© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/18 / 25. Mai 2018

Der Sozialismus überlebt – vorerst und pro forma
Präsidentschaftswahl in Venezuela: Der Sieg des sozialistischen Präsidenten Nicolás Maduro steht auf tönernen Füßen
Billy Six

Aus allen Ecken hallte es: „Vorwärts, Nico!“ Auf den Spuren seines 2013 verstorbenen Vorgängers Hugo Chávez, dem „großen Kommandanten des Vaterlandes“, hatteVenezuelas sozialistischer Präsident Nicolás Maduro (55) noch einmal Zehntausende Anhänger auf der Avenida Bolívar im Zentrum der Hauptstadt Caracas versammelt. Musik und Tanz belebten die Innenstadt – überwanden für einen Moment die allmächtige Depression. Feuerwerk und Konfetti-Regen für die vorgezogene Wahl zum neuen Staatsoberhaupt. 

Die perfekte Darbietung einer reichen Führung. Über 1.000 Milliarden US-Dollar hat sie allein mit der Übernahme des staatlichen Ölkonzerns PDVSA seit 1999 eingenommen. 

Mineralienhandel, Drogenschmuggel und „Bitcoin“-Förderung sind die neuen Milliardenmärkte, seit unglückliche Personalpolitik, Korruption und mangelnde Wartung die nationale Ölförderung im ressourcenreichsten Land der Welt einbrechen ließen. 

Die seit 20 Jahren versuchte gesellschaftliche Umgestaltung im Rahmen des „Bolivarischen Prozesses“ ist gescheitert. Zwar existieren die Hunderttausenden Sozialwohnungen der „Misión Vivienda“ nach wie vor, formell auch die Kampagnen zur Alphabetisierung. Doch mit großzügigen Geldgeschenken an die Massen ist es seit Jahren vorbei. Strom und Wasser blieben beinahe kostenfrei – doch sie fließen aufgrund maroder Infrastruktur und fehlenden Fachpersonals immer spärlicher. 1.000 Kilometer weite Busfahrten kosten umgerechnet nicht mal zwei Euro – doch mangels Fahrzeug-Ersatzteilen und Bargelds fallen die Reisen immer öfter aus. Die Löhne liegen für über 80 Prozent teils deutlich unterhalb von 10 Euro im Monat – aufgrund der aktuell auf 13.000 Prozent geschätzten Inflation. Die staatlichen Nahrungsmittelpakete „CLAP“ können die Unterversorgung für Millionen nur teilweise abfangen. 

Dennoch gelang es dem Bündnis um die linke Staatspartei PSUV erneut, ihren Kandidaten für das Amt des Staatschefs „zu bestätigen“: Mit 6,16 Millionen Stimmen habe dieser bei einer Wahlbeteiligung von 46 Prozent deutlich gegenüber dem sogenannten Herausforderer Henri Falcón, einem „neu-oppositionellen Ex-Chavista“ (mit 1,91 Millionen Voten), triumphiert, so die Wahlbehörde CNE. Ein Ergebnis, das viele auf der Straße für „eine Fälschung“ halten. 

Die Opposition, aber auch unabhängige Beobachter schätzen die Beteiligung auf 20 bis 30 Prozent. Das MUD-Bündnis, die traditionelle Opposition, Erben der 1998 abgewählten Politeliten, war erst gar nicht zur Abstimmung angetreten, nachdem führende Persönlichkeiten inhaftiert, exiliert oder ausgeschlossen worden waren. Sie hatten zum Boykott aufgerufen.