© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/18 / 18. Mai 2018

Verengte Spielräume
Protektionismus: Zahlreiche Vorschriften behindern den deutschen Mittelstand bei Geschäften im Ausland / Strafen und Bußgelder drohen
Dirk Meyer

Dank millionenschwerer Lobbyarbeit stehen Großkonzerne im Fokus von Politik und Medien. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) machen jedoch 99 Prozent aller Firmen in Deutschland aus, beschäftigen 60 Prozent aller Arbeitnehmer und erzielen 48 Prozent der Bruttowertschöpfung. Es handelt sich um etwa 2,1 Millionen, oft eigentümergeführte Firmen mit einem Jahresumsatz unter 500 Millionen Euro und weniger als 250 Beschäftigten. Betreiben diese Mittelständler Auslandsgeschäfte, kommt neben der heimischen auch die dortige Bürokratie hinzu.

?Beispiel Arbeitnehmerentsendung: Zahlreiche KMU sind im Kundendienst oder beim Aufbau von Anlagen im Baugewerbe aktiv. Jährlich betrifft dies etwa 250.000 deutsche Beschäftigte. Zwar ist deren Freizügigkeit in der EU gewährleistet (Artikel 45 AEU-Vertrag). Die Entsenderichtlinie – zuletzt Ende 2017 verschärft – beinhaltet jedoch Bedingungen wie den Grundsatz: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort vom ersten Tag.“ Sie läßt den EU-Mitgliedstaaten erhebliche Spielräume für protektionistische Behinderungen.

Vor der Einreise eines Mitarbeiters nach Frankreich muß das KMU auf der Webseite der Arbeitsinspektion auf französisch oder englisch verschiedenste Angaben machen: vom Arbeitgeber (Name, Firmenangaben, Rechtsform, Eintragung ins deutsche Handelsregister, Führungskräfte); über jeden Arbeitnehmer (geplante Tätigkeit, Ort, Unterbringung, Lohn, Arbeitszeit); bis hin zum Kunden (Adresse, Identifikationsnummer der Betriebsstätte). Dazu ist eine französisch sprechende Repräsentanz mit französischer E-Mailadresse als Ansprechpartner für die Arbeitsinspektion anzugeben. Weiter geht es nach der Einreise: Entsendebescheinigung, Nachweis der Kranken-/Sozialversicherung, arbeitsmedizinische Bescheinigung, Arbeitsvertrag, Nachweis der Bezahlung, Rapport über Arbeitszeit und Umsatzhöhe.

Mit dem Grenzübertritt gilt für den deutschen Beschäftigten das Günstigkeitsprinzip. Wird er nach deutschem Mindestlohn (8,84 Euro pro Stunde) bezahlt, erhält er von der ersten Stunde an den französischen Mindestlohn (9,88 Euro). Er genießt die 35-Stunden-Woche, für alle Mehrarbeiten werden Überstundenzuschläge fällig. Zudem sind Höchstarbeits-, Pausen- und Ruhezeiten sowie Feiertage nach französischem Recht einzuhalten. Dazu kommen Verwaltungskosten von 40 Euro pro entsandtem Mitarbeiter.

Embargos, Produktpiraterie und Wirtschaftsspionage

Und das alles bei jeder Entsendung neu, sonst drohen Geldstrafen bis 2.000 Euro pro Mitarbeiter. Vergleichbare Anforderungen bestehen in Italien. Erschwerend kommt hier die Anforderung der ausschließlich in Italienisch vorzunehmenden Angaben inklusive Übersetzung des Arbeitsvertrages hinzu. Die Abrechnungsunterlagen (zum Beispiel Lohn-/Stundenzettel) müssen in italienischer Sprache zwei Jahre nach Entsendung in gedruckter und elektronischer Form vorgehalten werden. Die Geldbußen schwanken zwischen 150 und 6.000 Euro je nach Vergehen.

KMU treffen diese schikanösen Regelungen besonders, da sie nicht die Routinen und Ressourcen eines Großkonzerns besitzen. Aus deutscher Sicht ist es zudem bedauerlich, da dieser Protektionismus eigentlich gegen „Billiglöhner“ aus Osteuropa gerichtet ist. Als „Europa-Versteher“ sollte Präsident Emmanuel Macron das kleine Einmaleins des europäischen Binnenmarktes befolgen und kein „Raising Rivals’ Costs“ zum Schutz heimischer Anbieter praktizieren.

? Beispiel Patentschutz: Zahlreiche der rund 67.000 „größeren“ KMU (50 bis 250 Beschäftigte, zehn bis 50 Millionen Jahresumsatz) sind auf ihren Gebieten Weltmarktführer und gehören zu den „Hidden Champions“. Vielfach haben diese Firmen ihre Technologien patentgeschützt oder versuchen anderweitig einen Know-how-Abfluß zu verhindern. Im Gegensatz zu Großunternehmen fehlen jedoch die finanziellen und personellen Mittel, um Verstößen gerade im Ausland wirksam entgegentreten zu können.

Wirtschaftsspionage und Produktpiraterie ist hier relativ risikolos. Deren Schaden wird vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) auf bis zu 30 Milliarden Euro geschätzt. Neben den Kosten für Detekteien, Recherchen, Gutachten und die Rechtsberatung belastet auch der Zeitfaktor KMU-Patentinhaber. Bisweilen kann ein Patentstreit Jahre dauern. Kommen unklare Rechtsverhältnisse und korrupte Strukturen wie in China oder Indien hinzu, geraten die Verfahren zu einem Vabanquespiel.

? Beispiel Dual-Use: Dies betrifft Güter mit zivilem und militärischem Verwendungszweck. Neu in die Dual-Use-Verordnung der EU hinzugekommen sind Cyber-Überwachungstechnologien, die bei schweren Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden können. Software, Pumpen, die zur Urananreicherung geeignet sind, Laser, elektronische Bauteile, Keramik-Produkte – alle diese Produkte können zivil wie militärisch als auch zur Unterdrückung genutzt werden. Embargoländer sind nicht nur Iran und Rußland, auch Syrien, Nordkorea oder Venezuela. Für jedes Land bestehen spezifische Verbote. Ist man auch auf dem US-Markt aktiv, ist es noch gefährlicher.

Sodann wird in Güterlisten zwischen zwingend genehmigungsbedürftigen Gütern und solchen Gütern, die nur unter bestimmten Umständen einer Genehmigung bedürfen, unterschieden. Ohne Hilfen überfordert dies jeden Mittelständler. Eine Nichtbeachtung wird mit empfindlichen Strafen und Bußgeldern geahndet.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.