© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/18 / 22. Juni 2018

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Grüne im Glashaus
Paul Rosen

Ohne Worte am Rednerpult des Bundestages für Aufmerksamkeit sorgen – das muß man erst einmal hinkriegen. Der Abgeordnete Thomas Seitz (AfD) schaffte dies mit einer Schweigeaktion für die mutmaßlich von einem abgelehnten Asylbewerber ermordete Susanna. Und zog schon während der Aktion massiven Protest im Plenarsaal auf sich, bis Vizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) ihn schließlich aufforderte, das Rednerpult zu verlassen. 

Keine Frage – die Aktion war ein Verstoß gegen Geschäftsordnung und Verhaltensregeln, und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) erklärte dies auch in einer Stellungnahme: „Ein einzelner Abgeordneter darf den Bundestag nicht durch einen eigenmächtigen Aufruf zu einer Schweigeminute für seine Zwecke vereinnahmen.“ Besonders heftig regten sich die Grünen über Seitz auf: „Niemand sollte sich anmaßen, den Tod dieses Mädchens zu mißbrauchen, um Hass zu säen“, erklärte Parteichefin Annalena Baerbock. Vizepräsidentin Roth warf der AfD und Seitz vor, einen Verstoß gegen die Geschäftsordnung in Kauf zu nehmen, „um ein fürchterliches Verbrechen für politische Zwecke zu mißbrauchen und die Würde des Bundestages zu beschädigen.“ Roth war mit wütenden Mails überhäuft worden, weil sie Seitz vom Pult verwiesen hatte.  

Es gibt Schüsse, die nach hinten losgehen. Bei den Grünen ist das so. Sie selbst interpretieren die Geschäftsordnung weit dehnbar. So hielten sie mit dem Werfen von Konfetti im Plenarsaal eine Art Karnevalsfeier ab. Grund zur grünen Freude war der Beschluß zur Einführung der Homo-Ehe. Beliebt sind bei den Grünen auch T-Shirts mit politischen Botschaften – zuletzt etwa mit dem Aufdruck „Free Deniz“, eine Aktion für die Freilassung des damals in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel. 

Einige Jahre zurück liegt ein Vorfall, der Parallelen zur Schweigeaktion von Seitz aufweist. 2010 hatten die Abgeordneten der Linken bei einer Abstimmung über den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan Schilder mit den Namen von Kriegsopfern hochgehalten. Der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte die Abgeordneten der Linken-Fraktion deshalb des Saales verwiesen, was wiederum den Grünen überhaupt nicht gefiel. Der damalige Grünen-Parlamentarier Hans-Christian Ströbele kritisierte in einer Kurzintervention Lammerts Entscheidung und verteidigte die Aktion: „Sie haben nicht randaliert, sie waren nicht laut, sondern sie haben Schilder hochgehalten.“ Etwas ähnliches machte Seitz. Gerade in ihrer Anfangszeit im Parlament fielen die Grünen durch regelmäßige Störaktionen auf, die langsam nachließen, als immer mehr Grüne die Vorteile hoher Diäten, Ministergehälter, Dienstwagen und Reisen in Regierungsflugzeugen zu schätzen lernten. 

Von der Schweigeaktion für Susanna bleibt der Eindruck, daß Schäuble seine Kritik an der AfD überhöhte, in dem er von der Verantwortung sprach, aus der Geschichte zu lernen, „wie leicht verantwortungsloser Streit zu Haß und einer Eskalation von Gewalt führen kann“.