© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/18 / 18. Mai 2018

Der Haß auf das Eigene
Zwei Bücher analysieren ein bizarres Phänomen unserer Zeit
Michael Dienstbier

Bei Martin Lichtmesz ist das deutsche Volk da, wo es im Moment hingehört, nämlich auf der Couch des Seelenklempners, und dessen Diagnose ist so deutlich wie unerfreulich – er attestiert dem Patienten eine „selbstzerstörerische Irrationalität, die im Deutschland Angela Merkels ein biederes Tantengesicht trägt und sich in humanitär-universalistischen Räuschen und kollektiven Verblendungen manifestiert“. 

Zusammen mit sechs anderen Publizisten begibt sich Lichtmesz, der zusammen mit Michael Ley den Sammelband „Nationalmasochismus“ herausgegeben hat, auf die Spur der Ursprünge des deutschen Selbsthasses, der in der sogenannten Flüchtlingskrise seine vorläufige Erfüllung gefunden hat. Von einem Buch mit dem Titel „Oikophobie: Der Haß auf das Eigene und seine zerstörerischen Folgen“, zuvor erschienen im Grazer Ares Verlag, erwartet man eine ähnliche Herangehensweise mit dem Fokus auf Europa liegend, handelt es sich bei dem Autor Thierry Baudet doch um einen niederländischen Politiker – er ist Vorsitzender der 2016 neu gegründeten Partei FvD –, der sich kritisch zu Themen wie EU, Islam und Migration geäußert hat. Ein roter Faden ist hier aber nicht vorhanden, besteht das Buch doch lediglich aus einer Ansammlung von vor 2013 in unterschiedlichen Zeitungen von Baudet veröffentlichten Kolumnen zu verschiedensten Themen, die nur teilweise dem titelgebenden Thema zuzuordnen sind.

Neben Lichtmesz und Ley sind Caroline Sommerfeld, Tilman Nagel, Siegfried Gerlich, Andreas Unterberger und Michael Klonovsky in der neuesten Publikation des Verlags Antaios vertreten. Der Politikwissenschaftler Michael Ley ist spätestens seit seiner 2015 erschienenen Darstellung „Der Selbstmord des Abendlandes“ einer größeren Leserschaft bekannt und analysiert hier in seinem Essay „Die neuen Götter des Abendlandes“ das Zusammenspiel von islamischer Opfertheologie und europäischem Schuldbewußtsein. 

Die gerade von den Islamverbänden verfolgte Strategie der Dauerviktimisierung aller Muslime treffe den Nerv vieler Europäer, die aufgrund der Kolonialgeschichte den innigen Wunsch nach Wiedergutmachung in sich trügen und nur allzu willig bereit seien, eigene kulturelle Traditionen auf dem Altar einer zu erbringenden Kompensationsleistung zu opfern. Migranten werde so in ihrer Rolle als „höchstem Heilsgut“ ein quasi sakraler Charakter zuteil, der dementsprechend nicht mehr Teil eines rationalen, an der Wirklichkeit orientierten Diskurses sein könne. 

Der österreichische Journalist Andreas Unterberger betont in seinem Beitrag die Unabdingbarkeit einer kulturellen Heimat für jeden Menschen, die im Regelfall einen fixen lokalen Bezugspunkt habe. In Europa habe sich seit Jahrhunderten die Nation als dieser Bezugspunkt herauskristallisiert und müsse als Quelle des Identifikationsbewußtseins gegen die zunehmend aggressiver auftretenden Globalisten verteidigt werden, für die Nationen und regionale Identitäten nur noch lästige Markthindernisse seien. Ein halbgarer Verfassungspatriotismus deutscher Prägung, so Unterberger, reiche nicht aus, da er viel zu abstrakt sei. Ein Wir-Gefühl entstehe nur durch in gemeinsamer Sprache gelebte konkrete Traditionen in Rückbindung an einen bestimmten Ort. 

Rassismusvorwürfe nur, wenn sie ins Weltbild passen

Abschließend wendet sich Martin Lichtmesz dem in den USA grassierenden „‘hyperrassischen’ Zeitgeist zu, der sich selbst ‘antirassistisch’ wähnt“ und offenbart dabei die innere Widersprüchlichkeit des linken Weltbildes, welches die Gleichheit und Unterschiedslosigkeit aller Menschen postuliert, aber immer in rassisch-ethnische Argumentationsmuster verfällt, wenn es darum geht, die eigene Agenda voranzutreiben: Ein weißer Polizist erschießt einen schwarzen Jugendlichen? Endgültiger Beweis für den institutionellen Rassismus in den USA. Ein weißer, behinderter Mann wird von vier Schwarzen gedemütigt und gefoltert – so geschehen 2017 in Chicago –, die das Martyrium ihres Opfers auch noch live auf Facebook streamen? Ein entsetzlicher Einzelfall, den man aber auf keinen Fall gegen die schwarze Community instrumentalisieren dürfe.

Die EU, der Prozeß gegen Geert Wilders, das niederländische Wahlrecht, der unheilvolle Einfluß supranationaler Organisationen, das Jagdrecht – Thierry Baudets Kolumnensammlung ist keine verbindende thematische Orientierung anzumerken. Markenkern seiner Partei ist die Kritik an der EU und dementsprechend beschäftigen sich die ersten fünfzig Seiten des Buches mit diesem Thema (Bürokratie, Freihandel, Währungspolitik). Das ist punktuell durchaus erhellend, aber auch oikophob? Nicht wirklich. 

Zum Teil unfreiwillig komisch gestalten sich seine Kolumnen im abschließenden Teil des Buches, die unter der Überschrift „Modernismus und Entwurzelung“ zusammengefaßt sind. Dort erfahren wir, daß Baudet atonale Musik für Teufelszeug hält, die Gefahren des Klimawandels für übertrieben und die Jagd für ein zu erhaltendes Kulturgut, welches angeblich bereits die Nationalsozialisten verboten hätten, was ins Bild passe, da Hitler bekanntlich Vegetarier war. 

Zudem berichtet er von der Premiere eines Films über die Erfindung des Vibrators, bei der zudem jeder Gast diverse Sexspielzeuge gewinnen konnte. Sicherlich nicht jedermanns Sache, aber Dildos und andere Dinge stellen wohl nicht die größte Gefahr für die Identität Europas dar, gab es sie doch bereits – bezeugt etwa durch Vasenmalereien – in der römischen und griechischen Antike. Zudem tragen einige inhaltliche Doppelungen dazu dabei, daß das Buch die durch den Titel erzeugte Erwartungshaltung nicht annähernd erfüllt.

Immer mehr Menschen fühlen sich von einem Diskurs der kulturellen Selbstbehauptung und der Verteidigung des Eigenen angesprochen. Dementsprechend wächst die Zahl der entsprechenden Publikationen. „Nationalmasochismus“ sticht dabei aus der Masse der Neuerscheinungen heraus und überzeugt mit fundierten, hervorragend zu lesenden Analysen über verschiedene Teilaspekte des Themas. 

Martin Lichtmesz,  Caroline Sommerfeld, Michael Ley u.a.: Nationalmasochismus. Verlag Antaios, Schnellroda 2018, gebunden, 248 Seiten, 19 Euro

Thierry Baudet: Oikophobie. Der Haß auf das Eigene und seine zerstörerischen Folgen. Ares Verlag, Graz 2017, broschiert, 180 Seiten, 18 Euro