© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/18 / 11. Mai 2018

Pausenlos macht es „Ping“
Das klassische Telefonieren stirbt aus – und kommt in neuer Form wieder
Bernd Rademacher

Das mediale Artensterben geht weiter. Neben dem Dinosaurier-Fernsehen ist auch das Telefon kein Zukunftsmodell mehr. Immer weniger Menschen haben noch einen Festnetzanschluß. Telefonie verlor in den vergangenen drei Jahren in Deutschland 30 Prozent Anteil an der Telekommunikation, während Messengerdienste um den gleichen Wert zulegten. Für Jüngere ist das Festnetztelefon in etwa so hip wie ein Faxgerät oder die Rohrpost.

Mit dem museumsreifen Telefon verschwinden viele Erinnerungen, zum Beispiel das ewig verdrehte oder für abgeschottete Gespräche in der Kammer zu kurze Kabel, die ziegelsteinschweren Telefonbücher und ihre Abholung bei der Post oder die Frage: „Wie ist nochmal die Vorwahl von Wuppertal?“ Oder die Ermahnung, Ferngespräche mit einer dieser Billig-Vorwahlen abends zu führen, weil sie nach 18 Uhr günstiger waren.

Alte Silberrücken erinnern sich sogar noch an die Zeit, als es nicht mal die Rufnummernübertragung gab. Der Anrufer konnte die Freundin oder der Schuldirektor sein, man erfuhr es nur durch Abheben des Hörers – welch Alltagsspannung.

Unsitte des lauten Redens stirbt nicht aus

In der Kindheit sperrten die Eltern die Wählscheibe des Telefons – das im Flur einen Ehrenplatz neben dem Nummernbuch auf einem Tischchen mit Brokatdecke hatte – während ihrer Abwesenheit zum Schutz gegen exzessive Plauderei und Telefonstreiche mit einem Schloß ab. Doch schnell fanden wir heraus, daß der Wähl-Impuls simuliert werden kann, indem man für jede Ziffer entsprechend oft auf die Gabel drückte. Die Eltern kannten den Trick nicht und haben das Rätsel der unerklärlich hohen Telefonkosten nie gelöst.

Doch selbst mit dem modernen Smartphone wird heute kaum noch telefoniert. Für „Kids“ ist anrufen „voll Neunziger“. Auch die gute alte SMS ist zum Fossil geworden. Kommuniziert wird nur noch über private Dienste, vor allem WhatsApp und Instagram. Seitdem macht es pausenlos „Ping“ in Jacken- und Hosentaschen. Und wenn auf einen informellen Gruß alle Mitglieder einer WhatsApp-Gruppe antworten, macht es „Pingpingpingpingping“, und die Freundesclique in der Bahn wischt kollektiv hastig über die Bildschirme. Früher konnte man eingehende Anrufe ignorieren, aber heute angesichts schnell mal eben geöffneter Textnachrichten mit kleinen „Gesendet und Gelesen“-Häkchen, kann eine solche Mißachtung zu noch energischeren Rechtfertigungsforderungen führen. Mit einem kurzen „Schaffe es doch nicht“ – anonymer und schneller als ein kurzer Handyanruf – erfährt die Unverbindlichkeit ihre nächste Steigerung.

Leider stirbt mit dem Telefonieren nicht die Unsitte des lauten Gesprächs in der Umgebung fremder Mitmenschen aus. Die Flegel, die früher ein ganzes Zugabteil mit ihrem Telefongelaber ungefragt unterhielten, sind einfach mit der Zeit gegangen: Das neue Telefonieren ist das Nutzen der Sprachmitteilungsoption von WhatsApp. Überall quasseln Passanten in ihre Handys wie in ein Diktiergerät. Hören sie auch noch die Antwort ab, wird man wieder unfreiwilliger Ohrenzeuge des Dialogs. Ein richtiges Gespräch, spontanes empathisches, aber auch Eloquenz trainierendes Reagieren ist das jedoch nicht.

Für Traditionalisten ist das Aussterben des Telefonierens eine kulturelle Verarmung. Aber warum sollte man anderen Menschen überhaupt noch zuhören, das paßt auch nicht zum Zeitgeist von Ichbezogenheit und Debattenverengung. Stimmungen kann man schließlich auch mit gelben Grinsegesichtern ausdrücken. Staatschefs machen’s vor: Früher griff man in Krisen zum roten Telefon, heute twittert man vom Sofa Bombendrohungen.

Telefonieren als echte ehrliche Handarbeit

Aber vielleicht gibt es ja irgendwann – ähnlich wie bei Vinyl-LPs oder Musikkassetten – ein Retro-Revival. Vielleicht gilt Oldschool-Telefonieren irgendwann wieder als cool und Vintage. Wenn die Leute von verstümmelten Sätzen, LG-Kürzeln und Emojis die Nase voll haben, wird Telefonieren vielleicht wieder als echte ehrliche Handarbeit der Telekommunikation gewürdigt. Dann wird auch der vergessene Brauch wiederbelebt, während des Gesprächs meditativ Papierblöcke mit Mustern vollzukritzeln.

Immerhin gibt es schon wieder alte, schwere Telefonhörer – mit Klinkenanschluß am Spiralkabel fürs Smartphone, die so mancher junger Hipster zur Schau trägt. Und sicher ist es auch kein Zufall, daß der sprichwörtliche „Klingelton“ („Old Phone“) immer noch zu den beliebtesten Akustiksignalen von Handys zählt.