© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/18 / 08. Juni 2018

Ein Vogelschiß mit Folgen
AfD-Vorsitzender: Alexander Gaulands Äußerung löst heftige Reaktionen aus
Christian Vollradt

Nach 1870 ging in Deutschland der Konservatismus mit dem Nationalismus jene unheilige Allianz ein, die ihn schließlich in die Harzburger Front führte.“ Wer zu dieser historischen Schlußfolgerung gelangt, ist sich der fatalen Tragweite mangelnder Abgrenzung nach rechts wohl bewußt. Alexander Gauland, von dem dieses Zitat stammt („Anleitung zum Konservativsein“), hat dennoch mit einem anderen Satz für Empörung außer- und einiges Kopfschütteln innerhalb seiner Partei gesorgt.

Beim Bundeskongreß der Jungen Alternative (JA) im thüringischen Seebach hatte der AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzende gesagt: „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiß in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.“ Herausgelöst aus dem Kontext, in dem Gauland große jüdische Deutsche wie Albert Ballin oder Walther Rathenau aufgezählt und gesagt hatte: „Ja, wir bekennen uns zur Verantwortung für die 12 Jahre.“ 

Für den politischen Gegner ein gefundenes Fressen. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Kartenbauer sah die „bürgerliche Maske“ der Partei gefallen: „50 Millionen Kriegsopfer, Holocaust und totaler Krieg für AfD und Gauland nur ein Vogelschiß!“ Ihr SPD-Kollege Lars Klingbeil nannte die Aussage eine „erschreckende Verharmlosung des Nationalsozialismus“. Es sei eine Schande, „daß solche Typen im Deutschen Bundestag sitzen“. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, sprach von einem „unfaßbaren Schlag ins Gesicht von allen Überlebenden des Holocaust, ihren Nachfahren und Angehörigen“. Die FDP nannte es eine „Geschmacklosigkeit“.

Auch innerhalb der AfD gab es Kritik. Parteichef Jörg Meuthen sagte, der Begriff „Vogelschiß“ sei „in der Tat ausgesprochen unglücklich und die Wortwahl unangemessen“. Gleichzeitig verteidigte er seinen Co-Vorsitzenden: „Im Kontext seiner Rede wird jedoch vollkommen deutlich, daß er dort in gar keiner Weise die entsetzlichen Greueltaten der Nazizeit verharmlost oder relativiert hat, wie ihm nun reflexartig unterstellt wird.“ 

Für den Bundestagsabgeordneten Uwe Witt ging diese sanfte Distanzierung nicht weit genug. „Der größte Massenmörder Deutschlands, Hitler, sei „beileibe kein ‘Vogelschiß’“, meinte er. Als Politiker der AfD entschuldige er sich „bei allen jüdischen Mitbürgern und den Opfern des Naziregimes sowie deren Familien für diese unglaubliche Bagatellisierung durch unseren Parteivorsitzenden“, so der Sprecher der Alternativen Mitte am Wochenende.

Protestbrief von JA-Vorstandsmitgliedern

Am Montag dann war die Gauland-Rede dann auch Thema im Bundesvorstand und in einer Sitzung des Fraktionsvorstands. Gegen Mittag schickte die Pressestelle eine Erklärung des Partei­granden heraus. Er habe in seiner Rede vor dem JA-Bundeskongreß seine „tiefste Verachtung für den Nationalsozialismus mit einem Sprachbild zum Ausdruck gebracht, das für Mißverständnisse sowie Mißdeutung gesorgt hat“, hieß es darin. „Vogelschiß“ sei und bleibe „für mich der letzte Dreck, ein animalischer Auswurf, mit dem ich den Nationalsozialismus verglichen habe.“ Er müsse, so Gauland, aber zur Kenntnis nehmen, „daß viele in dem Begriff eine unangemessene Bagatellisierung gesehen haben.“ Nichts liege ihm ferner. „Die entstandene Wirkung bedaure ich. Niemals war es meine Absicht, die Opfer dieses verbrecherischen Systems zu bagatellisieren oder gar zu verhöhnen.“

 Für seinen Co-Vorsitzenden Meuthen war die Affäre damit beendet: „Nun ist auch mal gut“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. „Relativierende Äußerungen über die Zeit des Nationalsozialismus sind völlig inakzeptabel und haben keinen Platz in der AfD“, bekräftigte Parteivize Georg Pazderski. Gleichzeitig verdiene Gaulands anschließende „Entschuldigung unseren Respekt“.

Einen offiziellen Rüffel gab es unterdessen für die Veranstalter des Wochenendes im thüringischen Seebach. So drückte der AfD-Bundesvorstand „sein Befremden und seine Mißbilligung aus“, daß auf dem Bundeskongreß der JA von einer Mehrheit der Teilnehmer „während der Veranstaltung auch jene Strophen des Liedes der Deutschen gesungen wurden, die nicht Bestandteil der Nationalhymne sind.“ Ein Teilnehmer der Veranstaltung berichtete der jungen freiheit von teilweise „schaurigen“ Szenen. Auch innerhalb des Vorstands der Parteijugend sorgte der Bundeskongreß für Ärger. In einem Brief, der der jungen freiheit exklusiv vorliegt, haben sich fünf der (derzeit) zwölf Mitglieder des JA-Bundesvorstands „aufgrund ihres gemeinsamen Befremdens“ an die Parteispitze gewandt. 

So wurden von zum Teil „ranghohen Funktionären bzw. deren Partnerinnen mehrfach Beleidigungen wie ‘Bastarde’ oder ‘Ratten’ in Richtung gemäßigter Mitglieder geäußert“, andere mäßigende Stimmen seien mit „im Pegida-Stil gebrüllten ‘Abschieben, abschieben’-Rufen bedacht worden“, schreiben die Vorstandsmitglieder Nicolai Boudaghi, Moritz Brodbeck, Alexander Leschik, Alischa Marczinczik und Christopher Jahn. Manche Teilnehmer seien von mehreren anderen angegangen und lautstark unter Androhung von Gewalt unter Druck gesetzt worden. Bedauerlicherweise habe Gaulands Rede offensichtlich einige JA-Mitglieder dazu verleitet, „verbal selbst über die Stränge zu schlagen“, kritisieren die fünf. Für viele sich als gemäßigt einschätzende Mitglieder der Parteijugend – insbesondere aus den dort schwach vertretenen westdeutschen Landesverbänden – sei der Bundeskongreß „schockierend“ gewesen, berichtet ein Teilnehmer. „Was da beschlossen wurde, ist nicht repräsentativ“, so sein Fazit.