© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/18 / 15. Juni 2018

Die Vergangenheit überwinden
Gipfeltreffen zwischen USA und Nordkorea: Plötzlich Frieden und Wohlstand statt nuklearer Auslöschung
Marc Zoellner

Stolz sprach das Weiße Haus von einem „historischen Gipfel“.  Kurz zuvor hatten US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Staatschef Kim Jong-un in Singapur eine Vereinbarung über die vollständige Denuklearisierung des kommunistischen Landes unterzeichnet.

„Wir haben beschlossen, die Vergangenheit hinter uns zu lassen“, betonte Kim. Trump sicherte auf dem gut geplanten Gipfel im Gegenzug für die atomare Abrüstung dem Land Sicherheitsgarantien zu. In der Vier-Punkte-Vereinbarung verpflichteten sich die beiden Staaten dazu, neue Beziehungen in Einklang mit dem Wunsch der Völker beider Länder nach Frieden und Wohlstand zu schaffen. Gemeinsam wollen sich beide darum bemühen, ein dauerhaftes und stabiles Friedensregime auf der Koreanischen Halbinsel zu etablieren. Parallel dazu verkündete der US-Präsident ein Ende der gemeinsamen Militärmanöver mit Südkorea. 

Kim und Trump schielen auf China  

Geplant hatte das Washingtoner diplomatische Korps das Treffen zwischen Kim Jong-un und Donald Trump schon seit Anfang März dieses Jahres. Und das überraschenderweise nicht in der Peripherie der nordkoreanischen Nachbarstaaten China und Rußland, die üblicherweise die Auslandsgespräche der als paranoid geltenden Machthaberfamilie arrangieren, sondern im südostasiatischen Stadtstaat Singapur, gut 4.800 Kilometer von Pjöngjang entfernt – und in etwa ebenso weit weg von Chinas Hauptstadt Peking. Washington war diese Ortswahl besonders wichtig, richtet sich die wenig subtile Botschaft dahinter doch gerade an die Kommunistische Partei Chinas, neben Moskau den einzig noch verbliebenen Protegé der abgeschotteten nordkoreanischen Diktatur.

Die Chinesen aus diesen Gesprächen auszuschließen, darf als Meisterstück der Trump-Administration in Sachen der Koreafrage gelten. Immerhin bestimmte Peking über Jahrzehnte hinweg maßgeblich über die internationalen Beziehungen Nordkoreas. Mit über 90 Prozent des Exportvolumens – quantitativ ausgedrückt rund 2,6 Milliarden US-Dollar – gilt China überdies als einzig wichtiger Handelspartner Pjöngjangs.

Mit Singapur löst Washington Nordkorea erstmals von der Nabelschnur Chinas, vorerst zumindest politisch. Der ökonomische Aspekt dürfte für Kim Jong-un indes ebenso eine gewichtige Rolle gespielt haben, in die Singapur-Gespräche einzuwilligen: Denn auch Nordkorea ist rege daran interessiert, seine Märkte für ausländische Kapitalgeber zu öffnen; nicht nur, um der Abhängigkeit China gegenüber zu entgleiten, sondern ebenso, um sich neue Devisenquellen zu erschließen, welche die marode nordkoreanische Wirtschaft modernisieren helfen könnten. Zu Sondierungsgesprächen über potentiell mögliche Investitionen des südostasiatischen Tigerstaats ließ sich Singapurs Außenminister Vivian Balakrishnan schon im Vorfeld des Gipfeltreffens am vergangenen Wochenende nach Pjöngjang einladen.

Außergewöhnlich gut gelaunt über Nordkoreas eigenständiges Entgegenkommen äußerte sich dementsprechend auch Donald Trump. „Ich weiß, daß Kim Jong-un sehr hart dafür arbeiten wird, um etwas zu erreichen, das es selten zuvor gegeben hat“, twitterte der US-Präsident am Samstag während seines Fluges nach Singapur. „Nämlich Frieden und Wohlstand für sein Land zu schaffen. Ich freue mich auf ein Treffen mit ihm und habe das Gefühl, daß diese einzigartige Gelegenheit nicht verschwendet wird.“ 

Das klang nicht immer so. Noch im Januar hatten sich beide Staaten gegenseitig mit nuklearer Auslöschung bedroht. Und vergangenen Herbst twitterte Trump ungeniert: „Warum beleidigt Kim Jong-un mich und nennt mich ‘alt’? Ich würde ihn doch auch niemals ‘klein und fett’ nennen.“

Twitterpolitik überrascht G7-Partner 

Denkbar, daß es gerade Trumps unverblümt schroffe Tweets waren, die Kim letztendlich in die Gesprächsrunden zur nuklearen Abrüstung auf der Koreanischen Halbinsel einwilligen ließen – als einzige Sprache, die Nordkoreas Machthaber wohl verstünde. Zumindest in den USA genießt Trumps Twittermanie eine für deutsche Verhältnisse ungewohnte Popularität mit Hunderttausenden von Likes pro einzelnem Tweet. 

So auch jene weltweit Aufsehen erregende Kurzmitteilung vom 9. Juni, als Trump während seines Rückfluges vom G7-Gipfel im kanadischen La Malbaie dessen Verhandlungsergebnisse kurzerhand via Smartphone aufkündigte. „Anläßlich Justin [Trudeaus] falscher Aussagen während seiner Pressekonferenz“, kommentierte Trump ein gegebenes Interview des kanadischen Premiers, „sowie des Umstands, daß Kanada unsere Bauern, Arbeiter und Unternehmen gewaltige Zölle auferlegt, habe ich unsere Vertreter beauftragt, das Abschlußdokument nicht zu unterzeichnen.“

Tatsächlich hatte sich die US-Delegation unter Donald Trump nach zähen Verhandlungen mit den europäischen Partnern sowie dem kanadischen Gastgeber zuvor noch umstimmen lassen, das G7-Kommuniqué zu unterzeichnen: Trotz aller Unstimmigkeiten zwischen den führenden Industrienationen nicht nur bezüglich der Schutzzölle, die beispielsweise Kanada ab 1. Juli auf US-Produkte verhängen wird. Auch über die ablehnende Haltung der Europäer – exklusive Italiens – hinsichtlich Washingtons Wunsch nach erneuter Aufnahme Rußlands in den Kreis der G7 bzw. G8 zeigte sich Trump verstimmt, und ebenso – hier wiederum in Gemeinschaft mit Japan – über den Vorstoß der Europäer, die Produktion von Plastikprodukten massiv herunterzufahren.

Zum Abschluß der G7-Gespräche, die Trump aufgrund des Singapur-Gipfels vorzeitig verlassen mußte, hatte Trudeau noch einmal darauf verwiesen, daß Kanadas Schutzzölle zwar nicht gern, jedoch „unbedingt“ kommen würden. Für den US-Präsidenten ein hinreichender Grund, die Tür hinter sich zuzuschlagen – und damit durchaus auch Respekt zu ernten. „Das ist der Trump-Stil, Dinge geregelt zu bekommen“, witzelte Peter T. King, republikanischer Abgeordneter des US-Bundesstaats New York. „Es kommt halt immer auf den Ausgang an. Unser Präsident agiert wie auf dem Hochseil; und bislang funktioniert das auch hervorragend.“ Und gerade Trumps jüngster Tweet zum G7-Gipfel, so King, sei auch „ein deutlicher Warnschuß an Kim Jong-un.“

„In Betrachtung der vielen dünnen Vereinbarungen, welche die USA  in den vergangenen Jahren eingehen mußten“, pflichtete auch US-Außenminister Mike Pompeo bei, werde „dieser Präsident gewährleisten, daß keine der möglichen Vereinbarungen über die nordkoreanische Bedrohung scheitern“ werden.