© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/18 / 04. Mai 2018

Hacker und Gendarm
Polizeigesetze: Vor allem in Bayern wird heftig gestritten
Christian Schreiber

Besonders erbittert wird in Bayern gestritten. Obwohl auch andere Bundesländer Novellen planen, erhitzt das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG) des Freistaats die Gemüter mehr als anderswo. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) will die Befugnisse der Polizei ausweiten, unter anderem Telefone leichter abhören können. Für die Grünen droht damit der Überwachungsstaat, meint ihre innenpolitische Sprecherin Katharina Schulze.

Während dies auch dem Landesbeauftragten für Datenschutz, Thomas Petri, Sorgen bereitet, gibt es Experten, die solche Neuerungen schlicht für überfällig halten. Es sei einfach nicht mehr zeitgemäß, daß die Polizei bislang, wenn sie Daten zum Beispiel von Handys auswertet, nur das anschauen darf, was direkt im Speicher des Geräts liegt, nicht aber Daten in der Cloud. Diese Unterscheidung soll künftig wegfallen. Geplant ist auch, daß bei der Fahndung oder der Suche nach Vermißten Drohnen mit Video- oder Wärmebildkameras einsetzt werden dürfen und nicht nur Hubschrauber. Es gehe darum, die Polizei mit zeitgemäßen Befugnissen auszustatten, meint der bayerische Innenminister Joachim Herrmann und verweist auf die Folgen der Digitalisierung sowie mögliche Terrorlagen.  

„Sicheres und freies Land bleiben“

Der Knackpunkt des neuen Gesetzes ist dabei der Begriff der „drohenden Gefahr“. Bisher darf die Polizei nur dann tätig werden, wenn eine konkrete Gefahr vorliegt. Nun sollen bereits Verdachtsmomente zu Überwachungsmaßnahmen wie der Telefonabhörung führen können, monieren Kritiker. Bayerns SPD-Vorsitzende Natascha Kohnen zeigt sich entsetzt, man ist schließlich im Vor-Wahlkampf: „Da kommt unsere ganze Sicherheitsarchitektur in eine Schräglage hinein.“ Die Freiheit jedes einzelnen sei in Gefahr.

Die CSU keilte vergangene Woche kräftig zurück und warf den Gesetzesgegnern eine Kooperation mit Linksextremisten vor. Es sei „absurd, daß SPD und Grüne immer wieder behaupten, daß die PAG-Novelle eine Gefahr für unseren Rechtsstaat darstellt, wenn sie nun Seite an Seite mit Linksextremisten und anderen verfassungsfeindlichen Organisationen gegen das PAG kämpfen“, hieß es in einer Erklärung. Die Landesregierung beklagte eine „beispiellose Desinformationskampagne“ und wirft dem Bündnis „noPAG“ vor, mit linksradikalen Gruppierungen zusammenzuarbeiten, die im Verfassungsschutzbericht aufgeführt sind, etwa DKP, Rote Hilfe oder Interventionistische Linke. Letztere war maßgeblich verantwortlich für die schweren Ausschreitungen beim G20-Gipfel in Hamburg 2017.

Proteste gegen ein neues Polizeigesetz gibt es allerdings nicht nur in Bayern, sondern auch in mehreren anderen Bundesländern. In Bremen bahnt sich ein Koalitionskrach zwischen SPD und Grünen an. Geplant war, das Gesetz noch vor der Sommerpause in die Bürgerschaft zu bringen. Aber plötzlich meldeten die Grünen-Fraktion und der Landesvorstand der Partei grundsätzliche Bedenken an. Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) reagierte gegenüber der Nordwestzeitung mit „völligem Unverständnis“. Die „breite gesellschaftliche Debatte“ sei „eine blumige Umschreibung dafür, daß die Grünen sich bis zur nächsten Wahl vor einer Entscheidung drücken wollen“. Die Entscheidung der Grünen sei ein „schwerer Rückschlag für die innere Sicherheit“, schimpfte Mäurer – auch wegen der 490 Salafisten in Bremen. Die Polizei müsse nun auf wichtige Instrumente zur Gefahrenabwehr verzichten.

In Brandenburg halten die regierenden Sozialdemokraten dagegen eine Ausweitung polizeilicher Befugnisse nicht für angebracht und haben kürzlich einen erneuten Antrag der CDU-Fraktion abgelehnt. Das Innenministerium hält die Sicherheitsstruktur für ausreichend und unterstellt dem Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), mit dem geplanten bayerischen Gesetz, das noch zu einem guten Teil aus seiner Feder stamme, eine Blaupause für eine bundeseinheitliche Regelung machen zu wollen. 

Eine erstaunliche Übereinstimmung mit den CDU-Positionen kommt dagegen aus Niedersachsen: „Mit dem neuen Polizeigesetz wollen und werden wir sicherstellen, daß Niedersachsen auch weiterhin ein sicheres und freies Bundesland bleibt“, erklärte Innenminister Boris Pistorius (SPD). Die Regelungen in Niedersachsen gleichen denen, die für Bayern geplant sind. Pistorius hatte auch  Innenexperten der Union zur Mitarbeit eingeladen, was dazu geführt hatte, daß die Neuerung unproblematisch durch das Parlament gelangte. Auch in Sachsen haben sich CDU und SPD, allerdings nach zähem Ringen, geeinigt. Beide Parteien mußten Kompromisse machen. So ist etwa eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten, wie von der SPD gefordert, nicht vorgesehen. Die CDU mußte bei der Überwachung von Telefonen und Computern Abstriche machen.

Im größten Bundesland Nord-rhein-Westfalen deuten sich dagegen „bayerische Verhältnisse“ an. Die neue Koalition aus CDU und FDP, die vor gut einem Jahr Rot-Grün ablöste, hat ein sicheres Land versprochen, Innenminister Herbert Reul (CDU) gibt sich als Law-and-Order-Mann. In dem Gesetzentwurf sollen terroristische Gefährder frühzeitiger in sogenannten Unterbindungsgewahrsam kommen. Mußte dafür bislang von dem Gefährder eine „konkrete Gefahr“ ausgehen, soll in Zukunft eine „drohende Gefahr“ ausreichen, um ihn bis zu einen Monat lang festzuhalten. Das Gesetz sei „ganz klar verfassungswidrig“, sagte die Grünen-Innenexpertin Verena Schäffer und kündigte parlamentarische und außerparlamentarische Proteste an. Ganz wie in Bayern eben.