© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/18 / 11. Mai 2018

„Die Opfer werden verspottet“
200 Jahre Karl Marx: Kritiker nehmen die offiziellen Feierlichkeiten für den Urvater des Kommunismus nicht widerspruchslos hin
Björn Harms

Nun also steht sie da. Direkt neben dem Wahrzeichen der Stadt Trier, der römischen Porta Nigra, auf dem Simeonstiftplatz, fiel am Samstag das rote Tuch und gab die 5,50 Meter hohe Bronzestatue von Karl Marx frei. Zur feierlichen Enthüllung der Skulptur, eines Geschenks der chinesischen Regierung zum 200. Geburtstag von Marx, hatten sich rund 200 Ehrengäste versammelt, darunter SPD-Chefin Andrea Nahles, die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer (SPD) und der chinesische Botschafter in Berlin, Shi Mingde.

Dem Zuschauer bot sich ein bizarres Bild: Während in einem streng abgezäunten Bereich die geladenen Politiker fleißig applaudierten – bis auf die AfD war jede Fraktion des rheinland-pfälzischen Landtags mit mehreren Repräsentanten anwesend –, erklang nur wenige Meter entfernt aus rund 300 Kehlen die „Internationale“, Kampflied der sozialistischen Arbeiterbewegung.Versammelt hatten sich hier mehrere hundert Anhänger der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und der Linkspartei. Eine Herausforderung auch für die Polizei – denn Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft, Anhänger der in China verbotenen Bewegung Falun Gong und AfD-Vertreter machten unweit der Porta Nigra keinen Hehl aus ihrer Ablehnung des in ihren Augen kritiklosen Umgangs mit Marx. 

„Ich finde es ganz furchtbar, wie Marx hier geehrt wird“

Eingeleitet worden war der 200. Geburtstag von Karl Marx mit einem offiziellen Festakt in der Konstantinbasilika. Marx in den altehrwürdigen Hallen einer Kirche – das hätte der erklärte Religionsgegner wohl selber kaum für möglich gehalten. Doch gerade als die rund 1.000 geladenen Gäste aus Politik, Kultur und Wirtschaft Platz nahmen, durchdrang ein lauter Schrei die Basilika. „Ich finde es ganz furchtbar, wenn ich erlebe, wie Marx hier geehrt wird“, brüllte ein ehemaliger DDR-Häftling in die Stille. „Es ist ein Skandal.“

Ministerpräsidentin Dreyer versuchte die unangenehme Situation zu retten. „Wie schön, daß wir in einem Land leben, wo wir frei unsere Meinung äußern können“, sagte sie verlegen, während der Protestierende von breitschultrigen Personenschützern aus dem Saal gezerrt wurde. Er sei 1983 in der DDR wegen Landesverrats verhaftet worden, erklärte der Mann der JUNGEN FREIHEIT später. „Dann bin ich freigekauft worden. Als ich 1992 meine Stasiakte laß, wurde mir erst der Ernst meiner Situation bewußt.“ „Im Spannungsfall zur Liquidation freigegeben“, habe dort gestanden. 

So fühle er sich als Mitglied der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) dazu verpflichtet, Protest einzulegen. Eine Aktion, die beweist, wie kritisch mancher das Engagement von Stadt und Land in bezug auf Marx sieht.

Im Inneren der Basilika setzten sich derweil die Feierlichkeiten fort. „Die Verbrechen an Millionen von Menschen, die im 20. Jahrhundert in seinem Namen begangen wurden, können ihm nicht angelastet werden“, erklärte Malu Dreyer in ihrer Eröffnungsrede. Der geladene EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker pflichtete ihr bei. „Er ist nicht für die Greuel in seinem Namen verantwortlich.“ Vielmehr sei Marx ein „in die Zukunft denkender Mensch mit gestalterischem Anspruch gewesen“. Man müsse ihn aus seiner Zeit heraus verstehen. Ein Satz, der an diesem Tag häufiger fällt.

Zuvor hatte der Vorsitzende der Friedrich-Ebert Stiftung (FES), Kurt Beck (SPD), die lauter werdende Kritik an der neuen Ausstellung im Karl-Marx-Haus, geplant unter der Verantwortung der FES, verächtlich beiseite geschoben: „Man muß uns nicht erklären, daß man die Dinge differenzieren und kritisch insbesondere in ihrem Mißbrauch darlegen muß, gerade für unsere jungen Besucher.“ So ist in der seit Samstag geöffneten Ausstellung die Rede von einer „Bezugnahme auf Marx“. Ausführlich wird die Terrorherrschaft von totalitären Systemen wie der Sowjetunion beschrieben, ihre Opfer werden nicht verschwiegen.

Worin aber die mögliche Verbindung von Theorie und Praxis liegt, wird im Karl-Marx-Haus nicht beantwortet. Kein Wort zur von Marx geforderten Beseitigung des Privateigentums – und damit dem Verlust der individuellen Freiheit. Kein Wort zum absoluten Wahrheitsanspruch der marxistischen Geschichtsphilosophie. Kein Wort zur offenen Legitimation von Gewalt.

Nicht nur deshalb äußerte der Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, vorab sein Unverständnis über die Trierer Feierlichkeiten. „Die Wurzel des Terrors liegt in Marx’ Utopie, das Paradies auf Erden schaffen zu wollen“, verdeutlichte er. So wirke es wie eine „Ironie der Geschichte, daß ausgerechnet in Westdeutschland Statuen von Marx errichtet werden, noch dazu aus den Händen einer kommunistischen Diktatur, während sie im Osten nach dem Ende der DDR weitgehend aus dem Stadtbild verschwunden sind.“ 

Auch die AfD Rheinland-Pfalz protestierte unter dem Motto „Marx vom Sockel stoßen“ an diesem Wochenende gegen die Marx-Verklärung. So richtete der ehemalige tschechische Präsident Václav Klaus auf einer Diskussionsveranstaltung der Partei scharfe Worte in Richtung der Stadtoberen. Beschwichtigende Behauptungen, Marxs Ideen seien lediglich falsch umgesetzt worden, „kann ich nicht akzeptieren“, empörte sich der 76jährige. „Für mich und meine Generation der Tschechen ist die Aufstellung seines Denkmals eine Verspottung der Geschichte, eine Verspottung der Opfer jener Regime, die auf der Basis des Marxismus entstanden sind.“

Um so mehr schien es den Ex-Präsidenten zu wurmen, daß zu den Marx-Feierlichkeiten ausgerechnet einer der höchsten Repräsentanten der Europäischen Union geladen war. „Ich bin nicht unbedingt wegen der Statue hier, sondern wegen Juncker“, erklärte er. Die europäische Integration trage marxistische Züge in sich, welche er entschieden ablehne. 

Noch am Samstag hatte die Junge Alternative (JA) zu einem Trauermarsch für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft eingeladen. Unter Begleitung des Bundestagsabgeordneten Petr Bystron zogen sie schweigend durch die Trierer Innenstadt, begleitet von lautstarkem Getöse linksextremer Gegendemonstranten. Der Marsch stoppte am Simeonstiftplatz, genau an jenem Ort, an dem zeitgleich die Marx-Statue enthüllt wurde, und endete in unschönen Wortgefechten mit den anwesenden Kommunisten der DKP. Ein von der AfD am Denkmal niedergelegter Gedenkkranz soll derweil nach wenigen Minuten unter den Augen des Pressesprechers der Stadt beschädigt und entfernt worden sein. Die Debatte um Marx scheint in Trier also noch längst nicht beendet.