© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/18 / 01. Juni 2018

Vorposten der Menschheit
Alexander Gerst wird erster deutscher ISS-Kommandat / Tesla-Chef Elon Musk nimmt Weltall ins Visier
Tobias Albert

Ob Tag oder Nacht, immer ist sie über uns. Jenseits unserer Erde zieht sie ihre Bahnen. Nur die Weltraum-Elite genießt das Privileg, sie auf ihrer Reise begleiten zu dürfen und für eine kurze Zeit dort die Chance zu erhalten, über unsere Welt hinauszublicken: an Bord der Internationalen Raumstation ISS.

Science-fiction ist zur Realität geworden, denn schon seit November 2000 ist die Raumstation ISS dauerhaft mit menschlichem Personal besetzt. Zwar war die ISS nicht die erste Raumstation im Weltall, doch seit die russische Station „Mir“ 2001 ausgemustert wurde und abstürzte, war sie bis zum Start der chinesischen „Tiangong 1“ im Jahr 2011 der einzige Stützpunkt im Weltall.

Bereits 55 bemannte Weltraummissionen hat die ISS miterlebt, und am 6. Juni soll mit der 56. Mission auch ein weiteres Stück deutsche Forschungsgeschichte geschrieben werden. Mit an Bord ist der deutsche Geophysiker Alexander Gerst, dem die seltene Ehre zuteil wird, als Kommandant die ISS zu leiten, nachdem er schon 2014 zur Raumstation flog. Gerst und sein Team sollen unter anderem die drahtlose Kommunikation auf Weltraummissionen verbessern und die Auslastung von Funkfrequenzen weltweit analysieren.

Wie jeder Astronaut mußte auch Gerst sich in einem extrem anspruchsvollen Auswahlverfahren durchsetzen. Über 8.400 Mitbewerber ließ er hinter sich, als er sich erstmals bei der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) als Astronaut bewarb. Ein so strenger Bewerbungsprozeß ist allerdings nicht nur wegen der Bewerberflut auf den Kindheitstraum vom Weltraumspaziergang notwendig, sondern auch wegen der Extremsituationen, die die Astronauten in der Schwerelosigkeit erwarten: Da die Muskeln dort nur einen Bruchteil des Körpergewichts tragen müssen, bilden sie sich zurück, dazu kommen Schlafstörungen und ohne den Schutz der Atmosphäre eine hohe Strahlenbelastung. Selbst die durchtrainiertesten Astronauten erleiden daher Muskelabbau, Immunschwäche und Knochenschwund, so daß die Rückkehr zur Schwerkraft der Erde oft eine Tortur für den Körper wird.

Und trotz dieser Extrembedingungen sollen die Astronauten wissenschaftliche Höchstleistungen in den ISS-Laboren erbringen. Denn eine Vielzahl von Experimenten wird erst möglich, wenn man die Schwerkraft und Atmosphäre der Erde hinter sich läßt: Nur so läßt sich eine genauere Entwicklung von Atomuhren realisieren, die zu unverzichtbaren Standards der Zeitmessung geworden sind. Selbst die Astronauten werden zu Versuchsobjekten, denn die Beobachtung von Muskel- und Knochenschwund im Weltall hilft der Erforschung von ähnlichen Krankheiten wie Osteoporose.

SpaceX übt massiven Druck auf die Mitbewerber aus

Doch die Forscher sind längst nicht mehr allein im All. Verschiedene Firmen haben den Weltraum als Geschäftsfeld entdeckt, und an ihrer Speerspitze steht SpaceX. Elon Musk gründete SpaceX durch das Geld aus seinen Internetfirmen Zip2 und PayPal und sieht SpaceX ebenso wie seine Elektro-Autos der Marke Tesla als Teil seiner Vision einer neuen, technisierten Welt. Während Tesla bisher mehr durch Negativschlagzeilen auf sich aufmerksam macht, kann SpaceX aber schon erste Erfolge vorweisen: Schon mehrere Versorgungstransporte an die ISS wurden durchgeführt und für verschiedene Auftraggeber Satelliten auf eine Erdumlaufbahn gebracht.

Aber Elon Musk will mehr. UPS im Weltall zu sein, reicht dem Visionär und Geschäftsmann nicht aus. Sein nächstes Ziel ist es, den Orbit für den Tourismus zu öffnen. Noch in diesem Jahr soll ein bemannter Flug zwei Weltraumtouristen um den Mond fliegen lassen, rechtzeitig zum fünfzigsten Jubiläum der Mission Apollo 8, bei der erstmals Menschen den Mond umrundeten.

Auch in der harten Welt der Technik hat SpaceX von sich reden lassen. Denn die Firma hat es geschafft, Raketen so zu konstruieren, daß sie wiederverwendet werden können, wohingegen die Konkurrenzraketen Teile ihres Aufbaus auf dem Flug abwerfen und in der Atmosphäre verglühen lassen. So lassen sich nach jedem erfolgreichen Flug die Raketenbauteile analysieren, um besser zu verstehen, wie sie optimiert werden können.

Auch das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum DLR muß anerkennen, daß SpaceX hier einen massiven Druck auf die Mitbewerber ausübt. Europa wird dadurch „zu einem massiven Nachdenken“ gezwungen, berichtet DLR-Vorstand Hansjörg Dittus der Zeitschrift Spektrum. Gerade der erste Testflug der Falcon-Heavy-Rakete, dem neuen Prunkstück der SpaceX-Flotte, würde dies eindrucksvoll beweisen.

Mit einer Transportlast von über 60 Tonnen soll sie die aktuell leistungsfähigste Trägerrakete werden. Dittus jedoch fordert, daß die europäischen Raketenbauer sich dem Wettbewerb stellen müssen und warnt vor dem Horrorszenario, daß unsere Kommunikationssatelliten nur noch durch ausländische Firmen in ihren Orbit gebracht werden könnten. Damit würde die Hoheit über unsere „Telekommunikation in den Händen anderer Nationen“ sein und Europa hätte seine „strategische Unabhängigkeit“ endgültig aufgegeben.

Das All ist im Aufruhr: Forschung an der Grenze des menschlich Möglichen, Wettrüsten um die stärksten Raketen und dazu noch Träumereien von Weltraumtourismus und Monddörfern, die vielleicht schon bald real werden. Schon vor Jahrtausenden übte der Blick in den Sternenhimmel eine Faszination aus, die unsere Urahnen in ihren Bann zog. Ähnliche Gedanken teilt auch Alexander Gerst. „Allein diese Vorstellung erfüllt mich mit Ehrfurcht“, schreibt er auf seinem Internet-Blog. Denn erst der Blick von außen zurück auf die Erde mache einem bewußt, „wie empfindlich und einzigartig unser Heimatplanet ist“. Bald wird er also dort sein. Hoch oben, auf der ISS.

Alexander Gersts Weltraum-Blog:  blogs.esa.int/alexander-gerst/





Deutsche Weltraumpioniere

Schon der französische Romancier Jules Verne träumte von Mondreisen und es war der Russe Konstantin Ziolkowski, der 1903 die Raketengrundgleichung veröffentlichte. Dem Amerikaner Robert Goddard gelang 1926 der Start einer Flüssigkeitsrakete. Auch Deutsche erzielten spektakuläre Erfolge: 1925 veröffentlichte Walter Hohmann seine Arbeit über „Die Erreichbarkeit der Himmelskörper“. Max Valier präsentierte 1929 den ersten Raketenrennwagen, Hermann Oberth veröffentlichte im selben Jahr seine „Wege zur Raumschiffahrt“. Johannes Winkler startete 1931 die erste europäische Flüssigkeitsrakete. Wernher von Brauns Großrakete A4 („V2“) war das Vorbild für die Raketen der USA und der Sowjetunion der Nachkriegszeit. Von Braun leitete ab 1960 das Nasa-Raketenprogramm. Sein Peenemünder Kollege Kurt Debus war von 1962 bis 1974 Direktor des Kennedy Space Centers. Der Jagdflieger Sigmund Jähn war dann 1978 in der sowjetischen Sojus 31 der erste Deutsche im Weltraum.

 history.msfc.nasa.gov

 nasa.gov/