© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/18 / 08. Juni 2018

Gegen Terror, für Freiheit
Nationalliberaler: Der frühere Generalbundesanwalt und FDP-Politiker Alexander von Stahl wird achtzig
Jörg Kürschner

Erst kürzlich sah man Alexander von Stahl in Begleitung seiner Ehefrau in der Berliner Bibliothek des Konservatismus (BdK). Aufmerksam verfolgte der Jubilar den Vortrag des Verfassungsrechtlers Rupert Scholz zum Thema „Migration und Obergrenze – Anmerkungen zum deutschen Asylrecht“ (JF 20/18). Und engagiert wandte sich der frühere Generalbundesanwalt gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Nicht mit der polemischen Schärfe eines Parteipolitikers, sondern mit der fundierten Urteilskraft eines Juristen. 

Stahls Judiz hat diese Zeitung viel zu verdanken. Er hat die JUNGE FREIHEIT vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich gegen das Land Nordrhein-Westfalen vertreten. Seit 1995 wurde die junge freiheit im jährlichen Verfassungsschutzbericht des Landes erwähnt, da „tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht auf rechtsextremistische Bestrebungen“ vorlägen. Ein Skandal. Zehn Jahre lang nahm die politisch-mediale Klasse die junge freiheit in den ideologischen Schwitzkasten. Mit verheerenden wirtschaftlichen Folgen. 

2002 trat Stahl als Prozeßbevollmächtigter in das Verfahren ein, um die Klage der JUNGEN FREIHEIT zu stärken. Am 28. Juni 2005 veröffentlichte das höchste deutsche Gericht eine Presseerklärung mit dem Titel „Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Aufnahme in Verfassungsschutzbericht“. „Mir ging es damals um die Pressefreiheit“, blickt Stahl 13 Jahre später zurück. Dem Verfassungsschutzbericht hatte er seinerzeit einen „Mangel an Intellektualität“ attestiert.

Der Sieg vor dem Bundesverfassungsgericht war nur ein beruflicher Höhepunkt im Leben des Juristen Stahl. Als er dieser Tage in der konservativen Denkfabrik auf Scholz traf, war damit auch ein freundliches Wiedersehen mit seinem früheren Dienstherrn verbunden. Justiz-Staatssekretär von Stahl schaffte das Kunststück, 14 Jahre (1975 bis 1989) fünf verschiedenen Berliner Justizsenatoren zu dienen, von denen nur drei seiner Partei, der FDP, angehörten. Ein Hinweis darauf, daß fachliche Kompetenz seine berufliche Karriere geprägt hat, politische Herkunft eher zweitrangig war. Der in Berlin geborene und in Westfalen aufgewachsene Stahl war der FDP 1961 beigetreten. Für den Weg in die Politik entschied sich der 23jährige nach Gesprächen mit seinem Vater, der mit den Idealen der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 um Claus Schenk Graf von Stauffenberg sympathisiert hatte. Sohn Alexander verwirklichte in der neu entstandenen Demokratie, was dem Vater in der NS-Zeit versagt geblieben war. 

Parteipolitik war seine Sache nicht

Anfang der sechziger Jahre bestimmte der Bundesvorsitzende und Vizekanzler Erich Mende die Partei, der prominenteste Vertreter des nationalliberalen Flügels, der in der FDP seit Jahrzehnten keine Rolle mehr spielt. Mit der von ihm gegründeten „Liberalen Offensive“ hat Stahl 1995 versucht, diese Traditionslinie der Partei neu zu beleben. Vergebens. Als Parteitagsdelegierter hat er 1996 Anträge gegen die Einführung des Euro vor der Schaffung einer Politischen Union und gegen die doppelte Staatsbürgerschaft eingebracht. Kandidaturen für den Berliner Landesvorsitz endeten mit Niederlagen. Stahl war in der FDP längst isoliert. Auf einem traditionellen Dreikönigstreffen Mitte der neunziger Jahre in Stuttgart ignorierte ihn die Bundesspitze bis an die Grenze der Unhöflichkeit. Parteipolitik war Stahls Sache nicht.

Zu jener Zeit hatte er den juristischen Höhepunkt seiner beruflichen Karriere längst überschritten, die Tätigkeit als Generalbundesanwalt. Vorgeschlagen 1990 von Parteichef Otto Graf Lambsdorff, gefeuert 1993 von „Parteifreundin“ Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, der damaligen Bundesjustizministerin. Anlaß war der GSG-9-Einsatz in Bad Kleinen gegen zwei RAF-Terroristen (JF 27/13). Der Generalbundesanwalt wurde für eine widersprüchliche Informationspolitik verantwortlich gemacht. Nach dem Rücktritt des Bundesinnenministers Rudolf Seiters (CDU) habe die Justizministerin wohl befürchtet, „es könnte sie auch erwischen“, erinnert sich Stahl im Gespräch mit der jungen freiheit. Das Verhältnis zwischen der sozialliberal gestimmten Ressortchefin und ihrem obersten politischen Beamten sei immer „angespannt“ gewesen. Später forderte der Personalratsvorsitzende dessen Rehabilitierung. 

Die kurze Amtszeit hat vergessen gemacht, daß Stahl nach dem Mauerfall justizpolitisch eine wichtige Rolle gespielt hatte. Der Terrorismusexperte Butz Peters hat sich in zahlreichen Büchern mit der „Rote Armee Fraktion“ beschäftigt, die für 33 Morde verantwortlich ist. „Es war Alexander von Stahls großes Verdienst, daß nicht nur die aktiven RAF-Terroristen die gerade erst verabschiedete Kronzeugenregelung in Anspruch nehmen konnten, sondern auch die zehn RAF-Aussteiger, die der Gruppe vor über einem Jahrzehnt den Rücken gekehrt hatten. So schilderten die 1990 in der DDR gefaßten Aussteiger ausführlich das Innenleben der zweiten RAF-Generation, um einen Strafrabatt zu bekommen.“ Diese Aussagen seien ausgesprochen wertvoll gewesen, betonte der Rechtsanwalt.

Der Generalbundesanwalt a. D. lebt heute in Ettlingen, nahe seiner einstigen Wirkungsstätte Karlsruhe. Vor wenigen Wochen hat er seine Tätigkeit als Rechtsanwalt beendet und auch Aufsichtsratsmandate niedergelegt. Liebenswürdig und freundlich beantwortet er alle Fragen am Telefon. Bis auf eine. Wie sein Geburtstag ablaufen werde, könne er nicht sagen. Ein Geheimnis. Frau und Kinder wollen offenbar mit ihm „irgendwo hinfahren“, mutmaßt er in hörbarer Vorfreude. Am 10. Juni wird Alexander von Stahl 80 Jahre alt.