© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/18 / 04. Mai 2018

Zwölf Euro Mindestlohn für öffentlich Beschäftigte?
Hamburger Modell
Dirk Meyer

In Leipzig reicht der Mindestlohn von 8,84 Euro pro Stunde aus, um nicht mit Hartz IV aufstocken zu müssen. In Hamburg wären laut einer DGB-nahen Studie aber 10,56 Euro nötig. „Damit Hamburg als Stadt der guten Arbeit weiter vorn bleibt“, soll der Mindestlohn für öffentlich Beschäftigte auf zwölf Euro steigen, verspricht der neue Erste Bürgermeister, Peter Tschenscher (SPD) – nicht durch ein Gesetz, sondern durch Tarifvereinbarung.

Das würde ein Monatsgehalt von 2.016 Euro bedeuten. Doch bereits jetzt verdienen Landesangestellte in Vollzeit mindestens 2.000 Euro, Beamte 2.271 Euro. Im Hamburger Vergabegesetz ist auch für private Auftragnehmer die Tariftreue festgeschrieben. Dennoch arbeiten in der Hansestadt etwa 6.300 Beschäftigte in Behörden, Hochschulen und städtischen Unternehmen für weniger als zwölf Euro. Dies betrifft unter anderem 2.200 Beschäftigte in stadteigenen Reinigungsunternehmen, knapp 700 beim städtischen Kita-Betreiber Elbkinder und tausend studentische Hilfskräfte an den Hochschulen. Ungelernte Gärtnergehilfen erhalten im Einstiegstarif 11,63 Euro (künftig 12,12 Euro) und nach dem ersten Jahr sogar 13,29 Euro. Damit ist die Tschenschersche Ankündigung weitgehend eine Luftnummer.

Hamburg zählt bei den durchschnittlichen Lebenshaltungskosten zu den fünf teuersten deutschen Großstädten. So braucht eine vierköpfige Familie bei einem Bruttoeinkommen von 71.500 Euro in Münster (Deutschland im Durchschnitt auf 100 Prozent gesetzt) für die gleichen Ausgaben in München 159, in Frankfurt 125 und in Hamburg 115 Prozent. In Dortmund käme sie sogar mit 86 und in Duisburg mit 80 Prozent dieses Vergleichseinkommens aus. Für einen Singlehaushalt ist die Spannweite mit 71 bis 176 Prozent noch größer, wobei Hamburg den Indexwert beibehält. Das wäre ein Grund, den gesetzlichen Mindestlohn von 8,84 Euro zu regionalisieren.

Was für Münster angemessen erscheint, ist für München viel zu niedrig und für Leipzig zu hoch angesetzt. Allerdings hat jeder gesetzliche Lohneingriff unerwünschte Nebenwirkungen. Trotz Konkurrenzschutz muß jeder Stadtkämmerer auf sein Budget achten, denn Steuerzahler sind nur begrenzt ausbeutbar. Entweder verwildern die Grünanlagen zunehmend oder die Stadt schafft Rasenroboter an.

Das Arbeitslosengeld II entspringt diesem – leider nur unvollständig gelösten – Dilemma: einerseits die Arbeitsaufnahme zu fördern, andererseits eine Grundsicherung zu gewährleisten. Über eine Million Menschen, die „Hartz-IV-Aufstocker“, leben in diesem Zwiespalt. Trotz der teilweise berechtigten Kritik an Hartz IV sollte deshalb an der Grundkonstruktion festgehalten werden – der Trennung von Arbeitsmarkt und Sozialstaat.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.