© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/18 / 11. Mai 2018

Pankraz,
der Ombudsrat und der Leserbriefonkel

Hilfe, der Ombudsmann kehrt zurück, vermehrt und dominiert natürlich durch die Ombudsfrau! Ins Auge gefaßt ist eine komplette Nichtregierungsorganisation (NGO), ein „Ombudsrat“, dessen Mitglieder überall in den Redaktionen herumschnüffeln und ihre „kritischen Beobachtungen“ regelmäßig ins Netz stellen dürfen, ohne selber Verantwortung übernehmen zu müssen. Der Ombudsmann gleichsam als Inkarnation des wahrhaft gerechten Medienzeitalters: gut bezahlt und völlig unabhängig, einzig seiner eigenen Meinung verpflichtet und trotzdem Repräsentant  der „wahren“ öffentlichen Meinung.

„Ombudsleute können helfen, schnell und unbürokratisch sachliche Fehler oder Ungenauigkeiten zu korrigieren. Auch wenn sich die Redaktion im Ton vergriffen hat, unzulässig Werbung und redaktionelle Inhalte vermischt werden oder ein Artikel polarisiert, ist der Ombudsmann zur Stelle.“ So Paul-Josef Raue, zuletzt Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen in Erfurt, heute als einflußreicher Pensionär eifrig unterwegs, um Ombudsmänner und Ombudsfrauen zu installieren.

Auch Alexander Filipovic, Professor an der Hochschule für Philosophie in München und prominentes Mitglied des dortigen „Netzwerks für Medien-ethik“, setzt sich energisch für eine flächendeckende Installierung von Ombudsleuten in den Medien ein, sowohl in privaten wie öffentlich-rechtlichen. Zitat: „Wir wollen eigentlich auch Leute dazuholen in diese Vereinigung, die jetzt im weitesten Sinne auch mit der Ethik des Journalismus was zu tun haben. Die also die Vertrauenskrise, die im Journalismus da ist, auch reflektieren (…) Wir wollen im Grunde Ombud plus Ethik im Journalismus zusammenbinden.“


Ombud plus Ethik – die Formulierung ist verräterisch. Ursprünglich war der Ombudsmann ja eine Erfindung der sogenannten Achtundsechziger, mit dessen Hilfe die unbequemen privaten Zeitungen, vor allem die Springer-Presse, an die Kandare genommen werden sollten. Das Wort stammt aus dem Schwedischen, wo es so viel wie „Schiedsrichter“ bedeutet. König Karl XII. hatte es im achtzehnten Jahrhundert erstmals politisiert, als er einige seiner engsten Ratgeber zu „staatlich unabhängigen Schiedsrichtern“ erklärte, die in ihm unbequeme „Postillen“ eingelassen werden mußten, um dort für Wahrheit und Ethik zu sorgen.

So wie König Karl stellten sich die Achtundsechziger also den Ombudsmann vor, nur daß sie selber an die Stelle des Königs treten wollten. Einige Zeitungen stellten damals von sich aus freiwillig Ombudsleute ein; freilich handelte es sich bei denen durchweg um eigene Leute, vorzugsweise frühpensionierte „Leserbriefonkels“, die vor allem allzu aufgebrachte kritische Leserbriefschreiber beruhigen und bei der Stange, sprich: beim Abonnement, halten sollten, was ihnen dank ihrer Lebenserfahrung und ihres persönlichen Charmes in der Regel auch gut gelang, Insofern ging das revolutionäre Zensurprojekt Ombudsmann gründlich schief. 

Die Zeiten haben sich inzwischen jedoch tiefgehend verändert. Viele Medien, speziell die öffentlich-rechtliche Television und einige führende „Qualitätszeitungen“, gehören mittlerweile faktisch zur Regierung und ihren bürokratischen Unterabteilungen, bilden zusammen mit ihnen den „medial-politischen Komplex“, der die Herrschaft ausübt und sich in immer mehr Lebensbereiche einmischt. Das große Publikum indessen, die Abonnenten und Kiosk-Kunden, fühlen sich „von den Medien“ zunehmend im Stich gelassen und an der Nase herumgeführt. Es herrscht zunehmend Entfremdung zwischen Mensch und Medien. 

Und das Internet, die sogenannten „sozialen Medien“, haben die Möglichkeit eröffnet, ungefiltert und mit aller Grobheit (und faktisch in jeder Beziehung kostenlos) zurückzuschlagen. Es verschwindet etwas, das an sich zu jeder Form guter Kommunikation und Information dazugehört: das geheime Vergnügen aneinander, eine Art von Liebe, mag sein, auch Haßliebe, ein Gefühl des gegenseitigen Gebrauchtwerdens. Aus ehemaligen Leserbriefschreibern werden entweder blinde Speichellecker oder bösartige „Trolle“, die das Briefeschreiben zum reinen Kampfinstrument ausbauen.


Parallel dazu verwandeln sich charmante Leserbriefonkel in argwöhnische Aufpasser. Wer ist, so fragen sie, bloßer Troll, der gar nicht mehr seine Meinung sagen, sondern uns nur noch schaden will? Oder handelt es sich gar um eine ganze Trolltruppe, um ein Netzwerk von twitternden Stunkmachern und Großpopulisten, welches die heilige repräsentative Demokratie durch die höllische direkte Demokratie ersetzen will? Dann ist höchste Gefahr im Verzug und wir sollten den Fall am besten bei der Polizei melden.

Pankraz kann sich schwer vorstellen, daß es irgendwelche Ombudsmänner gibt, die die Kluft, die sich zwischen besorgten Zeitgenossen und medial-politischem Komplex aufgetan hat, zuschütten könnten. Richtige Politiker werden dafür gebraucht, keine pensionierten Ex-Journalisten, welche gern ein bißchen Medienlicht auf ihre alten Tage lenken möchten. Diese sind heute nicht einmal mehr in der Lage, mit ihrem reichen Erfahrungsschatz aus vergangenen Tagen bei Chefredakteuren Eindruck zu machen. Denn nirgendwo hat sich die Welt bekanntlich so kräftig verändert wie im Journalismus.

Das Projekt Ombudsmann ist vollständig gescheitert, wie alle in den 68er-Zeiten hochgedonnerten Projekte. Es war von Anfang an als Instrument zur Unterdrückung von Meinungsfreiheit angelegt, und heutige Medienleute sollten aus seinem Scheitern zumindest lernen, daß es keineswegs stets so aus dem Wald herausschallt, wie man hineinruft, und daß das keineswegs nur an den Trollen liegt, die dort wohnen. 

Ein Pressebetrieb, der allen Ernstes glaubt, er habe – da die Alphatiere in den Medien sich doch alle einig sind – auch einen Einheitskonsumenten nebst politisch korrektem Internetforum – der liegt falsch und wird viel Auflage verlieren.