© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/18 / 01. Juni 2018

Steuern bis zum Umfallen
Finanzaufsicht: Im Ausland lebende US-Bürger müssen vor den heimischen Steuerbehörden Rechenschaft ablegen – mit weitreichenden Folgen
Thomas Kirchner

Den derzeitigen britischen Außenminister und ehemaligen Londoner Bürgermeister Boris Johnson hat es schon erwischt, genau wie Tausende Durchschnittsverdiener auf der ganzen Welt: Der amerikanische Fiskus hält die Hand auf. Für die Betroffenen kommt es oft aus heiterem Himmel, so wie für eine Kanadierin mittleren Alters, die plötzlich in den USA Steuern nachzahlen sollte.

Gemeinsam ist allen, daß sie die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzen und dadurch in den USA steuerpflichtig sind, auch wenn sie nie dort waren. Die Kanadierin wußte nicht einmal, daß sie selbst US-Amerikanerin ist. Ihre Mutter, eine US-Bürgerin, hatte die Geburt bei der US-Botschaft gemeldet und ihr damit, ohne es zu ahnen, Staatsbürgerschaft und Steuerpflicht eingebrockt. Boris Johnson wurde 1964 in New York geboren, als seine Eltern dort vorübergehend lebten und ist deshalb US-Bürger und steuerpflichtig.

Eine ähnliche Besteuerung praktiziert lediglich Eritrea

Seit dem amerikanischen Bürgerkrieg in den 1860er Jahren gibt es die Besteuerung nach Staatsbürgerschaft. Das sollte damals reiche Amerikaner bestrafen, die sich nach Europa absetzten, um dem Wehrdienst zu entgehen. Seit 1913 steht es in den Steuergesetzen. Nur ein anderes Land praktiziert die gleiche Art von Besteuerung nach Staatsangehörigkeit: Eritrea, das 2011 für seine zweiprozentige „Diasporasteuer“ von der Uno gerügt wurde. Kanada wies sogar Botschaftsangehörige aus, die am Eintreiben der Steuer mitarbeiteten. Die USA zu rügen wagt niemand. Statt dessen helfen andere Staaten fleißig bei der exterritorialen Umsetzung, auch Deutschland.

Der lange Arm des amerikanischen Fiskus reicht tief ins deutsche Bankenwesen, seitdem die USA ab 2010 bilaterale Abkommen mit fast allen Staaten der Welt geschlossen haben, um Informationen über alle Kontoinhaber mit US-Verbindung zu erhalten. FATCA heißt das Gesetz, oft verspottet als das schlechteste Gesetz, von dem noch niemand gehört hat. Banken, die nicht korrekt melden, drohen drakonische Strafen: 30 Prozent Strafabzug von allen Zahlungen aus den USA. Anzugeben sind auch die Konten von Firmen, an denen US-Personen mit mehr als zehn Prozent beteiligt sind. Eine Mammutaufgabe. 

Weil die strikten Meldevorschriften hohe Kosten verursachen und Strafen international aktive Banken in den Ruin treiben können, birgt das Geschäft mit Amerikanern kaum noch überschaubare Risiken. Viele kleinere Banken haben schon vor Jahren keine Kunden mit amerikanischem Paß mehr angenommen. Die Commerzbank ist die bisher größte und prominenteste Bank, die jetzt Tausenden Kunden die Konten kündigt, sobald sie US-Kontakte unterhalten und möglicherweise in den USA steuerpflichtig sind. Sie zieht aus den exterritorialen Vorschriften Konsequenzen. Amerikanische Kunden, selbst wenn sie seit Jahrzehnten in Deutschland leben, haben das Nachsehen.

Als Reaktion geben im Ausland lebende Amerikaner immer häufiger ihre Staatsbürgerschaft auf. Denn für den Steuerzahler sind die Strafen nicht viel milder als für Banken: für jedes Jahr, in dem nicht berichtet wird, 10.000 Dollar pro Konto zuzüglich der Hälfte des höchsten Kontostands. Ein Konto mit einem Höchststand von 100.000 Dollar kann also nach nur sechs Jahren Strafen von 110.000 Dollar zur Folge haben. Tückisch ist, daß auch Firmenkonten gemeldet werden müssen, für die ein in den USA steuerpflichtiger Angestellter Prokura hat.

Es ist kein Zufall, daß ausgerechnet im Jahr 2010 die Zahl der Amerikaner, die ihre Staatsbürgerschaft aufgaben, zum ersten Mal 1.000 überschritt. 2017 könnten es schon 7.000 gewesen sein. Boris Johnson gab seine Staatsbürgerschaft 2016 auf, nachdem er für den Verkauf seines Londoner Hauses in den USA mehr als 50.000 Dollar Steuern nachzahlen mußte. Besonders pikant ist, daß Johnson noch als Bürgermeister gedroht hatte, der Londoner US-Botschaft eine Verkehrsabgabe von fünf Millionen Pfund in Rechnung zu stellen. Es besteht also die Gefahr, daß in Zukunft Politiker mit US-Bezug oder US-Ehepartner von den USA mit Steuerforderungen unter Druck gesetzt werden könnten.

Das US-Außenministerium schätzt die Zahl der im Ausland lebenden Amerikaner auf neun Millionen. Nur etwa 600.000 Steuererklärungen mit ausländischer Adresse werden jedes Jahr abgegeben. Auch wenn man Kinder und Militärs aus den Zahlen herausrechnet, dürfte es mehrere Millionen Amerikaner geben, die nicht wissen, daß sie mit einem Bein schon im Steuerknast stehen. Mehrere Amnestien hat es schon gegeben, bei denen die Teilnahme aber oft ruinös war. Steueranwälte berichten, daß sie nur wenige reiche Steuerkriminelle vertreten mußten, sondern hauptsächlich Durchschnittsverdiener, die sich im Steuerdickicht verirrt hatten.

Trumps Steuerreform beendete das Problem nicht

Von den 30.000 Teilnehmern der Amnestie des Jahres 2009 konnte der Fiskus gerade einmal 2,7 Milliarden Dollar einnehmen, also 90.000 Dollar pro Kopf. Das meiste davon waren Erbschaftssteuern, auch wenn die Erbschaft im Ausland bereits versteuert worden war. Der ehemalige Vizechef der Steuerbehörde, Mark Matthews, sagt: „FATCA ist ein Programm gegen kriminelle Steuerhinterzieher, aber wir wissen nicht, wie wir Unschuldige behandeln sollen, die sich darin verfangen.“

Viele Amerikaner hofften, daß Trumps Steuerreform nicht nur für Unternehmen die Besteuerung nach Staatsbürgerschaft beenden würde. So weit ging die Reform jedoch nicht. Für wohlhabende Kunden findet sich immer eine Bank, die den aufwendigen Papierkrieg auf sich nimmt. Alle anderen werden irgendwann nur noch bar zahlen können. Solange nicht auch noch das Bargeld verboten wird. 

Bundeszentralamt für Steuern zum FATCA-Abkommen mit den USA:  https://www.bzst.de/