© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/18 / 11. Mai 2018

Kein Frieden in Sicht
Jemen: Im Streit mit Saudi-Arabien zeigen die schiitischen Huthis überraschenden Widerstand
Marc Zoellner

Es war die wohl größte Trauerfeier in der Geschichte des Jemen: Hunderttausende jemenitische Bürger – manche Quellen sprechen von über einer Million – waren vergangenen Samstag auf die Straßen und Plätze vor der opulent herausgeputzten Volksmoschee im Herzen der Hauptstadt Sanaa geströmt, um Saleh Ali al-Sammad, dem kürzlich getöteten Präsidenten der Huthi-Regierung, das letzte Geleit zu geben. 

Der 39jährige Politiker, der zuletzt hohe Popularität unter den Huthi-Rebellen genoß, war Mitte April bei einem Frontbesuch in der Hafenstadt Al-Hudaida zusammen mit sechs seiner engsten Mitarbeiter bei einem Angriff saudi-arabischer Kampfflugzeuge von einer Rakete tödlich getroffen worden. Damit war al-Sammad das bislang ranghöchste von saudischen Truppen liquidierte Mitglied der schitischen Huthi-Miliz.

Bevölkerung leidet permant unter Hungersnot 

Daß sein Verlust jedoch die Rebellengruppe innerhalb des jemenitischen Machtkampfes nur stärken dürfte, davon zeugten nicht nur die landesweit gesendeten Aufnahmen der prunkvollen Militärparade sowie der zahllosen Kondolenzen zu Ehren al-Sammads. Die Rebellen sind von einer Niederlage entfernter denn je, davon zeugen deutlich auch die zunehmenden Angriffe  der Huthis insbesondere auf saudi-arabisches Terrain.

Exemplarisch jene von Ende März: Gleich mehrere Burkan-2-Raketen schlugen damals auf dem Gelände des Ölkraftwerks von Nadschran, der Hauptstadt der gleichnamigen südlichsten Provinz des Königreiches Saudi-Arabiens, ein. Nur gut fünfzehn Kilometer entfernt von der jemenitischen Grenze. 

Für die Betreiber bedeute dies jedoch Glück im Unglück: Tote oder Verletzte gab es keine. Lediglich eine Handvoll Verwaltungsbaracken im Zentrum der Anlage wurden zerstört. Ein Kollateralschaden, den die Initiatoren des Anschlags, die  Huthi-Miliz des Jemen, so nicht geplant hatte.

Das Bombardement des Kraftwerks war bereits der neunzigste Raketenangriff auf Nadschran seit Beginn der von Saudi-Arabien geführten Offensive gegen die Huthi-Rebellen des Jemen vom März 2015. Der Großteil der Huthi-Geschosse konnte Regierungsaussagen zufolge jedoch noch im Flug von der Raketenabwehr Saudi-Arabiens abgefangen werden. Auch diesmal beeilte sich Riad, rasch zu dementieren: Die Baracken des Kraftwerks seien von den Arbeitern selbst demontiert worden. Die auf den von den Huthis im Anschluß in Umlauf gebrachten Satellitenfotos mit deutlich sichtbaren Verwüstungen selbst der umliegenden Straßen wollte Riad bislang nicht kommentieren.

Mit Nadschran hatten die Huthis einmal mehr bewiesen, trotz dreier blutiger Kriegsjahre, trotz einer Totalblockade des Jemen zu Land, zu Luft und zur See und trotz der weit überlegenen Waffentechniken der saudisch geführten Militärallianz noch immer das Potential zu besitzen, tief ins Herz ihrer Gegner vorstoßen zu können.

 Neben der am Roten Meer gelegenen Hafenstadt Dschazan gilt Nadschran dabei als eines der Hauptangriffsziele der Huthi-Raketen. Ende Dezember 2017 jedoch, genau zum tausendsten Jahrestag des Kriegsbeginns, konnten die saudischen Streitkräfte nur knapp eine Burkan-1-Rakete abwehren, die auf den 800 Kilometer vom Jemen entfernten Königspalast der Hauptstadt Riad zielte. „Und im vierten Jahr des Kriegs werden wir noch fortgeschrittenere Waffen einsetzen“, versprach Huthi-Anführer Abdul Malik al-Huthi Ende März in einer Fernsehrede. „Saudi-Arabien wird die beeindruckende Entwicklung der jemenitischen Raketenleistung zu spüren bekommen.“

Komplett ausgeschlossen scheint derzeit eine friedliche Beilegung des ohnehin immer verworreneren Konflikts im südarabischen Bürgerkriegsland: Statt dessen legte die saudische Militärkoalition, welcher unter anderem auch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sowie der Sudan angehören, vergangene Woche erst das Fundament zur Verschärfung des Konflikts mit der gezielten Tötung von Saleh Ali al-Sammad.

 Sein Nachfolger Mahdi al-Mashat gilt als politischer wie religiöser Hardliner. Bereits in seiner Regierungsansprache verkündete al-Mashat, „das Vorhaben unserer Märtyrer, einen Huthi-Staat zu errichten“, auf die nächste Etappe zu bringen.

Was den Huthis tatsächlich auch gelingen könnte: Zwar errangen die Truppen der international anerkannten jemenitischen Regierung unter Abed Rabbo Mansur Hadi, der 2012 dem geschaßten Diktator Ali Abdullah Salih als Präsident folgte und jetzt im Exil in Riad weilt, insbesondere im Gouvernement Taizz beachtliche Landgewinne. Diesen folgten allerdings größere, vom Übergangsrat des Südens (STC) zugefügte Verluste rund um die Hafenstadt Aden.

 Der STC kontrolliert neben dem Adener Umland auch die östlich Somalias gelegene jemenitische Tropeninsel Sokotra und wird in seinem Bestreben, den Südjemen als eigenständige Republik neu zu etablieren, militärisch auch von den VAE unterstützt. Denn der STC, so die Begründung Dohas, sei ebenso eingeschworener Gegner al-Qaidas wie des Islamischen Staats, die beide im unwegsamen Osten des Landes erhebliche Territorien unter ihre Gewalt gebracht haben, sich dort allerdings auch gegenseitig bekämpfen.

Die jemenitische Bevölkerung kommt der Bürgerkrieg der fünf Konfliktparteien bislang teuer zu stehen. Für die vergangenen drei Jahre zählte allein das jemenitische Menschenrechtsministerium fast 600.000 Tote infolge der saudischen Intervention. Und die Vereinten Nationen warnen vor den dramatischen Folgen der Hungersnot, welcher bereits über 22 Millionen Jemeniten ausgesetzt sind. 

Doch der Krieg dauert unverändert an: Erst im März schloß Saudi-Arabien einen lukrativen Kaufvertrag über 48 neue Kampfflugzeuge mit Großbritannien ab. Auch der Iran, der als Verbündeter der Huthi-Milizen gilt, schmuggelt weiter ungehindert sein Raketenarsenal ins Land – mutmaßlich, wie US-Analysten meinen, um seine Waffensysteme für künftige asymmetrische Konflikte im Nahen Osten zu testen und weiterzuentwickeln. „Wozu der Iran im Libanon mit der Hisbollah noch zwei Jahrzehnte benötigte“, bestätigte kürzlich General Joseph Votel vom Zentralkommando der Vereinigten Staaten, habe er im Jemen mit „Unterstützung der Huthis in kaum fünf Jahren vollbracht“.