© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/18 / 27. April 2018

Wenn Roboter Artikel schreiben
Künstliche Intelligenz hält Einzug ins Pressegeschäft / Den Journalisten ganz ersetzen kann sie nicht
Christian Schreiber

Letztens flatterte eine Meldung in die Redaktionen, die sich auf den ersten Blick wie eine übliche Geschäftsübernahme liest. Der Investor Intermedia übernimmt den Berliner Text-Generierer Retresco. Mit dem Millionen-Investment soll die Plattform textengine.io wachsen, die aus Daten und Fakten Artikel schreibt. Der dürre Sechszeiler schaffte es aber, das sprichwörtliche Rauschen im Blätterwald hervorzurufen. „Ersetzen Roboter bald den Redakteur?“, fragte beispielsweise die FAZ unheilschwanger. Dabei ist der Begriff des „Roboter-Journalismus“ so neu gar nicht. 

Experten sprechen ohnehin lieber von algorithmischem und automatisiertem Journalismus. Neun europäische Presseagenturen arbeiten bereits mit automatisch generierten Texten. Insbesondere Finanz- und Sportnachrichten werden von den Robotern übernommen. In Deutschland betreibt die Stuttgarter Zeitung einen Feinstaubmonitor, bei Correctiv wird eine Übersicht über Pflegeheime vom Algorithmus erstellt. 

Bis zu drei Millionen Texte pro Tag

Als am 17. März 2014 in Los Angeles die Erde bebte, dauerte es nur drei Minuten, bis die Los Angeles Times die erste Meldung veröffentlichte. Geschrieben wurde sie aber nicht von einem Journalisten, sondern von einem Programm namens Quakebot. Die Software ist so programmiert, daß sie auf einen Alarm des U.S. Geological Survey reagiert, der auf ein Erdbeben ab einer bestimmten Stärke folgt. Quakebot extrahiert die Informationen und fügt sie in den vorgefertigten Text ein.

Zu den Marktführern in Deutschland zählt das Stuttgarter Unternehmen Aexea. „Wir standen als Textagentur unter dem Druck, extrem günstige Lösungen anzubieten“, beschreibt Frank Feulner, Leiter Automatisierte Texte, das Geschäftsfeld gegenüber der FAZ. Aus Datenquellen und einem Algorithmus erstellt der Aexea-Computer Texte am laufenden Band. Mehr als drei Millionen Texte können so pro Tag produziert werden. In aller Regel kosten diese nur ein paar Euro. Die Textbausteine stehen fest, der Algorithmus ergänzt die Lücken mit Daten, mit denen er gespeist wird.

Ein interessantes Feld ist auch die Sportbranche. Die „Retresco Text-Engine“ verfaßt binnen Sekunden Spielberichte zu allen 30.000 Begegnungen in allen Fußballigen, die sämtliche Vereine des Deutschen Fußballbundes jedes Wochenende austragen. „Sie entstehen in der dafür entwickelten Textengine von Retresco und lesen sich ganz so, als hätte ein kundiger Sportreporter sie geschrieben. Ihre Basis sind vor allen Dingen strukturierte Liga-, Spiel- und Vereinsdaten, wie sie die Redaktionen, Verbände oder Vereine Woche für Woche erheben“, beschreibt das Unternehmen die Arbeitsweise. Dabei füllen die Schreibroboter nicht bloß vorgefertigte Lückentexte aus, sondern konstruieren die Sätze nach Abgleich mit Informationen aus Datenbanken, mit denen sie vernetzt sind.

Welche Auswirkungen die neue Technologie auf Redaktionen und Verlage in Zukunft haben könnte, wird derzeit in der Branche heftig diskutiert. Die ohnehin personell gebeutelten Lokalredaktionen vieler Tageszeitungen fürchten, sie könnten von der Digital-Welle überrollt werden. 

Dabei scheint es eher so, daß die Computer den journalistischen Alltag verändern, den Journalisten aber niemals ersetzen können. „Umfangreiche Datensätze liegen beispielsweise zum Sport vor, vor allem zum Fußball, weil der Deutsche Fußballbund die Vereine verpflichtet, bis spätestens 60 Minuten nach einem Spiel Zahlen zu übermitteln: zu Zuschauern, Spielern, Toren und Torminuten, gelben und roten Karten“, schreibt Die Zeit. Damit der Computer aus diesen Zahlen einen Text formulieren könne, müsse er aber die Regeln lernen. Und diese bringe ihm der Mensch bei. 

Der Hamburger Journalistik-Professor Thomas Hestermann geht daher nicht davon aus, daß Roboter den Platz von Journalisten jemals einnehmen können. „Generell kann die Maschine nur so viel leisten, wie man ihr beigebracht hat – und nicht mehr“, sagte er dem Fachmagazin Meedia. Journalismus müsse sich finanzieren. Mit dem Wegbrechen klassischer Geldquellen sei der Druck zur Kostensenkung gestiegen. Daher könnten moderne Programme eine sinnvolle Ergänzung sein. Aber: „Guten, phantasievollen Journalismus wird auch in 50 Jahren kein Roboter produzieren.“

Für einen interessanten Ansatz halten Experten aber die sogenannten „Fact-Checking-Tools“, mit denen sich Informationen fast in Echtzeit überprüfen lassen. Aber auch hier gilt: Die Programme sind nur so präzise, wie sie vom Menschen beliefert werden. Ob beispielsweise ein Verbrechen so stattgefunden hat wie beschrieben, kann der Roboter nur überprüfen, wenn der Polizeibericht ordentlich eingepflegt wurde. „Am Ende der Kette wird immer ein Mensch sitzen“, sagt Hestermann.