© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/18 / 11. Mai 2018

Der entfesselte Haß
Die deutsche Übersetzung der Erinnungen des Journalisten Slavko Goldstein ruft die Schrecken unter der kroatischen Ustascha-Herrschaft nach 1941 wach
Matthias Bäkermann

Im Frühjahr 1992 sorgte ein Vorfall in Toronto für Fassungslosigkeit: Inmitten der vorstädtischen Idylle schossen zwei über 70jährige Rentner aus ihren benachbarten Häusern aufeinander. Den beiden gelang es, als frühere kriegsgefangene „Jugos“ 1947 aus deutschen „Displaced Persons“-Lagern auszuwandern. In der Fremde halfen sie sich gegenseitig, gründeten Familien und bauten sich gutsituierte Existenzen auf. Doch jetzt spielte ihre jahrzehntelange Freundschaft keine Rolle mehr. Der mehr als 7.000 Kilometer entfernte Krieg auf dem Balkan machte aus den zwei Kanadiern haßerfüllte Feinde. Sie waren plötzlich wieder nur noch ein Serbe und ein Kroate. 

Der zur Titozeit einflußreiche Zagreber Journalist Slavko Goldstein hatte 2007 seine Erinnerungen herausgegeben, die diesen Haß zu ergründen versuchen. Im Jugoslawien unter Josip Broz „Tito“ brodelte dieser nur weiter, tief unter der sozialistischen Kruste. Der 1928 geborene Sohn eines jüdischen Buchhändlers aus Karlovac spürt nun dessen Ursprung vor allem im Umbruchjahr 1941 nach. 

„Ungeheurer Terror der Ustascha“ nach 1941

Nach der Kapitulation des Königreichs Jugoslawien gegenüber den Achsenmächten Deutschland und Italien proklamierte Oberst Slavko Kvaternik am 10. April „im Namen der Ustascha-Bewegung den Unabhängigen Staat Kroatien“. Da die nur wenige tausend Mitglieder starke faschistische Organisation, die größtenteils unter ihrem Führer Ante Pavelic im italienischen Exil weilte, Mussolinis Annexionsplänen in Dalmatien zustimmte, konnte die Ustascha mit dessen und Hitlers Placet in das entstandene Machtvakuum vordringen und Pavelic sich zum „Poglavnik“ (Staatsführer) ausrufen.

Goldstein schildert, wie die auf schmalster politischer Basis stehenden Ustascha-Kader sich rasch der Polizeigewalt bemächtigten und sogleich damit begannen, namhafte politische Gegner zu inhaftieren. Goldsteins Vater war als Jude und Kopf eines linken Intellektuellenzirkels einer der ersten, der festgenommen, verschleppt, enteignet und schließlich im KZ Jadovno ermordet wurde.

Der Rest der Familie flüchtet daraufhin, kommt unweit von Karlovac bei Bekannten unter und schließt sich später den kommunistischen Partisanen an, die sich gegen die Besatzer und die Ustascha formieren. Letztere fingen nach der Beseitigung vieler politischer Gegner umgehend damit an, „mit Schwert und Feuer ganze 1,8 Millionen orthodoxe Serben zu vertreiben“, wie Edmund Glaise von Horstenau, der offizielle Wehrmachtsvertreter beim kroatischen Verbündeten, nach Berlin meldete und gleichzeitig den „ungeheuren Terror der Ustascha“ beklagte, die im Kampf gegen die königstreuen serbischen Tschetniks ganze Dörfer ausrotteten. 

Goldsteins bestechende Schilderungen dieser Ustascha-Greuel finden ausgiebig Raum und sind allein dadurch als historisches Dokument wertvoll. Allerdings trübt das Bild immer wieder die Parteilichkeit des früheren Partisanenoffiziers, der die nicht minder üblen Exzesse der Tschetniks ebenso ausklammert wie er die Grausamkeiten der Partisanen, „deren Disziplin nach 1943 nachließ“, äußerst verhalten andeutet. Bei deren brutalen Massakern an vermeintlich kollaborierende Zivilisten kommen jene eben nur „durch die Hand der Partisanen ums Leben“ oder werden „abgeholt und kehren nie wieder nach Hause zurück“. 

Er ahnte früh, so schreibt Goldstein später, daß der kommunistische Rachefeldzug, all jenes, „was in Bleiburg und auf dem ‘Kreuzweg’ 1945 geschehen war, ein Trauma von großem Ausmaß sein mußte“. Tatsächlich sollten 1991 beim Aufflammen des Krieges im zerbrechenden Jugoslawien auch alte Rechnungen dieser Nachkriegs-Bluttaten beglichen werden. Die „Saat des Hasses“, die Goldstein im Jahr 1941 gelegt sieht, dürfte auf dem Balkan zudem in viel weiter zurückreichenden Zeiten wurzeln. 

Slavko Goldstein: 1941. Das Jahr, das nicht vergeht. Die Saat des Hasses auf dem Balkan. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018, gebunden, 607 Seiten, Abbildungen, 30 Euro