© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/18 / 22. Juni 2018

Merkels Billionen-Frage
Eurokrise: Die Euro-Partner schulden der Bundesbank 956,15 Milliarden Euro / Massive Ungleichgewichte
Beatrix von Storch

Vorige Woche vermeldete die Bundesbank einen Rekord: Die Euro-Partner schuldeten ihr zum Stichtag 31. Mai 956,15 Milliarden Euro. Das ist zehnmal soviel wie vor zehn Jahren und das entspricht mehr als drei jährlichen Bundeshaushalten. Im Dezember 2017 waren die Forderungen im Target2-Verrechnungssystem erstmals über die 900-Milliarden-Marke geklettert. Im Februar 2012 war die 500-Milliarden-Grenze überschritten worden, ein halbes Jahr später folgte die 750-Milliarden-Grenze.

Die Forderungen könnten künftig eine Billion Euro und mehr erreichen, denn der Geburtsfehler der Eurozone besteht darin, daß Nationen mit anderer ordnungspolitischer Tradition und sehr unterschiedlich leistungsfähiger Volkswirtschaft ab 1999 in einem Währungsraum aneinandergekettet wurden. In der Eurozone gibt es keine Wechselkursanpassung mehr. Frankreich, Italien, Portugal oder Spanien waren wettbewerbsfähig geblieben, weil der sinkende Wechselkurs ihrer Währungen gegenüber der harten D-Mark, dem Schilling oder Gulden ihre Produkte und Dienstleistungen billiger gemacht hat. Da dieser Ausgleichsmechanismus weggefallen ist, verblieb als einzige Möglichkeit die „innere Abwertung“.

Das heißt: Löhne und Kosten senken, die Produktivität also erhöhen. Dazu waren aber die notorisch instabilen politischen Systeme in Südeuropa nicht fähig. Das Ergebnis war, daß ihre Wirtschaft gegenüber der deutschen immer mehr an Leistungsfähigkeit verloren hat. Mit dem Euro konnten sie deutsche Produkte einkaufen, aber immer weniger eigene Produkte verkaufen. So entstanden große Leistungsbilanzdefizite zwischen dem leistungsstarken Norden und dem leistungsschwachen Süden.

Um ein solches Leistungsbilanzdefizit zu schließen, mußten die Staaten sich immer mehr verschulden. Das führte zu der „Verschuldungskrise“, die wir als Eurokrise kennen. Deutschland finanzierte die Verschuldung. Erst durch den Kauf von Staatsanleihen, dann durch diverse „Rettungspakete“ und Bürgschaften, etwa durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Deutschland übernahm auf diesem Weg die Haftung für einen Großteil der Schulden, um die Zinsen für die Südstaaten niedrig zu halten. Die Probleme wurden damit in die Zukunft verschoben. Das war Angela Merkel recht, denn es ermöglichte der Kanzlerin, die Illusion von Stabilität zu schaffen und damit die Bundestagwahlen im Jahr 2013 für sich zu entscheiden.

Das eigentliche Problem, die Wettbewerbsschwäche der südeuropäischen Länder, wurde damit nicht behoben. Im Gegenteil: Das Problem verlagerte sich auf ein anderes Feld und hat seither eine gigantische Dimension angenommen. Weitgehend unter dem Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit – da Merkels Asyldesaster alles andere überlagert – hat sich ein geld- und finanzpolitischer Abgrund aufgetan, der unter dem technischen Namen Target2 läuft (JF 28/17).

Deutschland profitiert nicht von der Eurozone

Target2 ist ein Verrechnungssystem zwischen den Notenbanken der Eurozone. Darüber fließen laut Bundesbank am Tag im Schnitt 340.000 Zahlungen im Wert von 1,7 Billionen Euro. Während eines Jahres werden von Target2 90 Millionen Zahlungen in einem Gesamtwert von rund 450 Billionen Euro abgewickelt. Jedesmal, wenn eine Überweisung von einem Eurostaat in einen anderen erfolgt, entsteht eine Verbindlichkeit von einer nationalen Notenbank gegenüber der anderen. Solange diese sich im Zeitablauf gegenseitig aufheben, entsteht kein Problem. Zwischen 1999 und Juli 2007 pendelten die monatlichen Targetsalden der Bundesbank maximal zwischen plus/minus 31 Milliarden Euro.

Seit 2008, als erstmals die 100-Milliarden-Marke überschritten wurde, ist es mit dem Ausgleich faktisch vorbei; die massiven Ungleichgewichte der Eurozone traten offen zutage. Da einige Staaten etwa durch Importe viel in Deutschland einkaufen, aber wenig verkaufen, häufen sie Verbindlichkeiten gegenüber der Bundesbank auf. Neben der offiziellen Verschuldung der öffentlichen und privaten Haushalte hat sich eine versteckte und rasant wachsende Verschuldung der Krisenstaaten bei der Bundesbank entwickelt. Die italienische Notenbank hatte ein negatives Traget2-Saldo von 426,1 Milliarden Euro, die spanische von 389,3 Milliarden, die französische von 103,4 Milliarden und die griechische Notenbank von 45,9 Milliarden Euro (April-Zahlen). Insgesamt schulden die Notenbanken der Eurozone der Bundesbank derzeit 956,15 Milliarden Euro.

Das entspricht nach Berechnungen des Ökonomen Hans-Werner Sinn einer Forderung der Bundesbank an die anderen Notenbanken von 27.000 Tonnen Gold. Das ist das Volumen der gesamten weltweiten Goldförderung eines Jahrzehntes. Die Goldreserven Italiens betragen im Verhältnis dazu 2.452 Tonnen und haben einen Wert von 87 Milliarden Euro. Die Bundesbank bekommt für diese Target2-Kredite keine Zinsen. Das kommt zu den 344 Milliarden Euro an Zinsverlusten noch hinzu, die die deutschen Sparer durch die Niedrigzinspolitik der EZB erleiden mußten.

Um die Target2-Salden auszugleichen, müßten die Schuldenstaaten wie Italien, Spanien, Griechenland und Portugal dauerhaft von einer negativen zu einer positiven Leistungsbilanz kommen und Investitionen aus dem Ausland anziehen. Nur dann können sie das Geld verdienen, um damit ihre Schulden, einschließlich der Tartet2-Verbindlichkeiten abbauen zu können. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Das Dilemma besteht nun darin, daß bei einem Austritt eines Eurostaates die Verbindlichkeiten fällig werden und damit das Debakel schnell offenbar wird. Solange die Krisenstaaten aber Mitglied der Eurozone sind, wächst die Verschuldung bei der Bundesbank immer mehr und das Debakel wird immer größer.

Deutschland profitiert also keineswegs von der Eurozone, wie immer behauptet. Zwar hilft der niedrige Euro-Wechselkurs den deutschen Exporteuren, Importe wie Rohstoffe sind aber entsprechend teurer. Die defizitären Eurostaaten kaufen ihre deutschen Waren aber auf Kredit bei der Bundesbank. Ein Großteil dieser Verbindlichkeiten wird am Ende abgeschrieben werden müssen – egal ob innerhalb oder außerhalb des Euroraums. Merkels „Rettungspolitik“ ist keine Erfolgsgeschichte, sondern ein währungs- und geldpolitischer Amoklauf mit katastrophalem Ausgang.






Beatrix von Storch ist Bundestagsabgeordnete und Vizechefin der AfD-Fraktion.