© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/18 / 25. Mai 2018

Defizitäre Umverteilung
Eurokrise: In der aktuellen EU-Reformdiskussion melden sich besorgte europäische Professoren zu Wort
Dietrich Vogt

Anläßlich des Reformtreffens der Eurogruppe haben etwa 150 Wirtschaftsprofessoren die Pläne des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker als falschen Schritt einer Vertiefung der Haftungs- und Transferunion abgelehnt. Stattdessen fordern sie eine Rückbesinnung auf die Grundpfeiler der Sozialen Marktwirtschaft für Europa, die EU-Grundfreiheiten des Binnenmarktwettbewerbs, die Subsidiarität und die Eigenverantwortung der Eurostaaten.

Ausgangspunkte der Diskussion waren zwei Vorschläge zur EU-Reform. In seiner Grundsatzrede an der Pariser Universität Sorbonne vom 26. September 2017 warb Macron für eine Stärkung der Eurozone durch eine Wirtschaftsregierung und für EU-weite Harmonisierungen. Neue Steuern – im Gespräch sind eine CO2-Steuer und eine Digitalsteuer – sollen ein eigenes Eurozonen-Budget im Umfang von mehreren Prozentpunkten des EU-Bruttoinlandsproduktes befüllen. Ein Finanzminister der Eurozone würde diesen vom EU-Parlament beschlossenen Eurohaushalt verwalten, der unter anderem zur Wirtschaftsförderung und zur regionalen Umverteilung der Soziallasten eingesetzt werden soll. Eine Harmonisierungsstrategie gemäß dem Motto „Convergence statt Concurrence“ soll EU-weit gleiche Arbeitsbedingungen herstellen. Vorgeschlagen werden eine Annäherung der nationalen Mindestlöhne hin zu einem EU-Mindestlohn, eine Arbeitnehmerentsendung nur zu Tariflöhnen und Sozialbeiträgen des Gastlandes sowie soziale Mindeststandards bei Leiharbeit und Werkverträgen.

Da das französische Wirtschafts- und Sozialmodell nicht konkurrenzfähig ist, werden stattdessen Wettbewerbsvorteile aufstrebender EU-Mitgliedstaaten wegharmonisiert, was die Spaltung der Gemeinschaft begünstigt. Auch mit der Forderung nach Einführung einer Börsenumsatzsteuer – die Frankreich bereits praktiziert – und einer EU-Rückversicherung für die nationalen Arbeitslosenversicherungen – die französische ist hoch defizitär – verfolgt Macron nicht zuletzt nationale Interessen.

Während er die Macht vornehmlich bei den Mitgliedstaaten belassen will, möchte Juncker die EU-Kommission stärken. Hiernach soll ein vom EU-Parlament gewählter EU-Finanzminister die Wirtschaftsregierung lenken. Zentrales Haushaltsinstrument ist ein Europäischer Währungsfonds (EWF). Während der Rettungsfonds ESM bislang ausschließlich von den Mitgliedstaaten gesteuert wird, soll für den EWF supranationales EU-Recht gelten. Unter besonderen Umständen entscheiden dann Nicht-Eurostaaten mit über Finanzmittel der Eurostaaten.

Mit zusätzlichen Mitteln drei neue Fonds einrichten?

Das nationale Haushaltsrecht kann faktisch außer Kraft gesetzt werden. Außerdem wird der EWF nicht nur die bisherige Funktion des Notfallfonds übernehmen, sondern auch die einer Ausfallsicherung für den unterausgestatteten Bankensicherungsfonds. Außerdem sollen mit zusätzlichen Mitteln weitere Fonds errichtet werden: ein „Stabilisierungsfonds“ für konjunkturelle Krisen, ein „Konvergenzfonds“ zugunsten beitrittswilliger Länder und ein „Reform-Finanzierungsfonds“, der die kurzfristigen finanziellen Folgen langfristig positiv wirkender Reformen unterstützen soll. Eine erhebliche Aufstockung des bisherigen Rettungsfonds von zur Zeit 700 Milliarden Euro wäre die finanzielle Grundlage des Vorschlages.

Die Bundesregierung, uneins in ihrer europapolitischen Ausrichtung, erweckt den Eindruck des Getriebenseins. Außer dem Einfall von Kanzlerin Angela Merkel für einen mit über 50 Ministern besetzten und so kaum arbeitsfähigen „Jumborates“ der Wirtschafts- und Finanzminister gibt es keinerlei Strategie. Was mit einem schlanken institutionellen Gerüst der Währungsunion aus Nichtbeistandsklausel (Art. 125 AEUV) und dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung (Art. 123 AEUV) fälschlicherweise erwartungsvoll begann, scheint derzeit in nicht wirksamen vertraglichen Zusätzen, neuen Umverteilungsinstrumenten und de facto Vertragsverletzungen zu enden.

Auch vor diesem Hintergrund ist die Initiative der vier Wirtschaftsprofessoren Thomas Mayer, Dirk Meyer, Gunther Schnabl und Roland Vaubel zu sehen, die sich mit einem Aufruf gegen die Vergemeinschaftung von Risiken und nicht mehr seriös bezifferbaren Umverteilungslasten an ihre Kollegen wenden. Konkret richtet sich der Aufruf gegen fünf Punkte:

(1) Eine Auffanglösung für den Bankensicherungsfonds wird abgelehnt, da er die Anreize für Banken und Aufsichtsbehörden senke, faule Kredite zu bereinigen.

(2) Bei dringlichen Entscheidungen des EWF wäre das Vetorecht aufgehoben, so daß einzelne Gläubigerländer überstimmt werden könnten. Der Deutsche Bundestag würde dann sein Kontrollrecht verlieren.

(3) Eine EU-weite Einlagensicherung von Bankguthaben würde die Kosten der Fehler von Banken und Regierungen vergemeinschaften.

(4) Die geplanten Fonds zur gesamtwirtschaftlichen Stabilisierung und zur Unterstützung struktureller Reformen würden zu weiteren, an keinerlei Bedingungen geknüpften Krediten und Transfers führen. Fehlverhalten würde belohnt.

(5) Ein Europäischer Finanzminister würde als Gesprächspartner der EZB dazu beitragen, daß die Geldpolitik noch stärker politisiert würde.

Die vorgetragenen Gegenvorschläge sind nicht neu, doch bislang ohne offizielles Gehör. So sei die Privilegierung der Staatsanleihen in der Risikovorsorge der Banken abzuschaffen. Das Target-System – so die Wissenschaftler – würde von den Krisenstaaten und deren Banken als Notkreditsystem mißbraucht. Derzeit hat Deutschland Target-Forderungen an das Eurosystem von 924 Milliarden Euro, was den Verbindlichkeiten Portugals, Spaniens und Italiens von zusammen etwa 907 Milliarden Euro entspricht. Diese müßten regelmäßig beglichen werden. Auch sollte die EZB ihre Ankäufe von Staatsanleihen schnell beenden. Schließlich wird für die Eurozone ein geordnetes Insolvenzverfahren für Staaten und ein geordnetes Euro-Austrittsverfahren gefordert.

Professorenaufruf vom Mai 2018:  www.hsu-hh.de/





Ökonomen sorgen für Aufsehen 

Immer wieder trugen deutsche Ökonomen ihren Ärger über die Euro-Wirtschaftspolitik durch Professorenaufrufe in die Öffentlichkeit. Bereits kurz nach Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht veröffentlichten 62 Wirtschaftswissenschaftler im Juni 1992 das Manifest  „Die EG-Währungsunion führt zur Zerreißprobe“, in dem sie vor einer überhasteten und fehlerhaften Einführung einer europäischen Gemeinschaftswährung warnten. Im Februar 2011 sprachen sich 189 Professoren in einer „Stellungnahme zur europäischen Schuldenkrise“ gegen die geplante Ausdehnung des Euro-Rettungsschirms aus. In der  „Stellungnahme zur Europäischen Bankenunion“ beklagten 214 Unterstützer im Juli 2012 die fatalen Konstruktionsfehler der Währungsunion. Das Memorandum „Die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank sind rechtswidrig und ökonomisch verfehlt“ vom September 2013 unterzeichneten 136 deutsche Professoren. Der vorerst letzte Aufruf – „Der Euro darf nicht in die Haftungsunion führen“ – wurde im Mai 2018 von 154 Wirtschaftswissenschaftlern unterstützt.