© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/18 / 27. April 2018

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Werkstattbesuch im Berliner Museum für Fotografie. Anlaß ist die Präsentation des Nachlasses von Leni Riefenstahl, genauer: „ein Schulterblick beim ersten Durchsehen einzelner Objekte“, wie es in der Einladung heißt. Insgesamt sind es rund 700 Umzugskartons, die die Stiftung Preußischer Kulturbesitz von Riefenstahls ehemaliger Sekretärin Gisela Jahn als Schenkung erhalten hat. Sie wurden Ende vorigen Jahres innerhalb einer Woche von Riefenstahls Wohnhaus in Pöcking am Starnberger See nach Berlin verfrachtet. Es sei der Wunsch der Künstlerin gewesen, den Nachlaß in ihrer Geburtsstadt aufzubewahren. Er besteht aus umfangreichen Fotografie- und Filmbeständen, Drehbüchern, Manuskripten, Briefen, Tageskalendern aus der Nachkriegszeit, Akten und Dokumenten, Presseausschnitten, Büchern sowie einigen Kleidungsstücken, darunter die Taucheranzüge, die sie für ihre Unterwasserfilme trug. Von dieser Vielfalt des Materials vermittelte nun Museumsleiter Ludger Derenthal vergangenen Donnerstag vor knapp zwanzig anwesenden Pressevertretern einen kleinen Eindruck. Nachdem es seit Riefenstahls Tod – sie starb 2003 im Alter von 101 Jahren – ziemlich still um sie geworden sei, so Derenthal, habe das mediale Interesse jetzt wieder zugenommen. Woran er das festmache, fragt eine Journalistin. „Na, Sie sind doch alle hier, oder?“


Publizistik zu Leni Riefenstahl kommt hierzulande ohne das Adjektiv „umstritten“ nicht aus. In der Pressemitteilung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zur Nachlaß-Schenkung steht es gleich im ersten Satz: „... einer der bedeutendsten, aber auch umstrittensten Künstlerin der deutschen Film- und Fotogeschichte.“ Entsprechend groß ist das Interesse der Journalisten auch bei diesem Werkstattbesuch an Objekten, die Riefenstahls Wirken während der NS-Zeit näher beleuchten könnten, zum Beispiel an Korrespondenz mit Hitler oder Goebbels. In den von Ludger Derenthal präsentierten zwei weißen Aktenordnern mit der Aufschrift „Besondere Briefe“, unterteilt in „A–G“ und „H–Z“, findet sich jedoch nichts. Ob denn noch an anderer Stelle etwas auftauchen könne, wird der Sammlungsleiter gefragt. „Wenn sie einen Brief von Hitler hatte, dann hat sie den nicht weggeworfen“, antwortet Derenthal. Wiederholt weist er darauf hin, daß der Nachlaß zunächst komplett erfaßt und digital erschlossen werden müsse. Das könne Jahre dauern. Zunächst müßten ein Expertenteam zusammengestellt und finanzielle Mittel eingeworben werden. Die Aufarbeitung stehe erst ganz am Anfang.