© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/18 / 08. Juni 2018

Zu kurz gedacht
Plastikverordnung: Die EU will Einmalprodukteaus Kunststoff verbieten / Nur Symbolpolitik?
Björn Harms

Die Aufregung war wieder einmal groß in der vergangenen Woche. „EU verbietet Strohhalme“, titelte die Bild-Zeitung. Es gehe „unserer Cocktailkultur an den Kragen“, beschwerte sich der Cicero. Gemeint waren die neuen EU-Pläne, mit denen die zunehmenden Kunststoffabfälle in den Weltmeeren bekämpft werden sollen. Danach sollen verschiedene Einwegprodukte aus Plastik, darunter Strohhalm und Besteck, verboten werden. Doch was ist dran an der Empörung?

Bereits im Januar dieses Jahres hatte die EU-Kommission eine „europäische Plastikstrategie“ vorgelegt, nach der ab 2030 alle Kunststoffverpackungen auf dem EU-Markt recyclingfähig sein sollen. Gleichzeitig müsse der Verbrauch von Einwegkunststoffen reduziert und die absichtliche Verwendung von Mikroplastik beschränkt werden. Nun präzisierte die EU-Kommission ihre Vorstellungen und veröffentlichte ein konkretes Maßnahmenpaket. Demnach sollen verschiedene Einwegkunststoffprodukte vom Markt genommen werden, für die es bereits umweltverträgliche Alternativen gibt. „Das Vermarktungsverbot soll für Wattestäbchen, Besteck, Teller, Trinkhalme, Rührstäbchen und Luftballonstäbe aus Kunststoff gelten“, heißt es in der Erklärung der Kommission.

Bei Produkten, für die es noch keine offensichtlichen Alternativen gibt, liege der Schwerpunkt „auf der Eindämmung ihres Verbrauches durch entsprechende Maßnahmen der Mitgliedstaaten und auf Vorgaben für ihre Gestaltung“.

Die von der Kommission vorgelegte Richtlinie ist nur ein Vorschlag und muß zunächst von allen EU-Ländern und dem Europäischen Parlament verhandelt werden. Somit dürfte es Jahre dauern, bis ein rechtskräftiger Gesetzesbeschluß vorliegt, ganz zu schweigen von der jeweils nationalen Umsetzung.

Passend zur Vorlage verwiesen Kommission, aber auch die internationalen Medien auf die weltweite Meeresverschmutzung. „Wenn wir nicht die Art und Weise ändern, wie wir Kunststoffe herstellen und verwenden, wird 2050 in unseren Ozeanen mehr Plastik schwimmen als Fische“, verdeutlichte der Erste Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans.

Und keine Frage, die Verschmutzung der Meere ist erschreckend. Sie bedroht die maritime Pflanzen- und Tierwelt mit weitreichenden Folgen. Auch das Leben der Küstenbewohner wird stark beeinflußt, ebenso wie die Nahrungskette, die bis zum Menschen reicht. Fakt ist jedoch auch: Nur ein sehr geringer Anteil des Kunststoffs in den Weltmeeren stammt aus der EU. In Deutschland wird Plastik üblicherweise wiederverwertet oder verbrannt. Zehn Flußsysteme dagegen – acht in Asien und zwei in Afrika – befördern rund 90 Prozent des globalen Plastikeintrags in die Weltmeere.

Bloße Verbote packen das Problem nicht an der Wurzel

Das meiste Plastik spült der Jangtse-Fluß in die Ozeane. Die einzigen nichtasiatischen Flüsse in der Liste sind der Nil und der Niger. Die Hauptverursacher des ozeanischen Müllproblems lassen sich somit auf einige wenige Länder reduzieren. Größtenteils handelt es sich um China, Indonesien, Vietnam, Thailand und die Philippinen, die zusammen für über die Hälfte der Plastikverschmutzung verantwortlich sind. Würden diese fünf Länder ihren Plastikmüll um 65 Prozent eindämmen, gerieten in den nächsten zehn Jahren ganze 45 Prozent weniger Plastik in die Weltmeere.

Der Vorstoß aus Brüssel berührt also nur die Spitze des weltweiten Plastik-Müllbergs. Freuen dürften sich vor allem die Hersteller der Substitutionsprodukte. So kündigte Tetra Pak bereits im April die Umstellung auf Papiertrinkhalme bis zum Jahresende an. Auch die EU führt neben dem Umweltschutz einen Anschub für die Wirtschaft als Begründung an. Neue Produkte und Technologien könnten Vorteile im globalen Wettbewerb schaffen. Umweltexperten verweisen jedoch zu Recht darauf, daß keineswegs alle Alternativen, etwa Strohhalme aus Bambus, eine bessere Umweltbilanz aufweisen. Sie landen zwar nicht im Meer, verbrauchen aber deutlich mehr Ressourcen bei der Herstellung.

Bloße Verbote packen das Problem daher ebensowenig an der Wurzel wie moralische Appelle. Unterschiedlichste Maßnahmen könnten Abhilfe schaffen: etwa die Streichung von Subventionen bei Öl, das zur Herstellung von neuem Plastik genutzt wird, ebenso wie länderübergreifende Pfandsysteme und Einsparziele für die Industrie. Die von Brüssel geplante Plastikabgabe könnte zudem komplett für die Entwicklung neuer Materialien genutzt werden.

Verteufelt werden muß der neue Maßnahmenkatalog der EU jedoch nicht. Schließlich bestehen auch an den europäischen Stränden über 80 Prozent des Mülls aus Kunststoff, über die Hälfte davon sind Einwegprodukte wie Plastikgeschirr, Einkaufstüten und Trinkhalme.

Das sieht offenbar auch die Mehrheit der Deutschen so. In einer repräsentativen Meinungsumfrage von Civey im Auftrag der Welt befürworten rund 73 Prozent ein EU-weites Verbot von Einmalprodukten aus Plastik. Knapp 22 Prozent lehnen es der Umfrage zufolge ab, 5,6 Prozent sind in dieser Frage unentschieden. Und bei aller Kritik an der EU – seit wann gilt Einwegplastik als schützenwertes Gut und Bedrohung für unsere „Cocktailkultur“? Das Problem ist in der Tat nicht der Strohhalm, sondern die häufige Gedankenlosigkeit des Verbrauchers. Würde bei Grillabenden bewußter und weniger bequemlich geplant werden, wäre dies womöglich sinnvoller und umweltfreundlicher als die vom Lobbyismus verwässerten EU-Verbote.

Neue EU-Richtlinie zu Plastikabfällen:  europa.eu/