© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/18 / 15. Juni 2018

Linke Leute von rechts
AfD: Mit seinem Thüringer Rentenkonzept heizt Björn Höckes Sozialflügel eine innerparteiliche Debatte an
Christian Vollradt

Wer Thüringens AfD-Fraktionsvorsitzendem Björn Höcke bei seinem jüngsten Auftritt im Berliner Haus der Bundespressekonferenz zugehört hat, mag sich gewundert haben, ob hier wirklich der Repräsentant des „rechten“ Parteiflügels auf dem Podium saß. „Wir müssen unser sozialpolitisches Profil schärfen“, teilte der Gast aus Erfurt den versammelten Journalisten mit und setzte hinzu, es gelte Abschied zu nehmen „von der falschen neoliberalen Weichenstellung“. 

Keine Frage, als Höcke mit einem Parteifreund, dem Bundestagsabgeordneten Jürgen Pohl, das gemeinsame Rentenkonzept vorstellte, mögen manchem Linksparteimitglied oder Gewerkschaftsfunktionär die Ohren geklingelt haben: Rentenantritt für jedermann ab 63 Jahren, Schluß mit der Lohnzurückhaltung, um die Drittelparität von Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Bund wieder voll zur Geltung zu bringen, Erhöhung des Rentenniveaus auf 50 Prozent (aktuell liegt das bei 44,6 Prozent brutto bzw. 48,1 Prozent netto), keine Subvention privater Rentenversicherungen – und die faktische Einführung einer Bürgerversicherung, das heißt, alle zahlen ein, auch Selbständige und Beamte.

Rentenaufschlag nur    für deutsche Staatsbürger

Zwei Ziele stehen bei der vorgeschlagenen Reform im Vordergrund: Die Verelendung ganzer Alterskohorten soll verhindert werden und Eltern sollen im Alter angemessen an den Früchten der Arbeit ihrer Kinder beteiligt werden. Mit jedem Kind entfällt für Eltern ein Rentenbeitragspunkt, mit der Geburt des dritten erlischt die zusätzliche Beitragspflicht, die für alle übrigen Einzahler eingeführt werden soll. 

Deutsche Staatsbürger, die trotz 35 Beitragjahren nur eine geringe Rente erhalten, sollen einen aus Steuermitteln finanzierten Aufschlag erhalten. Damit werde „ein angemessener Abstand zur Grundsicherungsschwelle erreicht“, so die Autoren des Konzepts. Das sei, meinen Höcke und Pohl, keine Diskriminierung. Denn die Rentenansprüche von in Deutschland arbeitenden Ausländern würden dabei ja nicht angetastet; und wer so lange hier arbeite, könne schließlich den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit anstreben. So leiste der „Staatsbürgeraufschlag“ zugleich einen Beitrag zur Integration. 

Es handle sich, wird Björn Höcke nicht müde zu betonen, um einen Diskussionsbeitrag der Erfurter Landtagsfraktion – und nicht einen der Bundespartei. Warum das Konzept dann nicht in Erfurt vorgestellt wurde? Weil es in Berlin mehr Aufmerksamkeit bekommt, lautet ohne Umschweife die Antwort aus der Entourage des Thüringer Vorsitzenden. Daß die Veranstaltung im Haus der Bundespressekonferenz schon im Vorfeld innerhalb der Partei – vor allem in der Bundestagsfraktion – ordentlich Staub aufgewirbelt hatte, blieb kaum verborgen. Und war sicherlich auch ganz im Sinne des Initiators. Der Unmut, den einige – stets hinter vorgehaltener Hand – äußerten, richtete sich dabei nicht nur auf das Vorpreschen aus Erfurt, sondern auch darauf, daß ein eher wirtschaftsliberal ausgerichtetes Gegenstück aus der Feder der Parteispitze noch immer fehlt. 

Schon bevor Höcke sein Konzept  der Öffentlichkeit präsentierte, hatte allerdings der junge AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier aus Baden-Württemberg seine Ideen in einem Impulspapier entwickelt. Darin werden die links-etatistischen Ansätze, die das Thüringer Konzept dominieren, klar verworfen. Frohnmaier plädiert für ein Drei-Säulen-Modell nach Schweizer Vorbild, das auch Fraktionschefin Alice Weidel für richtungsweisend erachtet: Eine Grundrente dient der Existenzsicherung, hinzu kommen eine „Lebensrente, bei der durch Anlage auf dem Kapitalmarkt und mit staatlicher Bezuschussung ein hinreichend großes Vermögen für jeden Beitragszahler gebildet werden soll“ sowie eine rein freiwillige private Zusatzrente. Bei deutschen Arbeitnehmern soll pro Beitragsjahr der Mindestbetrag der Grundrente um einen Prozentpunkt angehoben werden. Ausländern soll die Grundrente erst ausgezahlt werden, wenn sie zuvor mindestens zehn Jahre Grundrentenbeiträge gezahlt haben.

Parteichef Jörg Meuthen nannte unterdessen den Vorstoß aus dem Hause Höcke gegenüber der JUNGEN FREIHEIT „legitim“ – als Diskussionsbeitrag. Immerhin sei das Thüringer Konzept schon sehr ausgearbeitet. Die von einigen seiner Parteifreunde geäußerte Kritik daran, daß er – Meuthen –, der doch bereits als Wissenschaftler mit diesem Thema jahrelang befaßt gewesen sei, noch immer kein eigenes Konzept vorgelegt habe, kann der AfD-Vorsitzende nicht nachvollziehen. Das sei ja gar nicht seine Aufgabe, betont Meuthen. Die bestehe eher darin, eine allgemeine „ordnungspolitische Wegweisung“ zu geben. Daß die mit den äußerst etatistischen Vorschlägen aus dem Hause Höcke kaum in Einklang zu bringen sind, verhehlt er dabei nicht. Eine solche Lösung halte er nicht für klug, so Meuthen. Und: „Ich bin kein Freund der Bürgerversicherung.“

Immerhin in einem Punkt herrscht relative Einigkeit: Die AfD brauche endlich ein eigenes Retenkonzept, so hört man es von Vertretern der unterschiedlichen Modelle. Geht es nach Höcke, soll der Bundesparteitag 2019 den programmatischen Schwerpunkt auf Sozialpolitik setzen. Mit Blick auf die Chancen bei den dann anstehenden Urnengängen in den neuen Bundesländern wird sein Flügel sicherlich Druck für ein „Kleine-Leute-Programm“ machen. Damit, geben andere zu bedenken, werde die AfD allerdings für „schwäbische Mittelständler“ nicht mehr wählbar.