© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/18 / 08. Juni 2018

Die „Frankenstein-Koalition“ übernimmt in Madrid
Regierungswechsel in Spanien: Der Parteichef der Sozialisten, Pedro Sanchez, ist zum neuen Ministerpräsidenten gewählt worden
Thorsten Brückner

Seine Mehrheit hing am seidenen Faden. Seit 2015 führte Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy eine Minderheitsregierung. Seit 2016 wurde diese von Ciudadanos und den Sozialisten (PSOE) toleriert. Doch vergangene Woche war die Geduld der PSOE mit Rajoy am Ende. Die Gürtel-Korruptionsaffäre, die seit Jahren das Land in Atem hielt, brachte am 24. Mai 29 Schuldsprüche. Namhafte Funktionäre von Rajoys Partido Popular (PP) wurden für schuldig befunden, noch zu Zeiten von Premierminister José María Aznar öffentliche Gelder veruntreut zu haben. Unter den Verurteilten: der frühere Schatzmeister der Partei, Luis Bárcenas, der 33 Jahre ins Gefängnis muß. Insgesamt sprach das Gericht Haftstrafen in Höhe von 351 Jahren aus. Für den zwischenzeitlich politisch totgesagten Sozialisten-Chef Pedro Sánchez keine Basis für eine weitere Tolerierung. 

Wegen der Entscheidung seiner Partei, Rajoy zu unterstützen, war Sanchez im Herbst 2016 sogar kurzfristig von seinem Amt als Parteichef zurückgetreten. Am Freitag wählte ihn das spanische Parlament per konstruktivem Mißtrauensvotum zum neuen Regierungschef. Er erhielt 180 Stimmen. 176 wären notwendig gewesen. Neben der linken Partei Podemos erhielt er auch die Unterstützung der baskischen und katalanischen Nationalisten. Letztere feierten die Abwahl Rajoys als Triumph und brachten ihre Hoffnung auf eine politische Lösung des Katalonien-Konflikts zum Ausdruck. Gesprächen mit dem neuen katalanischen Präsidenten Quim Torra wird sich Sanchez nicht verweigern können. Allerdings ist das Verhältnis der beiden Politiker durch vorangegangene Äußerungen des Sozialisten-Chefs getrübt. Dieser hatte Torra wegen antispanischer Tweets als Rassisten beschimpft und ihn den „Le Pen Spaniens“ genannt.

Sanchez’ politischer Handlungsspielraum ist aber nicht nur wegen des Katalonien-Konflikts begrenzt. Der Haushalt für 2019 wurde noch unter Federführung der PP vom Parlament beschlossen. Sanchez’ Regierungspartner, der Parteichef von Podemos, Pablo Iglesias, hat bereits Nachbesserungen am Haushalt gefordert. Allerdings wollen gerade die baskischen Nationalisten nicht mehr am Etat rütteln, für den Rajoy ihnen massive Zugeständnisse gemacht hatte. 

Sollte die knappe Mehrheit von Sanchez – von Rajoy als „Frankenstein-Koalition“ bezeichnet – halten, könnte der gebürtige Madrilene bis zu den nächsten regulären Parlamentswahlen 2020 regieren. Neuwahlen dürfte Sanchez scheuen. Die meisten Umfragen prognostizieren der Ciudadanos-Partei von Albert Rivera einen deutlichen Sieg. Rivera hatte im Katalonien-Konflikt Rajoy mehrfach rechts überholt und forderte unter anderem die Wiedereinsetzung von Artikel 155, um Katalonien weiter von Madrid aus regieren zu können.