© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/18 / 01. Juni 2018

Dorn im Auge
Christian Dorn

Jegliches hat seine Zeit – die schamlose Bibel-Anleihe der Puhdys erinnert mich daran, daß das Queen-Album „Jazz“ von 1978 nun schon vierzig Jahre zurückliegt. Länger hat die DDR auch nicht existiert. Der „Echo Jazz“ starb deutlich eher. Dabei wäre „Mustapha“, der so irritierende wie mitreißende erste Song des Queen-Albums mit der Zeile „Mustapha Ibrahim, al havra kris vanin / Allah, Allah, Allah will pray for you“ der popkulturelle Kommentar der Stunde. Im Bereich der Kunst leistet dies die aus dem Iran stammende Samira Hodaei. Ihre Installation „Cinema Europe“ im Künstlerhaus Bethanien verweist auf das 1968 eröffnete, landesweit bekannte Filmtheater im Herzen von Teheran, das derzeit verwaist ist. Angesichts der Zensur und des Verbots ausländischer Filme erfährt der cineastische Vorgang der „Projektion“ hier eine weitere Dimension, besteht doch der geraffte Vorhang der verhüllten „Leinwand“ aus schwarzen Tschadors, damit zugleich die Konstruktion des männlichen Blicks in der islamischen Welt enthüllend. Ergänzt wird diese Arbeit durch die – in einer spezifischen Pixel-Maltechnik erschaffenen – auratischen Porträts junger Märtyrerinnen aus dem Iran-Irak-Krieg („presence of absence“), wobei die Geschlechter vertauscht wurden. Diese Werkgruppe besticht durch ihre formale Strenge, die wie eine analoge Auferstehung wirkt, eignet den hier Porträtierten doch eine so geheimnisvolle wie würdevolle Präsenz (bis 17. Juni 2018; www.bethanien.de).


Beim Gema-Fest indes stellen wir ernüchtert fest: Ein Popliterat macht noch keinen Pop. In seiner Laudatio auf Inga Humpe (2raumwohnung), die für ihre Liedtexte den Fred-Jay-Preis erhält, erklärt Benjamin von Stuckrad-Barre seine Freude, hier „nicht auf dem Echo-Preis zu sein“, und faselt: „Und alle Flüchtlinge, die hierherkommen, die können wir gebrauchen – sonst wird’s zu eng hier.“ Dazu fällt mir wirklich nichts mehr ein.


Anders bei der Lektüre über verschärfte Anhörungen in den Asylverfahren und über recycelte Schwimmwesten von „Refugees“, die mich im Café des Westsektors zu der zynischen Bemerkung führt: „Diese staatliche Praxis ist echt inhuman, schließlich geraten die Flüchtlinge, da sie gerade Deutschland erreicht haben, erneut ‘ins Schwimmen’.“ Später ruft mir der notorisch kalauernde Gastronom zum Abschied scherzhaft zu: „Geh mit Flüchtlingen, aber geh!“ – unser Lachen will daraufhin gar nicht mehr aufhören. Da schüttelt Nietzsche den Kopf: „Wenn der Mensch vor Lachen wiehert, übertrifft er alle Tiere durch seine Gemeinheit.“