hatte. Später quer durch die Wüste Westafrikas, als er Menschenschmugglern seine Ersparnisse von gut 2.000 Euro aushändigte. „In Ghana hab ich die Nachrichten von all den Leuten gesehen, die das Mittelmeer überqueren“, erzählt Smart rückblickend und warnt aus eigener Erfahrung: „Dieser Weg ist tödlich. Es gibt kein Wasser, Diebe lauern dir auf. Viele Menschen sterben. Ich sagte zu mir, daß mein Leben kostbarer sei als Italien.“ Beinahe dreitausend Kilometer währte Smarts Odyssee quer durch Westafrika: über Straßen ohne Asphalt, über staubige Pisten, später querfeldein durch die glühendheiße Wüste des Niger. Dort schließlich, an der Grenze zu Libyen, lasen Uno-Mitarbeiter den erschöpften Mann auf, um ihn in eines der  Übergangslager der IOM zu überführen: der Internationalen Organisation für Migration, deren Kerngeschäft die Handhabe von Schicksalen wie jenem Smart Akawas ist.  

Durchquerung der Sahara kostet viele das Leben

„An diesem Samstag fand die 63. Mission zur Suche und Rettung von Migranten rund um Dirkou statt“, berichtet die nigerische Regionalabteilung der IOM aus der Hauptstadt des nordostnigerischen Departements Bilma, welches zu den bevorzugten Rückzugsgebieten und Schmuggelrouten von Schleusern, Drogenhändlern und Terroristen gehört. „Dieses Wochenende wurden 25 Migranten bei dieser Mission gerettet.“ Es sind Tropfen auf den heißen Stein. Dennoch gelang es der IOM seit ihrer Niederlassung im Niger im Oktober 2016 über 6.000 Menschen aus der Wüste zu retten, sie medizinisch zu versorgen und auf die Rückkehr in ihre Heimat vorzubereiten. Ohne die IOM hätten viele die Strapazen mit dem Leben bezahlt. Die Durchquerung der Sahara ist nicht weniger gefährlich als jene des Mittelmeeres.

Unter den Nachwehen des Zweiten Weltkriegs 1951 im schweizerischen Genf gegründet, erfuhr das Aufgabengebiet der IOM im Lauf der Geschichte mehrfach grundlegende Veränderungen. Bestand ihr eigentlicher Auftrag in den 1950ern in der Wiederansiedelung von gut elf Millionen Heimatvertriebenen, fiel der IOM später die Eingliederung von Flüchtlingen aus dem Ostblock zu; speziell nach den niedergeschlagenen Aufständen in Ungarn und der Tschechoslowakei. Von 2002 an leitete die IOM die australischen Flüchtlingslager auf der Pazifikinsel Nauru für illegal eingereiste Afghanen. Nicht zuletzt für diese Tätigkeit sah sich die seit 2016 den Vereinten Nationen zugehörige Hilfsorganisation der Kritik von Open-Border-Aktivisten ausgesetzt, im Auftrag ihrer Geberländer Migration zu verhindern anstelle zu kanalisieren.

Seit 2006 unterhält die IOM in Libyen eine Mission mit gänzlich neuen Herausforderungen: „Libyen beherbergt derzeit 700.000 Migranten aus 35 Staaten“, erklärt der Landeskoordinator der Organisation, Othman Belbeisi. Hinzu kämen noch einmal rund 165.000 durch den anhaltenden Bürgerkrieg intern Vertriebene. „Libyen war immer schon beides; sowohl das Ziel als auch ein Durchgangsland für Migranten“, berichtet Belbeisi im Interview mit dem staatlichen US-Auslandssender Voice of America. Dementsprechend vielfältig zeigt sich das Portfolio der IOM in Nordafrika: Zum Tagesgeschäft des Uno-Teams gehört die Versorgung der Binnenflüchtlinge mit Nahrung und Medizin ebenso wie die Plazierung von Werbefilmen in den TV-Kanälen der Anrainerstaaten, welche vor der Irrfahrt durch die Sahara warnen sollen, sowie das Aufzeigen legaler Einwanderungswege nach Europa und Nordafrika, den Wunschzielen der meisten afrikanischen Flüchtlinge.

Hauptaugenmerk allerdings bleiben die von der libyschen Küstenwache an der illegalen Ausreise gehinderten und anschließend inhaftierten Migranten. „Leider sehen wir immer nur die Flüchtlinge weggesperrt“, klagt Belbeisi. „Von den Schmugglern laufen die meisten jedoch frei umher.“ Doch hoffen läßt die im November vergangenen Jahres von der Europäischen und der Afrikanischen Union sowie den Vereinten Nationen beschlossene finanzielle Unterstützung der libyschen Filiale der IOM. „Seit der Ausweitung unserer Einsätze fiel die Anzahl der Migranten in offiziellen Internierungslagern von ungefähr 20.000 Menschen im Oktober 2017 auf heutzutage 4.000 Menschen“, hebt Belbeisi positiv hervor. Und seit Januar 2017 habe die IOM kontinentweit über 23.000 afrikanische Flüchtlinge in ihre Heimatländer repatriieren können.

Smart Akawa war einer von ihnen. Heute ist der junge Finanzökonom Mitbetreiber der Firma „Youth Aid Waste Management“ – Freetowns erstem Recyclingunternehmen. „Wir kommen zu den Häusern der Leute, sammeln ihren Müll ein und fahren ihn zur Entsorgung“, freut sich Smart. Und verweist stolz darauf, bereits fünf weitere Jugendliche aus den sozialen Brennpunkten der Hauptstadt Vollzeit eingestellt haben zu können – junge Männer, bei denen nun auch kein Grund zur gefahrvollen Reise durch die Sahara und über das Mittelmeer besteht.