© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/18 / 25. Mai 2018

Mit Radioaktivität gegen Schmerzen
Sogenannte Radonbäder können helfen, rheumatische Erkrankungen zu behandeln
Karl Hübner

Radioaktive Strahlen haben keinen guten Ruf. Trotzdem gibt es Menschen, die sich ihnen freiwillig aussetzen – im Rahmen von Radontherapien. Behandelt werden rheumatische Erkrankungen, aber auch Haut- und Atemwegsleiden. Eines von neun deutschen Radonbädern feiert dieses Jahr den Beginn seines Kurbetriebs vor 100 Jahren: Bad Schlema im Erzgebirge.

Die Badewannen funktionieren dabei etwas anders als die zu Hause. Das Wasser läuft von unten ein, ganz ruhig und völlig blasenfrei. Sobald man sich hineingelegt hat, wird die Wanne abgedeckt, so daß nur noch der Kopf herausschaut. Beides, der blasenfreie Wasserzulauf und das Abdecken, haben einen guten Grund: Es verhindert das Entweichen des Gases, das in dem Wasser gelöst ist: Radon. Denn der Badegast will es über die Haut in seine Blutbahn aufnehmen. Der Kurort Bad Schlema im Erzgebirge zählt zu den neun Orten in Deutschland, in denen Patienten sich einer Radontherapie unterziehen können. Wer das tut, leidet meistens unter rheumatischen Erkrankungen. Aber auch Menschen mit Schuppenflechte oder Atemwegserkrankungen sollen von Radon profitieren.

Ein Wannenbad dauert 20 Minuten. Danach zirkuliert das radioaktive Radon noch eine Zeitlang durch den Organismus, und alles, was nicht wieder ausgeatmet wird, zerfällt im Körper mit einer Halbwertszeit von knapp vier Tagen. Dabei wird radioaktive Alphastrahlung frei. Im Gegensatz zur elektromagnetischen Gammastrahlung, mit der zum Beispiel Tumore bestrahlt werden, handelt es sich dabei um eine Teilchenstrahlung: Alphastrahlen sind Heliumatomkerne, die im Zuge des radioaktiven Zerfalls aus den Radonatomkernen herausgeschleudert werden. Sie besitzen eine hohe Energie, aber im Körper nur eine kurze Reichweite von wenigen Zellschichten. Zur Strahlung tragen auch die ebenfalls radioaktiven Zerfallsprodukte des Radons bei, die zum Teil länger im Organismus bleiben als das kurzlebige Radon.

Ein Behandlungszyklus erstreckt sich, je nach Kurort, über acht bis zwölf Sitzungen. Diese erfolgen fast überall in Form von Wannenbädern. In einigen Kurorten, etwa in Bad Kreuznach oder im österreichischen Bad Gastein, werden aber auch Behandlungen im Bergstollen angeboten. Dabei nehmen die Patienten das Radon über die Atemluft auf und es gelangt über die Lunge in die Blutbahn. Der Deutsche Bäderverband hat für die Anbieter von Radontherapien Mindestkonzentrationen festgeschrieben. Für das Wannenwasser liegt dieser bei 666 Becquerel je Liter Wasser, für die Stollenluft bei 37.000 Becquerel pro Kubikmeter Luft (Die Größe Becquerel steht für die Anzahl radioaktiver Zerfallsereignisse je Sekunde).

Nach ein paar Tagen oder wenigen Wochen setzt bei Rheumapatienten in der Regel ein schmerzlindernder Effekt ein, der mitunter mehrere Monate anhält. Studien haben ergeben, daß viele Patienten in dieser Zeit mit weniger Schmerzmitteln auskommen. Angesichts der mit diesen Präparaten häufig verbundenen Nebenwirkungen, etwa auf die Magenschleimhaut, wird das als großer Vorteil gewertet.

Wieso kann radioaktive Strahlung, die üblicherweise als gesundheitliches Risiko gilt, Schmerzen oder Schuppenflechte lindern? Noch sind die genauen Mechanismen nicht vollständig bekannt. Forscher haben jedoch herausgefunden, daß einige der von den Alphastrahlen getroffenen Körperzellen so geschädigt werden, daß der Organismus sie geordnet absterben läßt. Im Zuge dieses programmierten Zelltods, der sogenannten Apoptose, werden Botenstoffe frei, die bestimmte Aktivitäten des Immunsystems herunterregulieren. Ein solcher Botenstoff heißt Transforming Growth Factor Beta (TGF-?) und wirkt erwiesenermaßen antientzündlich. Untersuchungen konnten zeigen, daß seine Konzentration unter Einfluß von Radon steigt.

Vor einem Jahr publizierten Erlanger Immunologen weitere experimentelle Hinweise auf eine gesteigerte Unterdrückung des Immunsystems durch Radon. Sie hatten dazu den Status bestimmter Immunzellen im Blut von Teilnehmern einer Radonkur über mehrere Monate hinweg gemessen. Kollegen vom GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt hatten darüber hinaus im Blut derselben Kurteilnehmer Einflüsse des Radons auf den Knochenstoffwechsel untersucht. Die Befunde deuten an, daß eine Radontherapie den (rheumabedingten) Knochenabbau verlangsamen und eventuell sogar einen -wiederaufbau stimulieren könnte.

Die genaue Wirkungsweise ist nicht vollständig geklärt 

Schon lange bevor solche mechanistischen Untersuchungen möglich waren, wußten Menschen um die heilenden Effekte von Luft oder Quellwässern aus bestimmten Gesteinsschichten. Vor gut hundert Jahren gründeten sich an einigen solcher Orte sogenannte Radium-Heilbäder. Die Bezeichnung rührt daher, daß man die beobachteten Effekte seinerzeit noch auf das Radium zurückführte, ein Produkt des Uranzerfalls, das seinerseits weiterzerfällt – eben zu Radon.

Das älteste dieser Heilbäder entstand 1906 im böhmischen St. Joachimsthal. 1912 errichtete man in Bad Kreuznach ein Inhalatorium mit Stollenluft. Am 15. Mai 1918 nahm Oberschlema, heute ein Teil von Bad Schlema, seinen Kurbetrieb auf. Noch im Kriegsjahr 1944 zählte das Bad über 15.000 Kurgäste, die sich gegen „Rheuma, Gicht, Ischias, Altersleiden“ behandeln ließen.

Zu DDR-Zeiten war damit Schluß. Der Ort wurde zu einer der Hauptabbaustätten der SAG (später SDAG) Wismut, die für die Sowjetunion Uran gewinnen mußte. Den Förderarbeiten wurden die einstigen Kuranlagen geopfert. Dort wo Menschen vor dem Krieg nach Heilung suchten, wurden nun manche Arbeiter infolge des intensiven Kontakts mit radioaktiven Stäuben krank.

Nach der Wende besannen sich die Schlemaer aber schnell wieder auf das, was ihren Ort vor dem Krieg ausgezeichnet hatte. 1992 stellte der Ort sein radonhaltiges Quellwasser für eine Studie mit 44 Patienten zur Verfügung, die an Weichteilrheumatismus litten. Nachdem die schmerzlindernde Wirkung bei einigen bis zu einem Jahr anhielt, gründete sich die Kurgesellschaft Schlema und bereitete die Wiederaufnahme eines Kurbetriebs mit Radonanwendungen vor. 1998 schließlich eröffnete das Gesundheitsbad Actinon, und seit 2005 firmiert der Ort als anerkanntes Radonbad Bad Schlema. In diesem Jahr erinnern diverse Veranstaltungen an die Aufnahme des ersten Kurbetriebs vor 100 Jahren.

Doch welche Risiken sind mit Radonkuren verbunden? Immerhin gilt Radon, nach dem Rauchen, als zweithäufigste Ursache für Lungenkrebs. Der Dachverband der europäischen Radonheilbäder, Euradon, erklärt, daß Radontherapie-Patienten dem radioaktiven Gas nur kurzzeitig ausgesetzt sind, bei zehn Wannenbädern also lediglich für 200 Minuten. Dabei liege die gesamte Strahlenexposition unterhalb von zwei Millisievert (mSv). Das ist weniger als die natürliche radioaktive Strahlenmenge, der ein Bundesbürger laut Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) im Schnitt jährlich ausgesetzt ist.

Gleichwohl gibt sich das BfS bei einer Einschätzung der Radontherapien vorsichtig und geht angesichts einer „zusätzlichen radioaktiven Belastung“ auch von einem „zusätzlichen Risiko“ aus. Den Tausenden Personen, die alljährlich die Therapie in Anspruch nehmen, scheint es das mögliche Zusatzrisiko wert zu sein.

Radontherapien:

 www.bad-schlema.de/radon

 www.euroadon.de