© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/18 / 18. Mai 2018

Der sich selbst nährende Krieg
Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges vor 400 Jahren: Von einer lokalen Adelsrevolte zum schrecklichsten Krieg Europas
Dag Krienen

Als den Erzbischof von Köln im August 1619 die Meldung erreichte, daß die böhmischen Stände den Habsburger Ferdinand II. (1578–1637) als böhmischen König abgesetzt hätten, bemerkte er, falls dies stimmen sollte, „möge man sich nur gleich auf einen zwanzig-, dreißig- oder vierzigjährigen Krieg gefaßt machen“. Dem Erzbischof Ferdinand von Bayern, (1577–1650), Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches und Mitglied der bayerischen Linie der Wittelsbacher, war klar, welche brisante politische Lage durch die Revolte der böhmischen Stände gegen ihren, 1617 noch explizit von ihnen anerkannten, Landesherren entstanden war.

Begonnen hatte diese Revolte am 23. Mai 1618, als adelige Verschwörer um den Grafen Heinrich Matthias von Thurn (1567–1640) zwei katholische Räte und ihren Sekretär aus einem Fenster der Prager Burg in den 17 Meter tiefer liegenden Burggraben warfen. Diese überlebten auf wundersame Weise den Mordanschlag, der Friede im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation hingegen nicht.

Religion nur als Vehikel für neuzeitliche Staatlichkeit

Nun stellten im 17. Jahrhundert handfeste Auseinandersetzungen von Herrschern mit ihren Landständen, das heißt den Vertretern des regionalen Adels sowie teils auch der Städte oder der Kirche, keine Besonderheiten dar. Die Habsburger hatten in nahezu all ihren  damals noch nicht zu einem einheitlichen Staat zusammengefaßten Territorien mehr oder minder schwere Konflikte auszufechten. Dennoch entwickelte sich in diesem Fall aus einem Ereignis von scheinbar nur lokaler Bedeutung ein reichsweiter, ja ein europäischer Konflikt. Dabei spielten eine ganze Reihe von unterschiedlichen Ursachen und Motiven eine Rolle, die mehr oder weniger eng miteinander verzahnt waren. Diese wechselseitige Verzahnung beförderte die Eskalation der Gewalt und ließ ein unentwirrbares Netz entstehen, das den Frieden fast unauffindbar machte.

Der Große Krieg besaß zweifellos eine religiöse Dimension. Den Landständen der habsburgischen Gebiete und auch den Reichsständen diente das Herausstellen der evangelischen Konfession zur Legitimation ihres Widerstandes gegen eine Ausdehnung der Macht des katholischen Kaisers. Ferdinand II. strebte die Rekatholisierung aller habsburgischen Lande an. Konfessionelle Homogenität galt den meisten Zeitgenossen als notwendig für ein friedliches Zusammenleben in einem Gemeinwesen. Die konfessionelle Seite des Krieges war insofern eng verbunden mit der Durchsetzung neuzeitlicher Staatlichkeit, so daß einige Forscher sogar von einem „Staatenbildungskrieg“ sprechen.

Als Kaiser wünschte Ferdinand II. auch eine Stärkung der Stellung des Katholizismus im ganzen Heiligen Römischen Reich. Daß er dieses zur Gänze gewaltsam rekatholisieren und in eine absolutistische Monarchie zu verwandeln trachtete, war indes eine Unterstellung seiner Feinde. Prinzipiell respektierte Ferdinand die korporative Struktur des Reiches und die Rechte der einzelnen Reichsstände ebenso wie den Augsburger Religionsfrieden von 1555 mit seinen Besitzgarantien für die Lutheraner. Sein berüchtigtes Restitutionsedikt von 1629 stellte eine, wenn auch die Katholiken bevorzugende Auslegung dieses Friedens dar, aber keinen Versuch zur Austilgung des Protestantismus in Deutschland.

Tatsächlich erhielt der Kaiser während der meisten Zeit des Krieges nicht nur Unterstützung von den in der „Liga“ verbundenen katholischen, sondern auch von der Mehrzahl der protestantischen Reichsstände, darunter auch der führenden lutherischen Macht, dem Kurfürstentum Sachsen. Bei seinen schärfsten innerdeutschen Gegnern handelte es sich oft um (im Augsburger Frieden nicht berücksichtigte) Calvinisten, allen voran der Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz (1596–1632), der 1619 von den böhmischen Ständen zum neuen König Böhmens gewählt wurde.

Durch diese Wahl war der innerhabsburgische Konflikt endgültig mit denen auf der Reichsebene verknüpft worden. Gleichzeitig war er damit zu einem noch verdeckten europäischen Konflikt geworden, denn des Pfälzers Schwiegervater war der englische König Jakob I. Dieser griff nicht offen in den Krieg ein, unterstützte seinen Schwiegersohn aber durch Subsidien und Söldner. 

Noch ein zweites Faktum machte den Konflikt zu einem europäischen: die Habsburger stellten nicht nur den deutschen Kaiser, sondern eine andere Linie dieser Dynastie auch den spanischen König. Die beiden Linien waren zwar seit 1555 getrennt, aber durch wechselseitige Heiraten immer noch eng miteinander verbunden. Spanien hatte Streitkräfte im heutigen Belgien gegen die aufständischen Niederlande konzentriert, wo nach einem längeren Waffenstillstand der Kampf 1621 wieder eröffnet wurde. Beide Gebiete gehörten formal noch zum Reich, doch bemühten sich fast während des ganzen Krieges die Konfliktparteien in Deutschland darum, ihre Auseinandersetzungen nicht mit den spanisch-niederländischen zu verquicken.

Zum offen europäischen Krieg wurde der Dreißigjährige durch das aktive Eingreifen Schwedens ab 1630 und Frankreichs ab 1635. Im einen Fall ging es Schwedens König Gustav II. Adolf vor allem um die Hegemonie im Ostseeraum, im anderen um das Bemühen Ludwigs XIII. der Hegemonie in Europa, um die sich Frankreich schon seit dem 16. Jahrhundert mit den Habsburgern stritt.

Den „Staatenbildungskrieg“ in ihren eigenen Territorien konnten die Habsburger schnell und eindeutig für sich beenden. Die katholische Liga unter der Führung des bayerischen Herzogs Maximilian (1573–1651) kam dem permanent finanzschwachen Kaiser mit einem Heer unter der Führung des Grafen Johann von Tilly (1559–1632) zur Hilfe. Dieses errang in der Schlacht am Weißen Berg bei Prag am 8. November 1620 einen vernichtenden Sieg über die böhmischen Truppen. Der als „Winterkönig“ verspottete Friedrich V. floh, die Macht der Landstände in Böhmen und auch in den anderen habsburgischen Territorien brach zusammen.

Beträchtliche Folgen für die Demographie des Reiches

Der Krieg endete damit nicht. Die Fähigkeit zur Kriegführung hing damals vor allem von der Fähigkeit zur Besoldung von Soldaten ab und war nicht an ein festes Territorium gebunden. Finanzielle Unterstützung von anderen Mächten, sogenannte Subsidien, und das Beitreiben von Kontributionen in besetzten Gebieten erlaubten einzelnen Söldnerführern, die Kämpfe so lange fortzusetzen, wie Geld floß. Das nutzte auch der Kaiser. Der böhmische Landadelige Albrecht von Wallenstein (1583–1634) stellte ab 1624 für den Kaiser ein großes Heer auf eigene Kosten auf, die durch Kontributionen aus den besetzten Gebieten wieder eingetrieben werden sollten. Damit gelang es zwischen 1625 und 1629, den durch französische und englische Subsidien unterstützten Angriff König Christian IV. von Dänemark abzuwehren und ganz Norddeutschland zu besetzen.

Die so erreichte kaiserliche Machtfülle stieß sowohl bei den bislang kaisertreuen protestantischen, als auch bei den katholischen Reichsständen auf Widerstand. Den Versuch zum Aufbau einer kaiserlichen Ostseeflotte unter Wallenstein sah zudem der schwedische König Gustav II. Adolf (1594–1632) als unmittelbare Bedrohung der eigenen Pläne zur Errichtung einer schwedischen Hegemonie in diesem Raum an. Französische Subsidien und der Seitenwechsel einer Reihe von bislang kaisertreuen protestantischen Reichsständen, darunter auch Kursachsen, ermöglichten den schwedischen Siegeslauf im Reich, der den Tod des Königs bei Lützen 1632 überdauerte. Erst der Sieg bei Nördlingen im September 1634 erlaubte es dem Kaiser noch einmal, das Blatt zu wenden. Am 30. Mai 1635 schloß er mit fast allen Reichsständen den Prager Frieden, um mit ihnen gemeinsam alle fremden Mächte aus Deutschland zu vertreiben.

Der offene Kriegseintritt Frankreichs 1635 und der Niedergang der Macht der spanischen Vetter ab 1640 machten diese Hoffnung zunichte. Es folgten Jahre weiterer Kämpfe auf deutschem Boden, mit wechselndem Erfolg, aber ohne wirklich entscheidende Schlachten und eindeutige Sieger. Allmählich sahen alle Parteien ein, daß ein voller Sieg unerreichbar und ein Kompromißfrieden unumgänglich war.

Nach mehrjährigen Verhandlungen konnten in mehreren Einzelverträgen in Münster und Osnabrück alle nötigen Kompromisse zum Westfälischen Frieden zusammengeknüpft werden, der am 24. Oktober 1648 den Dreißigjährigen Krieg beendete. Durch den Frieden wurden unter anderem den größeren Reichsständen fast alle Merkmale staatlicher Souveränität zugestanden und damit die territoriale Zersplitterung Deutschlands bekräftigt. Andererseits blieb das Reich als Konföderation dieser Quasi-Staaten und älteren, kleineren Herrschaftsgebilden (Freie Städte, Kirchenfürsten, Reichsritter etc.) und damit als Instrument der Friedenssicherung zwischen ihnen erhalten.

Schwerste Katastrophe in der deutschen Geschichte 

Nicht dieser Frieden, sondern der Krieg hatte Deutschland verstümmelt. Die wirtschaftlichen und kulturellen Einbußen des Landes durch den Krieg waren immens. Bedeutender noch waren die enormen Menschenverluste. Nach neueren Schätzungen verlor Deutschland 20 bis 25 Prozent seiner Einwohner. Besonders groß waren die Verluste in den umkämpften und wiederholt von Truppen durchzogenen Regionen. In Mecklenburg, Pommern, der Kurpfalz, großen Teilen Württembergs und Thüringens sank die Einwohnerzahl um 50 bis 70 Prozent. Einige Randgebiete, die vom Krieg kaum berührt worden waren, verzeichneten hingegen kaum einen Schwund und teilweise sogar ein gewisses Wachstum. Insgesamt war der Dreißigjährige jedoch der demographisch verlustreichste Großkrieg der europäischen Geschichte.

Für das massenhafte Sterben waren, wie in allen vormodernen Kriegen, vor allem Hunger und Seuchen verantwortlich und weniger direkte Gewaltanwendungen und Kriegsgreuel. Doch für die Ausbreitung von Seuchen und Krankheiten sowie die vielen lokalen Hungersnöte sorgten vor allem die umherziehenden Truppen. 

Die Dauer des Krieges ließ das Prinzip der „Ernährung des Krieges durch den Krieg“ immer wichtiger werden. Die Heere besetzten Gebiete oft allein, um sich dort „satt zu fressen“, und das so oft und lang, wie dort überhaupt noch etwas zu holen war. Selbst wenn das Auspressen nur in der „ordentlichen“ Form der Beitreibung von Kontributionen geschah, führte das auf Dauer zu einer Verarmung der örtlichen Bevölkerung bis zur Grenze des Hungers und darüber hinaus. Hinzu kam, daß die Kriegsherren meist chronisch klamm waren und ihren Soldaten oft lange Zeit Sold und sonstige Versorgung vorenthielten, was diese zum Requirieren auf eigene Faust zwang, das oft genug in wildes Plündern und Brandschatzen ausartete.

Für „Deutschland als Ganzes war der Dreißigjährige Krieg unbestreitbar eine einzigartige Heimsuchung“ und galt aus gutem Grund „bis zum Zweiten Weltkrieg (...) in unserm Geschichtsbewußtsein als die schwerste politisch verursachte Katastrophe der deutschen Geschichte“ (Konrad Repgen). Auch nach 1648 fand das Land keine Ruhe. Von den französischen Einfällen unter Ludwig XIV. bis zu den Napoleonischen Kriegen wurde von ausländischen Mächten auf deutschem Boden immer wieder Krieg geführt. 

Vermutlich trug die Erfahrung, 200 Jahre lang immer wieder Kriegsschauplatz gewesen zu sein, dazu bei, daß die Deutschen im 19. Jahrhundert der nationalen Einheit, das heißt der Existenz eines starken, den Krieg von deutschem Boden fernhaltenden Nationalstaates mindestens ebensoviel Wert beimaßen wie der politischen Freiheit.






Eckdaten im 30jährigen Krieg

l 23. Mai 1618: Prager Fenstersturz

l 1618–1623 Böhmisch-pfälzischer Krieg

l 1620: Schlacht am Weißen Berg

l 1623 Übertragung der pfälzischen Kurwürde auf Bayern 

l 1623–1629 Dänisch-niedersächsischer Krieg

l 1626 Tilly besiegt Christian IV. von Dänemark bei Lutter

l 1629 Wallenstein wird Herzog von Mecklenburg

l 1630–1635 Schwedischer Krieg

l 1630 König Gustav Adolf von Schweden landet in Pommern

l 1632 Einnahme und Zerstörung Magdeburgs durch Tilly

l 1632 Schweden nehmen München ein

l 1632 König Gustav Adolf fällt in der Schlacht bei Lützen

l 1634 Ermordung Wallensteins in Eger

l 1635 Prager Friede zwischen Kaiser und protestantischen Reichsständen

l 1635–1648 Schwedisch-Französischer Krieg

l 1645–1648 Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück