© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/18 / 01. Juni 2018

Eine filmreife Liebe leben
Beziehungsalltag: Laura Lackmanns Komödie „Zwei im falschen Film“
Sebastian Hennig

Viel Zeit ist ins Land gegangen seit Jean-Luc Godard seinen ersten Kinofilm drehte. In „Außer Atem“ (1960) läßt er eine burschikose Jean Seberg sinnieren: „Ich weiß nicht, ob ich unglücklich bin, weil ich nicht frei bin, oder ob ich nicht frei bin, weil ich unglücklich bin.“ Die Ikonen von Selbstflucht und Selbstfindung sind nach sechzig Jahren so ausgebleicht, daß kaum noch die Umrisse zu erkennen sind. Und doch entstehen gerade in jüngster Zeit immer wieder neue giftige Filme, welche die Bindungsunfähigkeit einer Generation zum Thema haben. Unter dem Vorwand einer kritischen Zuspitzung weiden sie sich an dieser Qual und tragen mit dazu bei, das Unglück weiter zu normieren.

Die Ausgangssituation von Laura Lackmanns „Zwei im falschen Film“ läßt zunächst wieder dieses Bohren in der Wunde vermuten. Doch entbehrt ihre Geschichte durchaus dieser unterhaltsamen Häme. Anstatt das hohle Pathos der Einsamkeit zu beschwören werden hier die Reste am Boden des Topfes zusammengekratzt und siehe da, so arm sind wir ja gar nicht. Wir sind nicht unabdingbar zum Höllensturz des Egoismus verurteilt.

Und wenn uns auch nicht die Himmelfahrt einer überirdischen Liebe zuteil wird, so können wir doch unter dem Horizont eines normalen Menschenlebens Anziehungskräfte spüren, denen es nachzugeben lohnt. Eine gar zu lässige Kumpanei zwischen den Partnern droht die fruchtbare Spannung zwischen den Geschlechtern zu neutralisieren. Bei außergewöhnlichen Herausforderungen kann sich die Zweisamkeit zu einer echten Liebesfreundschaft oder Freundschaftsliebe umbilden. Der Film handelt davon, wie die Leidenschaft über Enttäuschung, Gewohnheit und abermalige Enttäuschung in Liebe übergehen kann, indem Selbsterkenntnis statt Selbstverwirklichung stattfindet.

Hans (Marc Hosemann) nennt seine Freundin Heinz (Laura Tonke). Sie trägt die Haare zuerst kurz wie weiland Jean Seberg, später läßt sie sie sich verlängern. Hans gelingt es freilich nicht so verwegen wie Jean-Paul Belmondo dazumal zu wirken. Tatsächlich aber ist er sogar kühner. Denn die Zeit der raumgreifenden Selbstdarstellung ist lange vorbei. Keiner kann an diese Verheißungen mehr glauben.

Ihre Zweisamkeit hat sich einen Charme bewahrt

Die beiden halten sich mit ihren jeweiligen Berufen über Wasser, sitzen abends in Jogginghose auf dem Sofa, essen Chips und spielen Videospiele. Heinz arbeitet als Synchronsprecherin für eine Zeichentrickampel. Hans führt mit Florian (David Brendin) ein Kopiergeschäft. Sie sind nicht atemlos. Im Gegenteil, sie benötigen einen sehr langen Atem. Der ermöglicht es ihnen letztlich, innerhalb der gewaltigen Spanne zwischen Anspruch und Erfüllung ein nicht nur erträgliches, sondern beinahe schon wunderbares Gleichgewicht zu erlangen. Die Familie von Hans hat daran ihren Anteil. Letztlich sind es die Fußspuren der Eltern, in die irgendwie auch ihre Füße passen.

Zu Beginn schauen die beiden einen Film, den Hans’ Vater empfohlen hat. An dessen Ende sind die beiden selbst zu sehen, wie sie sich ausgelassen am Strand herzen und küssen. Sie erkennen sich aber nicht darin, und der Schluß mißfällt ihnen, weil er zu kitschig ist.

Nachdem sie das Kino verlassen haben beginnt ein Drama, an dessen Ende sie in die Rollen übergehen, denen sie vor der Leinwand nichts abzugewinnen vermochten. Laura Lackmann faßt ihre Intentionen zusammen: „In ‘Zwei im falschen Film’ beobachten wir ein Pärchen, das alle Versuche unternimmt, eine filmreife Liebe zu leben. Sie scheitern an der Tatsache, daß so etwas natürlich nicht möglich ist. Dennoch erkennen sie das Besondere in ihrer Liebe, finden damit zu sich und am Ende sogar zu uns, denn wir als Zuschauer wissen: Sie haben es mit ihrer Geschichte auf die große Leinwand geschafft.“ Der Film ist die Antithese zu Bertolt Brechts höhnischer Forderung: „Glotzt nicht so romantisch!“

Laura Lackmann betreibt hier nichts Geringeres als die Wiederverzauberung des Lebens: „Einige Filmemacher geben sich alle Mühe, einen Film herzustellen, der in höchstem Maß realistisch erscheint. Sie wollen wahre Geschichten erzählen, lebensechte Figuren erschaffen und ihren Film möglichst glaubwürdig gestalten. Manche Zuschauer dagegen besuchen das Kino, um ihrem Alltag zu entfliehen und sich dabei vom Film verzaubern zu lassen. Als Filmemacherin interessiert mich dieser Konflikt. (…) Denn sowohl die echte Liebe als auch die Film-Liebe haben ohne große Gefühle und Wendepunkte weder im Film noch in der Wirklichkeit eine Daseinsberechtigung.“

Die Stärke der beiden Protagonisten liegt in ihrer Schwäche. Die Träume vom Leben haben sich aufgelöst, und doch hat ihre Zweisamkeit sich einen Charme bewahrt, um den sie von cleveren Freunden und Verwandten beneidet werden. Die sind alle Darsteller ihrer selbst und Verkäufer ihrer Lebensdrehbücher, zum Teil sogar tatsächlich prekäre Schauspieler, wie Max (Hans Longo). Als er Heinz sitzenließ, schlug Hans’ Stunde. Er wurde vom Trostpflaster zur Prothese, wie er prosaisch anmerkt.

Es kommt zur Wiederbegegnung mit Max, der die einst Verlassene sogleich wieder mit seinem Dackelblick in den Bann schlägt. Als er später ihre Freunde als langweilig bezeichnet, weist sie ihn spontan zurecht: „Du bist langweilig.“ Freund Florian, der Westentaschen-Don-Juan, sagt Hans ins Gesicht, daß ihm sein Glück anzusehen war, welches er gerade dabei ist, mit einem Seitensprung mit der dümmlichen Praktikantin Mimi (Josefine Voss) preiszugeben. In diesen Lebensunsinn schlägt ein Todesfall hinein, der alles erst ins Lot bringt. 


Kinostart am 31. Mai 2018

 www.zwei-im-falschen-film.de