© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/18 / 04. Mai 2018

Geld oder Leben
Haushalt: Die Bundeswehr braucht mehr, als ihr der Finanzminister zugesteht
Peter Möller

Die seit Ende des Kalten Krieges chronisch unterfinanzierte und mittlerweile nur noch bedingt einsatzbereite Bundeswehr muß dringend aufgerüstet werden – und das bedeutet nicht zuletzt: veraltetes und aufgebrauchtes Material zügig zu ersetzen. Schon jetzt fällt es der Truppe immer schwerer, die Verpflichtungen, die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gegenüber den Verbündeten eingegangen ist, zu erfüllen. In der vergangenen Woche war bereits eine Liste des Verteidigungsministeriums mit mehreren geplanten Großaufträgen an die Rüstungsindustrie bekannt geworden. Dabei handelt es sich um 18 Verträge im Wert von jeweils mehr als 25 Millionen Euro, darunter die Verlängerung der Leasingverträge für die Aufklärungsdrohnen Heron 1, sowie der Kauf von Gefechtsständen, Raketenwerfern und Rettungshubschraubern.

Nicht nur diese Liste zeigt, daß die immer eindringlicher werdenden Hilferufe aus der Truppe mittlerweile bei von der Leyen angekommen sind. Zusätzlich wächst der Druck durch die wiederholt vorgetragene Forderung der Vereinigten Staaten, Deutschland möge endlich den Wehretat auf den von den Nato-Partnern vereinbarten Anteil von zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes anheben. Zuletzt hatte der neue amerikanische Außenminister Mike Pompeo Deutschland Ende vergangener Woche aufgefordert, mehr in die Verteidigung zu investieren.

Von der Leyen geht in die anstehenden Haushaltsverhandlungen mit der Forderung von zwölf Milliarden Euro mehr für die Bundeswehr bis zum Ende der Legislaturperiode. Damit steuert die Verteidigungsministerin auf einen Konflikt mit Finanzminister Olaf Scholz (SPD) zu, der den finanziellen Mehrbedarf der Bundeswehr in seinem Entwurf mit 5,5 Milliarden Euro zusätzlich gerade einmal halb so hoch angesetzt hat. Zwar herrscht in der Großen Koalition grundsätzlich Einigkeit darüber, daß die Truppe dringend mehr Geld benötigt. Doch wie hoch der Zuwachs am Ende tatsächlich ausfällt, ist noch völlig offen.

Allein für das kommende Jahr fordert von der Leyen laut Medienberichten drei Milliarden Euro mehr. Die Verteidigungsausgaben sollen demnach von 42,4 auf 45 Milliarden Euro steigen. Für 2020 wünscht sie sich vier und für 2021 fünf Milliarden Euro zusätzlich. Andernfalls müßten wichtige anstehende Rüstungsprojekte gestrichen oder auf Eis gelegt werden, warnt die Ministerin. Das Ministerium hat angeblich bereits eine Streichliste zusammengestellt: Laut Bild am Sonntag steht darauf an erster Stelle die geplante Kooperation zwischen der deutschen und norwegischen Marine, die gemeinsame U-Boot-Manöver und eine Zusammenarbeit bei der Ausbildung vorsieht. Auch der Kauf von sechs als Lückenfüller für den Militär-Airbus A400M dringend benötigten Transportflugzeugen des Typs C-130 Hercules stünden offenbar auf der Kippe.

Vom Zwei-Prozent-Ziel ist Berlin noch weit entfernt

Die SPD hat angesichts des drohenden Koalitionsstreits bereits auf Verteidigung umgestellt: „Die Bundeswehr hat kein Finanzierungsproblem, sondern ein gravierendes Strukturproblem“, sagte der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Johannes Kahrs, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Das Kernproblem ist, daß das Ministerium große Probleme hat, irgend etwas über die Rampe zu bekommen“, sagte Kahrs unter Verweis auf unbesetzte Stellen im Beschaffungsamt. 

Kein Verständnis für höhere Verteidigungsausgaben hat Grünen-Chefin Annalena Baerbock: „Jahr für Jahr werden immer mehr Milliarden auf das Bundeswehrbudget draufgelegt, und Frau von der Leyen bekommt ihre Probleme trotzdem nicht gelöst“, kritisiert sie. Ganz anders sieht das die AfD: „Es muß um mehr Geld gehen, die Bundeswehr ist am Ende, sie ist durch Mißmanagement und schlechte Führung kaputtgespart worden“, kritisierte der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Rüdiger Lucassen.

Der Streit in der Großen Koalition, der vermutlich angesichts der im Mai anstehenden Haushaltsdebatte im Bundestag zunächst mit einem Kompromiß vertagt werden dürfte, hat das Potential für einen Dauerbrenner. Denn die nun von der Verteidigungsministerin geforderten zwölf Milliarden Euro Mehrausgaben bis 2021 sind nur die Spitze des Eisberges. Bereits Anfang 2016 hatte von der Leyen einen langfristigen Plan präsentiert, um die Bundeswehr endlich wieder dauerhaft konkurrenzfähig zu machen: Bis 2030 müsse die Bundeswehr 130 Milliarden Euro zusätzlich in neue Ausrüstung stecken, rechnete sie vor und hatte dabei nicht zuletzt auch das Zwei-Prozent-Ziel der Nato vor Augen. Die Mitgliedstaaten hatten sich 2014 geeinigt, dieses Ziel bis 2024 zu erreichen. Doch davon ist Deutschland derzeit noch weit entfernt. Sollte Deutschland das Zwei-Prozent Ziel tatsächlich einhalten, würde der Wehretat übrigens auf mehr als 70 Milliarden Euro anwachsen. Dieses Zahl gilt im politischen Berlin allerdings derzeit als kaum durchsetzbar.

Auch der Wehrbeauftragte des Bundestages Hans-Peter Bartels (SPD) macht in dieser Frage weiter Druck. „Bis zum Ende der Legislaturperiode müssten es 1,5 Prozent sein, um nur die Lücken bei der Bundeswehr zu schließen“, mahnt er. Der Etat müßte dafür von jetzt 37 bis 2021 auf mindestens 47 Milliarden Euro steigen. Erst wenn die Bundeswehr darüber hinaus weiteres Geld bekommen würde, wäre nach Ansicht von Experten eine substantielle Verbesserung bei der Truppe überhaupt möglich.