© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/18 / 27. April 2018

Die Zweifel mehren sich
Syrien: Der mutmaßliche Chemiewaffen-Angriff in Duma ist weiterhin ungeklärt / OPCW-Inspekteure beginnen ihre Untersuchung
Josef Hämmerling

Das Tauziehen um die Täterschaft des Chemiewaffen-Angriffs auf die Bevölkerung im syrischen Duma am 7. April dauert weiter an. Während der Westen – allen voran Frankreich, die USA, Großbritannien und Deutschland – die Schuld auch weiterhin der syrischen Armee gibt, sieht die Beweislage in Wirklichkeit sehr dürftig aus. Vielmehr mehren sich die Stimmen, die von einer für die westlichen Medien inszenierten Show sprechen. So hat etwa die Syrian Arab News Agency (SANA) ein Fernsehteam in das Krankenhaus geschickt, in dem die syrische Zivilschutz-Organistion Weißhelme die Bilder von Opfern eines angeblichen Giftgas-Angriffs der syrischen Armee aufgenommen hatte. Die Weißhelme wurden 2012 mit finanzieller Unterstützung Großbritanniens gegründet. Bis 2016 erhielten sie alleine aus dem Inselreich 32 Millionen Pfund. Weitere nicht unerhebliche Finanzmittel kommen auch aus den USA und Deutschland.

Syrischer Arzt widerspricht westlichen Darstellungen

Nach Angaben des am 7. April in der Notaufnahme des Duma-Hospitals tätigen Arztes Bara Badran gab es an diesem Tag Bombenangriffe auf Terroristen der Organisation Tafkiri, die sich unter anderem auch in Wohnhäusern verschanzt hatten. Daraufhin seien mehrere zivile Opfer mit Rauchvergiftungen ins Krankenhaus eingeliefert und von ihm und den anderen anwesenden Ärzten mit Asthmamitteln behandelt worden. Binnen zwei Stunden seien alle dieser Personen wieder auf dem Weg der Besserung gewesen. Plötzlich stürmten, so Badran weiter, Unbekannte ins Krankenhaus, schrien immer wieder „Giftgas-Angriff“ und sorgten für ein Chaos. Gleichzeitig hätten sie sich vor allem Frauen und Kinder geschnappt, sie mit Wasser eingesprüht und die „chemischen Rückstände“ abgewaschen.

 Dr. Badran erklärte nachdrücklich, in den ganzen sieben Jahren, in denen er im Duma-Hospital arbeite, habe es nicht einen einzigen Fall chemischer Vergiftung gegeben, auch nicht am 7. April. Rußland wirft dem Westen indes vor, das Ganze inszeniert zu haben, um einen Grund vorlegen zu können, militärisch gegen die Regierung des Landes und ihren Präsidenten Baschar al-Assad vorzugehen. In dem mittlerweile sieben Jahre dauernden Konflikt war es den vom Westen unterstützten Aufständischen nicht gelungen, Assad zu stürzen. Nach anfänglichen Problemen gelang es der syrischen Armee, verlorene Gebiete zurückzuerobern, so daß heute etwa 98 Prozent des Landes wieder unter ihrer Kontrolle stehen. Zu den sogenannten Widerstandsgruppen gehören auch mehrere selbst vom Westen als Terroristen eingestufte Organisationen, wie Al Qaida, Al Nusra und der IS.

Rußlands Außenminister Sergej Lawrow erklärte, in den zwei Wochen vor dem 7. April habe es keinerlei Kämpfe in Duma gegeben, so daß es überhaupt keine Notwendigkeit für Bombardierungen dieses Gebiets gegeben habe. Auch wunderte er sich darüber, daß der Film der Weißhelme über angebliche Giftgas-Opfer unmittelbar nach dem angeblichen Angriff veröffentlicht wurde. Weiterhin gebe es keinen Grund, warum die Experten der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) nicht eher nach Duma reisten, obwohl sowohl die syrische als auch die russische Regierung den OPCW-Experten Schutz und Transport garantierten. 

Rußland wirft dem Westen laut einem Bericht der russischen Zeitung Nesawissimaja Gaseta vor, die Bombardierung angeblicher Chemiewaffenlager und -labore Syiens abgewartet zu haben, ehe die OPCW-Experten nach Duma geschickt wurden. Denn nun sei es Assad nahezu unmöglich, den Beweis zu führen, nicht über Chemiewaffen zu verfügen, schließlich sei alles zerstört. 

Westliche Diplomaten hingegen machten die syrische Führung für die Verzögerung der Untersuchung verantwortlich. Allerdings versicherte Rußlands Ständiger Vertreter bei der OPCW, Alexander Schulgin, in einem Interview mit dem Fernsehsender NTW, einen jungen Syrer zu haben, der in einem Video der Weißhelme über den angeblichen Giftgas-Angriff zu sehen ist. Schulgin zufolge werde dieser Junge bei der OPCW aussagen und bezeugen, daß der Angriff nicht stattgefunden habe und alles eine Provokation gewesen sei.

Während die Bundesregierung noch immer den Angriff der USA, Großbritanniens und Frankreichs auf Syrien unterstützt und für „erforderlich und angemessen“ betrachtet, sieht der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags dies anders. In der am 19. April veröffentlichten Publikation „Völkerrechtliche Implikationen des amerikanisch-britisch-französischen Militärschlags vom 14. April 2018 gegen Chemiewaffeneinrichtungen in Syrien“ wird dieser als „völkerrechtswidrig“ bezeichnet: „Der Einsatz militärischer Gewalt gegen einen Staat, um die Verletzung einer internationalen Konvention durch diesen Staat zu ahnden, stellt einen Verstoß gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot (Art. 2 Nr. 4 VN-Charta) dar.

Dies bestätigen wichtige Judikate und Beschlüsse internationaler Institutionen.“ Und weiter: „Die völkerrechtliche Literatur … hat (sic) den jüngsten Militärschlag der Alliierten gegen Syrien einhellig als völkerrechtswidrig qualifiziert.“ Um so mehr falle „in diesem Zusammenhang ins Gewicht, daß im Falle der alliierten Militärschläge vom 14. April 2018 die Ergebnisse der OPCW-Untersuchungen in Syrien nicht einmal abgewartet wurden.“ Der Wissenschaftliche Dienst kritisierte darüber hinaus, daß „die Frage nach der völkerrechtlichen Legalität der Militäroperation zugunsten der politisch-moralischen Legitimität des Handelns argumentativ in den Hintergrund tritt.“