© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/18 / 01. Juni 2018

Ein Enkel und sein Abschuß
Die fragwürdige Darstellung eines WDR-Journalisten über seinen „hochdekorierten“ Jagdflieger-Großvater: Ein Beispiel für moderne Geschichtsklitterung
Paul Meilitz

Durch seine Position als freier Mitarbeiter des WDR mit Wahrnehmungsvorsprung liefert der Journalist Lorenz Beckhardt ein Bild seines Großvaters ab, das, auf die Jahre 1917 und 1918 bezogen, Widerspruch herausfordert. Pikant ist folgender Hintergrund: Großvater Fritz Beckhardt war Jude, was dem Buchautor aber erst mit 18 Jahren zur Kenntnis gelangt sein soll. Die damit einsetzende Hinwendung zur eigenen Herkunft entgleist im Porträt „meiner deutschen Familie“ zum Zerrbild. Wie man sich dabei historiographisch verheben kann, führt der Enkel ungewollt vor, und das dank eklatanter Schwächen in der Beweisführung derat schludrig, daß er neben dem Andenken an Großvater Fritz gleich auch noch die Reputation anderer jüdischer deutscher Soldaten im Ersten Weltkrieg in Gefahr bringt. 

Vizefeldwebel Fritz Beckhardt, so die These des ambitionierten Enkels, sei, obwohl „hochdekorierter Jagdflieger“, als Jude bis heute unter den Tisch gekehrt worden. Ihm hätten die Anerkennung von 17 Luftsiegen und die Ehrung mit dem „Pour le Mérite“ zugestanden. Nur gelingt es dem Verfasser auf keiner einzigen Buchseite, beide Ansprüche zu belegen. Der erkennbar mit der deutschen Militärterminologie fremdelnde Dilettant irrlichtert auf ziemlich dünnem Eis umher, ignoriert die kritischen Meinungen internationaler Luftkriegsexperten, vergißt aber nicht, politisch korrekte Seitenhiebe gegen Hermann Göring und Ernst Jünger auszuteilen. 

Die 17 Luftsiege finden sich in keiner seriösen Quelle

Dabei war es ausgerechnet Göring, der Beckhardt 1940 aus dem KZ Buchenwald, wo dieser wegen „Rassenschande“ einsaß, holte und die Auswanderung ermöglichte. Göring und Beckhardt dienten Anfang 1918 kurzzeitig im Jagdgeschwader 3, und es war bekannt, daß der Reichsmarschall auch jüdischen „Fliegerkameraden“ aus dem „großen Krieg“ behilflich war. 

Auch der vom Enkel ins Feld geführte „Hohenzollern“-Orden wird im Buch abgebildet. Das bei den Schwiegereltern des Großvaters versteckte Besitzzeugnis sei leider wie alle anderen Urkunden von der Gestapo „bei einem ihrer Überfälle“ mitgenommen worden. Mag sein, aber immerhin verfügt der Autor nach eigenen Angaben über die Orden, die „Militär-Ausweise“ und das komplette Flugbuch seines Großvaters. Warum in aller Welt hat er dann das Flugbuch nicht dazu verwandt, die Fliegerkarriere des Großvaters präzise nachzuzeichnen? Die 17 Luftsiege hätten sich schnell in Luft aufgelöst. Sie finden sich übrigens in keiner einzigen seriösen Quelle, obwohl die deutsche Abschußbilanz im Ersten Weltkrieg bereits seit 1922 solide belegt ist und in internationalen Foren immer wieder kritisch diskutiert wird. Ein Fritz Beckhardt spielt darin zum Leidwesen des Enkels keine Rolle, was ihn dazu verleitet, renommierte Publizisten als „Hobbyhistoriker“ zu diffamieren. 

Auch mit dem „Hohenzollern“ geht der Enkel großzügig um. Es gab mehrere vom Fürstentum Hohenzollern verliehene Kriegsauszeichnungen. Ganz weit oben stand das „Ritterkreuz des Hausordens von Hohenzollern“, das nur an Offiziere verliehen wurde und als Vorstufe zum „Pour le Mérite“ galt. Für diesen „Hohenzollern“ kam Vizefeldwebel Beckhardt somit prinzipiell nicht in Frage. 

Auf der Suche nach dem passenden Orden erfährt der Verfasser, daß es sich bei der im Nachlaß aufgefundenen Auszeichnung um das selten verliehene „Inhaberkreuz mit Schwertern des Hausordens von Hohenzollern“ handeln soll und setzt den Großvater auf die Empfängerliste. Das „Inhaberkreuz“ gab es ab 1917 nur für Nicht-Offiziere, und das nur 17mal! Darunter befanden sich elf Angehörige der Luftstreitkräfte. 

Die Vergabe dieser wohl seltensten Auszeichnung des Ersten Weltkriegs ist allerdings nicht sattelfest dokumentiert. Die Empfänger wurden während des Kriegs im Militärwochenblatt (MWB) genannt, wobei Ausnahmen die Regel bestätigen. Jedenfalls sucht man Fritz Beckhardt im MWB vergeblich. 1938 veröffentlichte Georg Schnarke in der Oktober-Nummer der Zeitschrift Deutsche Kriegsopferversorgung die Inhaberliste. Und wieder fehlt Beckhardt, allerdings auch Edmund Nathanael, der am 11. Mai 1917 bei der Jagdstaffel 5 fiel. Den Verfasser verleitet das zu der These, daß „zwei Juden“ bewußt unterschlagen wurden, was 1938 auch nicht verwundert hätte. Leider vergaß der Buchautor an dieser Stelle den Faktencheck, denn Nathanael war ausweislich seiner Geburtsurkunde evangelischer Konfession. Die Frage, welcher „Hohenzollern“-Orden denn nun wirklich an Fritz Beckhardt verliehen wurde, führt zu dem US-Amerikaner Neal O’Connor, der sich mit Auszeichnungen von Angehörigen der deutschen Fliegertruppe in sieben Büchern beschäftigt hat. In Band 7 nennt er auch – leider ohne Quellenangabe – Fritz Beckhardt, der die „Silberne Verdienstmedaille des Hauses Hohenzollern mit Schwertern“ erhalten haben soll, eine jedoch ganz und gar nicht exklusive Ehrung. 

Für das vom Enkel reklamierte „Inhaberkreuz“ gab es übrigens gemäß einer Verordnung vom 6. August 1957 einen Ehrensold. Ludwig Beckhardt hat es versäumt, dem nachzugehen, was die Kontroverse sofort beendet hätte. 

Lorenz S. Beckhardt: Der Jude mit dem Hakenkreuz. Meine deutsche Familie. Aufbau Verlag, Berlin 2016, broschiert, 480, Abbildungen, 12,99 Euro