© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/18 / 04. Mai 2018

Die ETA gibt auf
Ende des Unabhängigkeitskampfes: In einer Erklärung bittet die baskische Terrororganisation um Verzeihung
Henning Lindhoff

Die baskische Terrororganisation Euskadi Ta Askatasuna (ETA) steht vor ihrer Auflösung. In der kürzlich von den Tageszeitungen Gara und Berria veröffentlichten Erklärung bitten die ETA-Vertreter die Gewaltopfer um „Vergebung“ und verpflichten sich zur „endgültigen Überwindung des Konflikts“. Sie seien sich darüber bewußt, „viel Schmerz und Schaden“ angerichtet zu haben, „der nicht wiedergutzumachen ist“. Insbesondere gestanden sie „Fehler oder falsche Entscheidungen“ ein, die unschuldige Opfer forderten – zuletzt starben Unbeteiligte bei einem Anschlag auf den Flughafen in Madrid im Jahr 2006. Worte könnten zwar den Schmerz nicht mindern und Geschehenes nicht ungeschehen machen, doch für die Zukunft sei „nichts schädlicher, als das Geschehene zu verzerren oder zu verbergen“. Die Erklärung gilt als wichtiger Schritt zur Auflösung der Organisation, die womöglich am ersten Mai-Wochenende im französischen Baskenland erklärt werden könnte. 

Gegründet 1959 als Widerstandsbewegung gegen die Regierung Francos, führte die Gruppe jahrzehntelang einen gewalttätigen Unabhängigkeitskampf für das Baskenland, bei dem 829 Menschen ums Leben kamen und Hunderte weitere verletzt wurden. Die jüngsten politischen Aktionen der Gruppe jedoch, und vor allem ihre öffentliche Entschuldigung, sorgten für eine Welle der Solidarität in der baskischen Bevölkerung. Unter dem Motto „Es wird Zeit – Gefangene raus!“ gingen am 21. April rund 10.000 Menschen auf die Straßen von Bilbao und forderten bessere Haftbedingungen für die ETA-Gefangenen. Die Solidarität der Bevölkerung begründet sich auch auf die harte Reaktion der spanischen Regierung nach dem Waffenstillstand der Gruppe im Jahr 2011, bei der sich die ETA zur vollständigen Entwaffnung bereit erklärt hatte. Zwischen 2011 und 2018 verurteilten die spanischen Gerichte 121 Personen wegen der Unterstützung der Terrororganisation – viermal mehr Urteile als in den sieben Jahren zuvor. Die Strafen betrafen insbesondere das Umfeld der Gruppe. Jeder, der in Verdacht geriet, die Organisation zu begünstigen, mußte mit dem Gefängnis rechnen.

Die spanische Regierung reagierte derweil kühl auf die Erklärung der ETA. Zwar begrüßte sie die Entschuldigung, sprach allerdings von einer Folge der „Stärke des Rechtsstaates“, welcher der Terrororganisation mit den „Waffen der Demokratie“ entgegengetreten sei. Gleichzeitig kritisierten mehrere Opferverbände, die ETA habe in dem Papier ihre Terroraktionen einmal mehr gerechtfertigt und wolle die gewalttätige Vergangenheit schönreden.

Organisatorische Parallelen zu den Anschlägen der IRA

1968 hatte die Gruppe ihren ersten tödlichen Anschlag gegen einen Beamten der spanischen paramilitärischen Guardia Civil verübt. Schon wenige Jahre später stellte die ETA, insbesondere zur Erweiterung ihres Know-hows bei terroristischen Anschlägen, Kontakte zu anderen separatistischen Bewegungen marxistischer Stoßrichtung her. Zwischen einigen Anschlägen der Provisorischen Irisch-Republikanischen Armee (IRA) und der ETA bestehen auffällige technische und organisatorische Parallelen, wie das niederländische COT Institute for Safety Security and Crisis Management in einer 2008 veröffentlichten Studie ausführlich darlegte – beispielsweise zwischen den Sprengstoffanschlägen auf den britischen Gesandten in Dublin, Christopher Ewart-Biggs, ausgeführt durch die IRA, und auf Admiral Luis Carrera Blanco, ausgeführt durch die ETA. 

Zu Beginn der 1970er Jahre reiste die spätere Politikerin Maria McGuire noch als IRA-Mitglied gen Dublin, um sich dort mit Jose Echevarrieta, einem der damals führenden Köpfe der ETA, zu treffen. Nach Informationen McGuires trafen sich die baskischen Separatistenführer im Jahr 1971 auch mit Seán Mac Stíofáin, dem Stabschef der IRA zwischen den Jahren 1969 und 1972, um über den konkreten Austausch von Waffen und Ausbildung zu beraten. Diese Partnerschaft wurde schließlich im Mai 1972 öffentlichkeitswirksam festgezurrt.

Seit einer Waffenlieferung im Sommer 1977 verfügte die ETA auch über zehn Panzerabwehrraketen, mehrere hundert Maschinenpistolen und eine große Anzahl von Handgranaten und Handfeuerwaffen. In der Mitte der 1970er Jahre wurden annähernd alle ETA-Terroristen gemeinsam mit Angehörigen der IRA in Lagern in Algerien ausgebildet, seit 1979 auch im Libanon und im Südjemen. Im März 1981 definierte das Exekutivkomitee der ETA ihr endgültiges Ziel: die Etablierung einer „Sozialistischen Volksrepublik Baskenland und die Weltrevolution“.

Der baskische Politiker José Maria Benegas (Arbeiterpartei PSOE) verwies in dieser Zeit auf den internationalen Hintergrund. Wörtlich erklärte er: „Die ETA finanziert ihren Terror vor allem mittels Banküberfällen, Erpressungen und Entführungen. Unternehmer wurden aus den baskischen Provinzen über die französische Grenze nach St-Jean-de-Luz beordert, um dort eine ‘Revolutionssteuer’ an die ETA zu bezahlen. Wer sich hierzu nicht bereit erklärte, wurde ermordet. Allein mit solcherlei Lösegeldern dürfte die ETA in den Jahren 1982 und 1983 etwa 1,7 Milliarden Peseten eingenommen haben.“

Unterstützt wurde die ETA von Beginn an auch vom russischen KGB. Wie auch schon im Falle der IRA koordinierte der KGB die Operationen der ETA über Mittelsmänner in Südamerika. So wurde im Herbst 1983 in Costa Rica der ETA-Terrorist Gregorio Jimenez Morales, genannt El Pistolas, festgenommen, der sich zuvor in der Sowjetunion, in Irland, Kuba und Nicaragua aufgehalten hatte. Aus den Ermittlungen ging hervor, daß die vier in San Jose de Costa Rica festgenommenen ETA-Kämpfer direkte Kontakte zu Tomas Borge, dem Innenminister Nicaraguas, zu Kulturminister Ernesto Cardenal sowie zu dem Außenminister Miguel d’Escoto unterhalten hatten. Nicht weniger als 100 Etarras waren in den Jahren 1982 und 1983 in Nicaragua ausgebildet worden. 

Auch der kubanische Nachrichtendienst Dirección General de Inteligencia (DGI) übernahm die ihm vom KGB zugewiesene Rolle. Im Frühjahr 1976 eröffnete die DGI ein Hauptbüro in Lissabon unter der Leitung von Crescencio Palenzuela. Von diesem Büro aus sollten die sieben Hauptfilialen des kubanischen Geheimdienstes in Westeuropa geleitet werden. Wesentliches Ziel der Steuerung von Lissabon aus war die Untergrundaktivität in Spanien, die Palenzuela persönlich in Madrid, unter dem Schutz eines kubanischen Diplomatenpasses, bereits eingeleitet hatte.

Nun sind die alten Kämpfer in die Jahre gekommen, langjährige Haftstrafen fernab der Heimat haben zur Ermüdung der Truppe beigetragen. 2010 wurde ein französischer Gendarm das letzte Opfer der baskischen Untergrundorganisation. Die lange Phase des Schmerzes scheint beendet.