© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/18 / 15. Juni 2018

Reform unter dem Genderstern
Rechtschreibung: Aus der Politik drohen in absehbarer Zeit weitere sprachpolizeiliche Vorgaben
Thomas Paulwitz

Der Rechtschreibrat hat wieder ein Thema: die „geschlechtergerechte Schreibung“. Nachdem der von der Kultusministerkonferenz eingesetzte Rat für deutsche Rechtschreibung seinen staatlichen Auftrag erfüllt hatte, die mißlungene Rechtschreibreform ein wenig zurückzubauen, um diese nicht völlig aufgeben zu müssen, herrschte Ratlosigkeit im Rat. Über Jahre hinweg war „die zentrale Instanz in Fragen der Rechtschreibung“, wie er sich selbst nennt, dazu verurteilt, sich mit Nichtigkeiten beschäftigen zu müssen. Alle sechs Jahre stellt er diese dann in Berichten vor, die er wohl nur deswegen so aufblähte, um die Dürftigkeit des Inhalts zu kaschieren. Die größten Taten des Rats waren dann etwa die Einführung von „ß“ als Großbuchstabe (2016) oder die Abschaffung ungebräuchlicher Schreibweisen wie „Kabrio“, „Scharm“ und „Schikoree“ (2010).

Nun greift der Rechtschreibrat nach den Sternen, genauer gesagt nach den Gendersternen. Und besetzt damit jenes Reizthema, das die deutsche Sprachgemeinschaft entzweit: die Sexualisierung und Vergenderung der deutschen Sprache. Bekanntlich sollen sich nach dem Willen der Sprachvergenderer etwa in dem Wort „Bauarbeiter*innen“ nicht nur männliche und weibliche Bauarbeiter wiederfinden, sondern – gekennzeichnet durch das Sternchen – auch zwittrige und solche, die sich einem der zahllosen Geschlechter zurechnen, die Genderideologen erfunden haben.

Selbstverständlich geht es grundsätzlich nicht darum, scheinbar ausgegrenzten Randgruppen zu mehr Gerechtigkeit zu verhelfen. Einen Aufschrei biologisch verunsicherter Bauarbeiter gibt es nicht. Der Genderstern hat vielmehr die Funktion eines Geßlerhuts. Wer den Gender-Hut grüßt, unterwirft sich der Macht der linksgestrickten Genderisten. Wer sich ihren sprachpolizeilichen Vorgaben nicht unterwirft und am generischen Maskulinum festhält, setzt sich dem Verdacht aus, ein „Sexist“ oder „Maskulist“ zu sein, also ein ganz übler Menschinnenfeind. „Die Sprache vor die Menschinnen werfen“ sei der nächste Akt in dem Prozeß, das Niveau der geschriebenen Sprache dauerhaft zu senken, mahnte der Dichter Reiner Kunze 2014 in der Deutschen Sprachwelt.

Aufmerksamkeit ist dem Rat mit seinem neuen Thema jedenfalls gewiß. Im November 2017 setzte er die achtköpfige Arbeitsgruppe „Geschlechtergerechte Schreibung“ ein. Auf seinem Treffen am 8. Juni in Wien gab der Rat einen Zwischenbericht dazu. In spürbarer Vorfreude hatten zahlreiche Zeitungen bereits die Verordnung des Gendersterns erwartet. Doch so schnell will sich der Rat dieses Themas nicht entledigen. Zu wohlig scheint offenbar die Sonne der Beachtung auf den Rat. „Der Rat sieht die Schreibentwicklung als nicht so weit gediehen an, daß das Regelwerk der Amtlichen deutschen Rechtschreibung geändert werden sollte“, teilte er jetzt mit. Dennoch wolle der Rat bis zu seiner nächsten Sitzung im November dieses Jahres mögliche Empfehlungen an die staatlichen Stellen vorbereiten.

Druck auf den Rat macht Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD). Gegenüber dem Berliner Tagesspiegel machte sie eine Feststellung, der jeder zustimmen wird:„Sprache sagt viel darüber aus, wie eine Gesellschaft tickt.“ Allerdings scheint sie erreichen zu wollen, daß die Gesellschaft nicht mehr richtig tickt, denn sie forderte im selben Atemzug, den Genderstern in den Duden aufzunehmen. Sie freue sich „über jede Veränderung, die dazu beiträgt, unseren Blick auf andere Formen von Identität und Lebensweisen zu entspannen“.

Wütend wies der Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg in der Zeit diesen Angriff auf die deutsche Sprache zurück: „Das ist eine Unterwerfungsgeste. (…) Wenn Katarina Barley nun einfach so sagt, daß das Gender-Sternchen in den Duden gehört, dann vergreift sie sich am Deutschen.“ Doch Eisenberg ist bereits vor einigen Jahren enttäuscht aus dem Rechtschreibrat ausgetreten, hat dort also nichts mehr zu melden.

Nach den Erfahrungen mit der Rechtschreibreform hatte sich die Politik eigentlich vorgenommen, die Finger von der Sprache zu lassen. Doch zu groß scheint der Reiz zu sein, der Sprachgemeinschaft das „Gender Mainstreaming“ über Rechtschreibregeln aufzuzwingen. Als Angela Merkel im Jahr 2005 Kanzlerin wurde, hielten die CDU-geführten Bundesregierungen an der unter Rot-Grün als „durchgängigem Leitprinzip“ eingeführten Ideologie fest.

So scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis der Genderstern nicht nur in grünen Parteiprogrammen, sondern auch über regierungsamtliche Verordnungen verbreitet wird. Außerdem könnte die Verwendung des Gendersterns nun auch zum Zeichen im Kampf gegen Rechts werden. AfD-Sprecher Jörg Meuthen droht nämlich: „Sollte der Rat für deutsche Rechtschreibung einen Empfehlungskatalog für die Verwendung des Gendersternchens und Binnen-I beschließen, werden wir als AfD dagegen mobil machen.“ Er werde es nicht zulassen, daß „Gender-Gagaisten mit Geschlechterstern, Binnen-I, Gender-Gap und anderen absurden sprachpolitischen Vorschlägen unsere deutsche Sprache vergewaltigen.“

Im glücklichen Österreich gibt es hingegen eine gegenläufige Entwicklung. Noch vor wenigen Jahren hatte das österreichische Bundeskanzleramt die Parole „Verändern durch Gendern“ ausgegeben. Jetzt erfolgt die Kehrtwende. Zum Beispiel verfügte Verteidigungsminister Mario Kunasek (FPÖ) das „Aus für sämtliche Formulierungen beim Bundesheer, die den Sprachfluß unnötig beeinträchtigen“. Darunter fällt auch das 2001 eingeführte Binnen-I. Kunaseks Begründung: „Feministische Sprachvorgaben zerstören die gewachsene Struktur unserer Muttersprache bis hin zur Unlesbarkeit und Unverständlichkeit.“

Wann besinnt man sich auch in Berlin eines Besseren? Das Beste wäre es, den aus 41 Mitgliedern bestehenden Rechtschreibrat aufzulösen, denn das brennendste Thema, das heißt den – auch durch die Rechtschreibreform mitverursachten – Niedergang der Rechtschreibleistungen, darf er nicht anrühren. Das Ergebnis unvoreingenommener und wissenschaftlich sauberer Untersuchungen wäre ja die Forderung nach einer Rückkehr zur bewährten traditionellen Rechtschreibung.

Besteht der Rat jedoch weiter, ist die Gefahr groß, daß er sich zum Werkzeug ideologiegetriebener Sprachbastler macht, die mit sprachpolizeilichen Vorgaben dem Volk ein bestimmtes Menschenbild aufzwingen wollen. Die Frauenbeauftragte der Ludwig-Maximilians-Universität München, Margit Weber, zum Beispiel rechnet damit, daß sich die Menschen an die neuen Gender-Wörter und -Schreibungen schon gewöhnen werden, denn schließlich hätten sie letztlich ja auch die Rechtschreibreform hingenommen – dank dem Rechtschreibrat.

Thomas Paulwitz  ist Schriftleiter der vierteljährlich in Erlangen erscheinenden Zeitung Deutsche Sprachwelt.

 http://deutschesprachwelt.de