© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/18 / 04. Mai 2018

Am NetzDG vorbei geklagt
Facebook versucht den Spagat zwischen nationalem Recht und internationaler Präsenz
Mathias Pellack

Facebook hat Alice Weidel (AfD) beleidigt. Das Landgericht Hamburg verurteilte die Netzseite am Montag zur Unterlassung. Und das ohne Verweis auf das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Denn der Internetkonzern löschte den Kommentar, in dem die Fraktionsvorsitzende der Alternative für Deutschland im Bundestag als „Nazi-Drecksau“ betitelt wurde, über ein halbes Jahr nicht. Weidels Anwalt, Joachim Steinhöfel, sagte: „Die Aussage ist eine strafbare Beleidigung. Und dafür haftet das Unternehmen ab Kenntnis.“

Wissen erlangte Facebook mehrfach von dem fraglichen Ausspruch, für den es nach der sogenannten Störerhaftung zur Verantwortung gezogen werden kann. Am 10. September 2017 war der Kommentar veröffentlicht und gemeldet worden. Das größte soziale Netzwerk der Welt antwortete dem anonymen Nutzer: „Wir haben uns den Kommentar angesehen und festgestellt, daß er gegen keinen unserer Gemeinschaftsstandards verstößt.“ Er blieb online.

Beleidigung bleibt  über VPN erreichbar

Über vier Monate später wiederholte sich das Spiel, nur mit dem Unterschied, daß das NetzDG in Kraft getreten war. Auf die Meldung am 27. Januar folgte die gleiche Antwort mit Bezug auf die Gemeinschaftsstandards. Doch dazu später.

Ein Nutzer machte Weidel aufmerksam. Ihre Rechtsanwaltskanzlei forderte das Netzwerk zur Löschung auf.

Facebook anwortete am 1. Februar, als wäre es eine Neuigkeit: „Vielen Dank, daß Sie uns auf diese Angelegenheit aufmerksam gemacht haben. Auf den von Ihnen gemeldeten Inhalt kann in Germany nicht mehr zugegriffen werden. Dadurch wurde dieses Problem unserer Auffassung nach behoben.“

Doch tatsächlich wurde nur die Erreichbarkeit des Kommentars innerhalb Deutschlands verringert. Anstatt die vermeintliche Beleidigung für alle seine Nutzer zu löschen, setzte der sein Geld mit Werbung verdienende Konzern auf Geo-blocking. Dabei wird der Zugriff auf Inhalte der Netzseite innerhalb eines bestimmten Gebiets verhindert. Österreicher etwa hätten die Aussage weiterhin lesen können.

Aber auch auf dem Gebiet der Bundesrepublik wäre es ein leichtes gewesen, diese Art von Sperre zu umgehen. Etwa mit VPN – quasi eine Internet­umleitung, die dem Facebook-Server vorgaukelt, man wäre in einem anderen Land. Eine Funktion die einige Browser standardmäßig anbieten.

Daß das Unternehmen mit über zwei Milliarden aktiven Nutzern nicht einfach löschte, dafür führte es seine Gemeinschaftsstandards an. Diese sind zwar keine Gesetze, aber selbstgewählte Regeln. Das Unternehmen verspricht darin: „Wir lassen keinerlei Haßrede auf Facebook zu.“

Das NetzDG ist  größtenteils nutzlos

Das amerikanische Unternehmen definiert „Haßrede“ unter anderem folgendermaßen: Entmenschlichende Sprache wie etwa „der Verweis auf oder der Vergleich mit Tieren, die kulturell als intellektuell oder körperlich unterlegen gelten.“ Das sei Haßsprache ersten Grades.

Um der Meinungsfreiheit Raum zu lassen, würden aber Kommentare gegen öffentliche Personen weniger scharf zensiert, so der Facebook-Anwalt. Er  wies auf die Meinungsfreiheit hin und meinte. „Facebook ist nicht der Superrichter.“ Die die Idee dahinter ist wohl, daß die Plattform nicht nationales Recht international umsetzen kann und will.

Doch ist der fragliche Kommentar laut dem Facebook-Anwalt mittlerweile weltweit nicht mehr erreichbar. Entweder hat das Unternehmen nun doch den Widerspruch mit seinen Gemeinschaftsstandards entdeckt oder deutsches Recht weltweit umgesetz.

Und was ist mit dem NetzDG? Der einzige Nutzen sei, wie Steinhöfel der JUNGEN FREIHEIT sagte: „Man spart sich den diplomatischen Weg nach Irland, um zu klagen.“ Ohne das unter Heiko Maas verabschiedete Gesetz auch nur zu erwähen, konnte Facebook zur Unterlassung gezwungen werden.