© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/18 / 08. Juni 2018

Stimme des Nahen Ostens
Kino: Der Film „Auf der Suche nach Oum Kulthum“ nähert sich dem Leben einer gefeierten ägyptischen Sängerin
Sebastian Hennig

Nach der Verfilmung des magisch-realistischen Romans „Women Without Men“ ihrer Landsmännin Shahrnush Parsipur hat sich die iranische Künstlerin und Fotografin Shirin Neshat nun gemeinsam mit ihrem Lebenspartner Shoja Azari in dem Drehbuch zu ihrem zweiten Spielfilm „Auf der Suche nach Oum Kulthum“ selbst eine literarische Parabel vorgegeben.

Ihre Titelgestalt wird 1904 in einem kleinen Dorf im östlichen Nildelta geboren. Aus ärmlichen Verhältnissen erwächst sie zur bedeutendsten Sängerin der arabischen Welt. In Europa wird sie kaum wahrgenommen, während der Schall ihrer gewaltigen Stimme im Orient die westliche Beatmusik übertönt. Vier Millionen Verehrer geben ihr das Geleit, als sie im Jahr 1975 zur letzten Ruhe gebettet wird.

„Auf der Suche nach Oum Kulthum“ handelt von der Entstehung eines Films über die Sängerin. Die Kräfte der Abwesenden werden in der Regisseurin Mitra (Neda Rahmanian) und ihrer Hauptdarstellerin Ghada (Yasmin Raeis) regsam. In der ersten Einstellung leitet uns die Kamera von Martin Gschlacht durch eine großbürgerliche Wohnung. Bald tritt die Regisseurin Mitra ins Bild und zieht uns weiter über Treppen und Flure in ein Schlafzimmer, wo die strenge Erscheinung mit der burschikosen Haartracht am Fenster ein kleines Mädchen mit Zöpfen und einer Puppe im Arm (Nour Kamar) erblickt, während auf dem Bett eine majestätische Frauengestalt im grünen Kleid sitzt. Als Mitra ans Fenster tritt, hat sich dort bereits das Mädchen im blendenden Licht gleichsam aufgelöst. Über viele unsichtbare und unkommentierte Details ist der Film seinem Inhalt verbunden.

Die Kinderdarstellerin Nour Kamar ist ein aktuelles Stimmwunder aus Tunesien. Mitra tritt durch einen Vorhang aus Licht in die schwarzweiße ägyptische Welt der vorletzten Jahrhundertwende. Sie wird zur Zeugin, wie das als Knabe verkleidete Mädchen in ihrem Heimatort zum ersten Mal vor der Gemeinschaft seine Stimme erschallen läßt. Das Geflecht der Lebenslinien ergibt ein Muster von den Schwierigkeiten einer weiblichen Künstlerexistenz nicht nur in der orientalischen Welt.

Auseinandersetzung mit den Produzenten 

Zweieinhalb Jahre hatte Neshat nach dieser Form gesucht. Als Gast der Berlinale kündete sie 2013 von der Fertigstellung des Drehbuchs und meinte bezüglich der Realisierung, in den USA, wo sie seit der iranischen Revolution lebt, brauche sie gar nicht nach Geld zu fragen. Entstehen konnte ihr Film dann, ähnlich wie der vorangegangene, als vorwiegend europäische Koproduktion von Deutschland, Österreich, Italien, mit einigen Schauplätzen in Marokko.

Die Auseinandersetzung mit den Produzenten wird gegen Ende des Films zum Teil der Handlung. Die von einer Lebenskrise aufgewühlte Mitra will gegen den Willen der Produzenten einen rätselhaften Schluß: Die gefeierte Sängerin verstummt auf offener Bühne vor dem Publikum mit der Staatsführung unter Präsident Nasser. 

Die legendäre Gestalt ist lediglich die Vorlage, um anhand der fiktiven Künstlerinnen auf ihren Spuren den zwiespältigen Status und die schwierige Empfindungswelt einer Künstlerin überhaupt innerhalb der arabischen Gesellschaft darzustellen. Neshat merkt dazu an: „In der Geschichte wird deutlich, daß die meisten Frauen des Nahen Ostens – unabhängig von ihrer Generation oder ihrem kulturellen Umfeld – in den von Männern beherrschten Gesellschaften stets vor einem ähnlichen Dilemma stehen: Ruhm und Erfolg können sie zwar erreichen, aber immer müssen sie dafür ihr traditionelles Familienleben opfern – unterschwellig manifestiert sich das Gefühl einer Entfremdung, die sich als Resultat des Verzichts auf einen konventionellen Lebensstil ergibt.“

Was sie für den Nahen Osten konstatiert, war in dem beschriebenen Zeitraum ebenso noch für die europäische Welt kennzeichnend und trifft paradoxerweise dort im Zuge der politisch durchgesetzten Gleichstellung der Geschlechter inzwischen weithin sogar auf die Männer zu. Eine durch die globalisierte Ökonomie bewirkte Entwurzelung der Menschen bewirkt die Auflösung aller Rollenzuschreibungen.

Es zeugt entweder von nostalgischer Bequemlichkeit, diese Erscheinung den Nachwirkungen eines längst verloschenen Patriarchats zuzuschreiben, oder es handelt sich hier nur um ein vereinfachendes Marketing-Klischee. Sollte Neshat das emanzipatorische Pathos ihres Gastlandes und die rigorose Ablehnung der Tradition tatsächlich verinnerlicht haben, dann regen ihre Filmbilder zu anderen Schlußfolgerungen an. Da tritt die junge Sängerin vor dem Königshaus auf. Die Entourage des Hofes nimmt sich familiär-intim aus gegenüber den Angestellten der Präsidialmacht, zu deren Auditorium sie später militärisch eskortiert wird. Während die Musiker vormals in traditionellen Gewändern mit Fez auf dem Haupt auf der Bühne saßen, flöteten, geigten, die Laute zupften und das Hackbrett bearbeiteten, hantieren sie später geschäftsmäßig wie Angestellte, sind barhäuptig und tragen steife Anzüge.

Vielleicht war die alte Gesellschaft unter dem traditionellen Kostüm europäischer gesonnen als die modisch verkleideten Neuerer. Suggestive Bildgestaltung und Schauspieler retten den Film und die Legende vor einer eindeutigen Botschaft.

Filmstart am 7. Juni 2018

 http://oumkulthum-derfilm.de