© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/18 / 08. Juni 2018

Grüße aus Wien
Kasperl am Donaukanal
Michael Link

Wien hat also einen neuen Bürgermeister: Michael beerbt Michael – Ludwig den langdienenden Häupl. Das Stadtbild hat sich während Häupls Amtszeit indes stark verändert. Das wird mir bei meinem Spaziergang durch die Innenstadt wieder einmal bewußt. 

Ich überquere den Schwedenplatz und nähere mich der Urania. Neben dem Stephansdom gleicht sie einem architektonischen Fels in der Brandung bauwütiger Stadtbilderneuerer. Zwar überragt die Urania-Sternwarte nicht wie der Stephansdom ein paar hundert Meter stadteinwärts in altehrwürdiger Manier sämtliche Gebäude der Wiener Innenstadt, doch ist sie allemal ein Blickfang. Länger schon nicht dort gewesen, überlege ich. 

In den dominanten Straßenlärm mischt sich Kindergelächter, als ich an der Urania, die auch ein Puppentheater beherbergt, vorbeischlendere. Für einen Augenblick bleibe ich vor dem Schaukasten neben dem Eingang stehen. Ich werfe einen Blick auf das Programm. Der gute alte Kasperl. Dann blicke ich für eine Sekunde in ein leises, gespiegeltes Schmunzeln im gläsernen Schaukasten, während ich an den neuen Bürgermeister denke: 

„So ein Spaziergang bringt doch immer wieder einen Hauch von Erholung in den Alltag.“

Mit 56 Jahren ist er sogar noch ein paar Jährchen jünger als der Urania-Kasperl, unser erster Kindheitsheld, doch selbst bei bester Amtsführung wird ihm dessen Erfolg nicht vergönnt sein: Wer kann schon von sich behaupten, über sechzig Jahre lang fast Tag für Tag eine Heldentat vollbracht und seine Lieben vor dem Krokodil, dem Drachen oder einem bösen Zauberer gerettet zu haben? 

Ich spaziere weiter stromabwärts. Schnell verklingen die vergnügten Kinderstimmen im Lärm der Autos und Motorräder. Auch diese werden endlich leiser, als ich vom Trottoir hinunter zur parallel gelegenen Donaukanalpromenade wechsle. So ein Spaziergang bringt doch immer wieder einen Hauch von Erholung in den Alltag. Ich werfe einen Blick in meinen Taschenkalender. Noch keine Ahnung, was in den Tagen nach Fronleichnam anstehen wird. Erstes Wochenende im Juni – da ist doch, soweit ich mich entsinnen kann, traditionell das Donaukanaltreiben angesagt. 

Ein Blick auf das Kinderprogramm des festlichen Treibens hat mich, nebst den noch frischen akustischen Eindrücken bei der Urania, schnell überzeugt. Dann werde ich mir also eine kleine Zeitreise gönnen – vierzig Jahre in die Vergangenheit: Denn so eine Gelegenheit, den Helden von Wien mit der langen Zipfelmütze Open Air am Donaukanal zu sehen, möchte ich mir nicht entgehen lassen.