© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/18 / 18. Mai 2018

„Mit Disneyland hat das nichts zu tun“
Stadtgestaltung: Ein Gespräch mit Claus-M. Wolfschlag, einem der Initiatoren der neuen Frankfurter Altstadt

Herr Dr. Wolfschlag, vergangene Woche sind die Bauzäune um die neue Frankfurter Altstadt gefallen. Sie haben 2005 als Ideengeber zusammen mit dem damaligen Stadtverordneten Wolfgang Hübner von den Freien Wählern – Bürgerbündnis für Frankfurt (BFF) den Startschuß für das Projekt gegeben. Hat sich nun also ein Herzenswunsch für Sie erfüllt?

Wolfschlag: Sicherlich. Ich bin noch innerlich etwas überwältigt von meinem ersten Gang über den Hühnermarkt. Das historische Herz der Stadt ist nun wieder sinnlich erfahrbar. Das ist auch eine Identitätsfrage.

Was ist in mehr als fünfjähriger Bauzeit dort entstanden?

Wolfschlag: Das Areal umfaßt etwa sieben Hektar. Auf ihm wurden die historischen Gassenverläufe wiederhergestellt. Zudem wurden von insgesamt 35 Gebäuden 15, eigentlich sogar 16, rekonstruiert. Darunter befinden sich aufwendige Einzelbauten wie das gotische Rote Haus oder die Goldene Waage aus der Renaissance-Zeit. Der Rest besteht aus angepaßten modernen Gebäuden, die sich an die Gestaltungsrichtlinie zu halten hatten, beispielsweise in der Dachform.

Die Widerstände gegen das Rekonstruktionsprojekt waren anfangs doch aber sehr groß, oder?

Wolfschlag: Es fehlte da etwas an Phantasie und Glaube an die Realisierbarkeit eines solchen Projekts. Jahrzehntelange Abstumpfung durch modernistische Architektur hat eben auch geistige Spuren hinterlassen. Diese Widerstände verflogen allerdings schrittweise, als die Politik die sehr positive Resonanz auf die Idee in der Bevölkerung mitbekam. Der eigentliche Widerstand kommt aber aus der Architektenschaft, und zwar vor allem von den Theoretikern in den Museen, Hochschulen sowie in der Berufsvereinigung „Bund Deutscher Architekten“. Die Ablehnung dieser Leute gibt es bei fast jedem Rekonstruktionsprojekt in ähnlicher Weise.

Heute feiern sich nahezu alle Lokalpolitiker bis hin zu SPD-Oberbürgermeister Peter Feldmann für die neue Altstadt. Wie kam der Sinneswandel zustande?

Wolfschlag: Das beobachtet man regelmäßig. Anfangs sind Skepsis und Vorbehalte groß. Die Vorstellungskraft reicht noch nicht aus. Sind dann Rekonstruktionsvorhaben vollendet, haben die Leute diese also sinnlich vor Augen, löst sich das meist in Staunen, Freude und Wohlgefallen auf.

Kritiker aus der Architektenszene bemängeln bis heute, daß hier kein lebendiges Wohnviertel erbaut wurde, sondern ein nostalgisches Freilichtmuseum für Touristen, ein Frankfurter Disneyland.

Wolfschlag: Das ist pure, aber gerne verwendete Polemik. Hier wurde kein Freizeitpark mit Pappkulissen gebaut, sondern ein neues wertiges Stadtquartier errichtet. Mit Rekonstruktionen anhand historischer Pläne und Fotografien. Hier wird es Wohnungen, Geschäfte und Gastronomie geben. Mit Disneyland hat das nichts zu tun.

Zurück zu Ihrer Rolle: Der Stuttgarter Architekturprofessor Stephan Trüby monierte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, daß die Initiative zu dem Projekt von Ihnen ausging, einem „Rechtsradikalen“ und Autor der „Neuen Rechten“. Fühlen Sie sich ertappt?

Wolfschlag: Nein. Ich weiß ja, was ich als Publizist unter anderem in der JUNGEN FREIHEIT veröffentlicht habe und stehe dazu. Ganz im Gegenteil, Trüby und seine ihm Schützenhilfe gebenden Freunde aus dem Dunstkreis der modernistischen, in der 68er-Zeit gegründeten Zeitschrift Arch+ entlarven sich selbst.

Trüby schreibt: „Die Rekonstruktionsarchitektur entwickelt sich in Deutschland derzeit zu einem Schlüsselmedium der autoritären, völkischen, geschichtsrevisionistischen Rechten.“ Die „scheinbar bruchlose Wiederholungsarchitektur“ solle eine alternative Historie erzählen, „in der der Nationalsozialismus, die deutschen Angriffskriege und der Holocaust allenfalls noch als Anekdoten einer ansonsten bruchlosen Nationalgeschichte überleben“. Das ist starker Tobak.

Wolfschlag: Das ist die Ideologie, mit der modernistische Architektur manchmal begründet wird. Grob skizziert: Da die Deutschen schuld am Zweiten Weltkrieg und den NS-Verbrechen gehabt hätten, seien die Zerstörungen ihrer Städte eine Art gerechte Strafe gewesen. Deshalb sollen sie bis in alle Ewigkeit in Flachdachblöcken hausen müssen. Die Zerstörungen durch eine Rekonstruktion oder Stadtreparatur rückgängig machen zu wollen, ist im Denken dieser Ideologen „Geschichtsrevisionismus“. Und nur deshalb wird mir auch ein solcher vorgeworfen, obwohl ich mich sonst nie zu den üblichen „geschichtsrevisionistischen“ Themen geäußert habe.

Welches Ziel verfolgen Leute wie Trüby?

Wolfschlag: Es soll die Rekonstruktionsbewegung behindert werden, indem man sie Rechtfertigungszwängen auszusetzen versucht. Im Antifa-Stil soll über einen „Rekonstruktions-Watch“ nach „Rechten“ in betreffenden Bürgerinitiativen gesucht werden. Daß dann jemand wie ich sozial geschädigt werden soll, macht diesen Leuten überhaupt nichts aus. Das ist ein beliebtes Spiel, aber in Wahrheit sitzt ihnen die Angst im Nacken.

Wovor haben sie denn Angst? 

Wolfschlag: Diese Leute haben angesichts des Erfolgs von Rekonstruktionsvorhaben bei der Bevölkerung Angst. Sie haben Angst, daß das Schule machen könnte. Sie haben Angst, ihren alles dominierenden Einfluß stellenweise zu verlieren.Thorsten Thaler

 https://clauswolfschlag.wordpress.com