© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/18 / 08. Juni 2018

Multikulti ist nicht natürlich
Ein Nachruf auf den Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt
Konrad Adam

Die Erfahrung, daß menschliches Verhalten an Regeln gebunden ist, die sich nicht folgenlos mißachten lassen, war den multikulturell benebelten Deutschen fast schon abhanden gekommen. Nachdem sie Millionen von jungen Männern ins Land gelassen hatten, die einer Frau den Handschlag verweigern, weil sie Frauen für minderwertig oder unrein halten, kehrt die Erinnerung jedoch zurück. Voller Erstaunen stellen sie fest, daß es so etwas wie kulturelle Konstanten gibt, eine universale Grammatik des menschlichen Sozialverhaltens, die niemand ungestraft verletzen darf. Der Biologe Irenäus Eibl-Eibesfeldt hat diesen Konstanten nachgespürt, hat sie beobachtet und eindrucksvoll beschrieben. Am 2. Juni ist er im Alter von fast neunzig Jahren in Starnberg gestorben.

Lorenz-Schüler analysierte Menschen statt Graugänse

Er hatte das Glück, in Konrad Lorenz einen Lehrer zu finden, der ihm genug Anregung verschaffte, aber auch genug Freiheit ließ, um eigene Wege zu gehen und eine neue Forschungsrichtung, die Humanethologie, zu begründen. Während Lorenz die Phänomene der kulturellen Prägung an seinen berühmten Graugänsen studierte, wandte sich Eibl-Eibesfeldt den Menschen zu. Aus Gestik und Mienenspiel, aus einer gehobenen Augenbraue oder einem verkniffenen Mund, aus den vielen kleinen Zeichen von Zuneigung oder Abwehr schloß er auf ein Regelsystem, das, angeboren und anerzogen, das soziale Verhalten der Menschen in aller Welt kulturkreisübergreifend kontrolliert.

Der Vergleich war für ihn der Schlüssel zum Erklären, das Erklären die Vorstufe zum Verstehen. Und er verglich ständig und überall auf der Welt. Wenn ein Indianerstamm seine Gäste mit einem Scheinangriff speerschwingender Männer empfängt, dem sich eine Parade von blumengeschmückten Frauen anschließt, erinnerte ihn das an eine bayerische Schützenkompanie, die dem Nachbardorf in Begleitung von ein paar Ehrenjungfern ihre Aufwartung macht. Noch das Ritual des Staatsbesuchs mit seinem Nebeneinander von militärischem Gepränge und Fähnchen schwenkenden Kindern folgt demselben Muster, einer Mischung aus aggressivem Pomp und friedlicher Einvernahme.

Auf die alte Streitfrage, was an solchen kulturell geprägten Verhaltensformen genetisch bedingt oder sozial erlernt sein könnte, hat Eibl-Eibesfeldt die einzig vernünftige Antwort gegeben, daß beides zählt. Die Humanethologie auf die Erforschung des biologischen Erbes zu beschränken, hielt er für falsch; neben den natürlichen Selektionsfaktoren müsse sein Fach auch die kulturell bedingten Verhaltensweisen in den Blick nehmen. Der Versuch, nach dem Vorbild der Physik das menschliche Verhalten auf ein mechanisch funktionierendes Reiz-Reaktions-Schema zurückzuführen, war für ihn immer nur ein Teil der Aufgabe, die er sich und seiner Disziplin gestellt hatte.

Was zählte, war eben beides, neben dem Erbe die Umwelt, neben der Veranlagung die Erziehung, neben der natürlichen die kulturelle Evolution. Damit distanzierte er sich einerseits von den Biologisten, die den Menschen als eine genetisch gesteuerte Reproduktions-Maschine betrachten, auf der anderen Seite aber auch von den Behavioristen, die auf die Worte eines Mannes schwören, der sich erboten hatte, aus jedem gesunden Kind ganz nach Belieben einen Arzt, einen Künstler, einen Unternehmer, einen Bettler oder einen Politiker zu machen, ungeachtet seiner Talente, seiner Neigungen und Anlagen und der rassischen Zugehörigkeit seiner Vorfahren.

Übereinstimmung mit der Natur bestimmt die Identität

Das war etwas für Amerikaner, aber nichts für Eibl-Eibesfeldt, der in seiner Skepsis gegen die diktatorischen Gelüste von Molekularbiologen und Sozialwissenschaftlern dem Pessimismus seines Lehrers Konrad Lorenz kaum nachstand. Er war Naturwissenschaftler, also Realist, geriet aber gerade dadurch, ähnlich wie vor ihm schon so viele andere und neulich wieder der US-Genetiker David Reich, ins Schußfeld von Fortschrittsfreunden, die von Konstanten nichts hören wollen, weil Konstanten ihrem Wunsch nach Veränderung und Verbesserung des Menschen den Weg verlegen würden. 

Zu diesen Konstanten gehörte für Eibl-Eibesfeldt auch und vor allem das biologisch tief verankerte Mißtrauen gegen alles Ungewohnte und Fremde. Das trug ihm den Vorwurf ein, den Menschen als höheres Tier zu betrachten, auf seine animalischen Instinkte zu verkürzen und seine genuin menschlichen Fähigkeiten zu unterschätzen. Der Vorwurf war unbegründet, denn Eibl-Eibesfeldt sprach ja nicht von Fremdenfeindschaft, sondern von Fremdenscheu, die sich verändern und formen, also anpassen ließ. Anpassung war eines von seinen Schlüsselwörtern; aber Anpassung braucht Zeit – Zeit, die ihr die Multikulturellen nicht lassen wollen. In einem Focus-Interview  (21/1996) brachte Eibl-Eibesfeldt diese Skepsis auf den Punkt: „Es gibt diese schöne Idee, daß Immigranten ihre Kultur behalten und sich als deutsche Türken oder deutsche Nigerianer fühlen sollen, weil das unsere Kultur bereichert. Das ist sehr naiv. In Krisenzeiten hat man dann Solidargemeinschaften, die ihre Eigeninteressen vertreten und um begrenzte Ressourcen wie Sozialleistungen, Wohnungen oder Arbeitsplätze konkurrieren. Das stört natürlich den inneren Frieden.“ 

Wer als Wissenschaftler auf Konstanten achtet, wird mit dem Wort Fortschritt nicht viel anfangen können. Eibl-Eibesfeldt blieb denn auch skeptisch gegen alles, was nach Fortschritt klang. Als Freund und Kenner der Natur hielt er es mit der stoischen Lehre, wonach der Mensch nur so lange mit sich selbst im reinen bleibt, wie er als das Naturwesen, das er nun einmal ist, mit der Natur im Einklang lebt. Natur war für ihn nicht nur Gegenstand, sondern auch Ziel, ja Zweck von Wissenschaft. Er hatte dafür den Begriff der Übereinstimmung, der Identität parat, und damit war er ganz und gar modern.