© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/18 / 22. Juni 2018

Das schwarze Gold zwischen den Stetln
Das k.u.k. Reich entwickelte sich vor dem Ersten Weltkrieg mit seinen Ölvorkommen in Galizien zum weltweit drittgrößten Förderstaat
Erich Körner-Lakatos

In Galizien, dem österreichischen Teil Polens, entfaltet sich rund um 1900 ein Zweig der Urproduktion, der auch heutzutage, wenn auch in anderen Weltgegenden, große Bedeutung hat. Die Rede ist vom schwarzen Gold, dem Erdöl. Was nur wenige wissen: 1909 liegt Galizien mit einem Anteil von 5,02 Prozent der Weltproduktion von Rohöl an dritter Stelle hinter den USA (61,2 Prozent; Zentrum ist Texas) und Rußland (22,2 Prozent), wobei im Zarenreich die Gegend um Baku Mittelpunkt der Ölförderung ist.

In ostgalizischen Drohobycz wird ab 1880 mit in Nordamerika entwickelten Bohrtürmen gearbeitet, die eine Tiefe von 500 bis 600 Meter erreichen. Das tiefste Bohrloch nach der sogenannten kanadischen Methode mißt immerhin 940 Meter. Anfangs ist die Ausbeute durchaus bescheiden. Galizien fördert 1884 ganze 2.300 Tonnen Rohöl. Das ändert sich schnell, bereits 1896 sind es wegen der Erdölfelder von Schodnica 339.700 Tonnen. Nun scheinen die Vorräte unerschöpflich: 1910 werden (aus 2.841 Bohrlöchern) sogar 2.086.242 Tonnen gefördert.  

Petroleumverbrauch als Indikator für Entwicklung

Die stetig zunehmende Fördermenge  hat Auswirkungen auf den Preis. 1902 fällt der Preis auf 2,82 Kronen pro Zentner Rohöl. Daraufhin gründen die Erdölproduzenten die Petrolea AG. Sie übernimmt das Rohöl von den Erzeugern in Kommission, gibt Vorschüsse, lagert das Rohöl und kann daher von den Raffinerien bessere Preise erzielen. Dadurch haben die Produzenten (deren Zahl von 180 im Jahr 1886 auf 444 im Jahr 1913 steigt) einen sicheren Absatz zu einem kostendeckenden Preis. Die Weiterverarbeitung des Rohöls erfolgt in den 41 Raffinerien Galiziens, daneben gibt es Verarbeitungsbetriebe in Mährisch-Ostrau, Oderberg (Österreichisch-Schlesien) und Pardubitz (Böhmen). 1906 ist das Deutsche Reich mit mehr als der Hälfte größter Abnehmer inländischer Petroleumerzeugnisse. 

Wegen des zu jener Zeit enormen Einsatzes von Maschinen kommt die Ölförderung mit erstaunlich wenig Arbeitskräften aus. Zwischen 1902 und 1910 mit rund 5.500, erst 1913 wächst der Beschäftigtenstand auf 7.258. Darunter sind relativ viele Juden, da beispielsweise im ostgalizischen Förderzentrum Boryslav von 9.318 Einwohnern immerhin 7.336 Juden sind, das entspricht 79 Prozent (Stand 1880); jedoch verringert sich der Anteil bis 1910 durch Abwanderung in die USA auf 45,1 Prozent. 

1907 wird die Petrolea AG aufgelöst, da US-Firmen wie Standard Oil auf den Markt drängen, die den Produzenten bessere Preise offerieren. Die US-Amerikaner verwenden zudem Tankfahrzeuge, die den Kunden das Petroleum direkt ins Haus liefern. Dadurch haben die traditionellen Holzfässer ausgedient, der Zwischenhandel verliert weitgehend an Bedeutung. Gleichzeitig werden in Ostgalizien neuerlich riesige Vorkommen entdeckt, durch die Überproduktion fällt der Rohölpreis auf eine Krone pro Zentner. 

Zwischen 1909 und 1913 wird beim Abbau gedrosselt, so daß die Monarchie mit einem Anteil von 2,1 Prozent nur mehr Platz sechs der Weltrangliste belegt. Inzwischen hat Rumänien hinsichtlich der Ölfördermenge die Monarchie überflügelt. 

Das Gros des Rohöls wird zu Petroleum verarbeitet, denn Gasbeleuchtung und elektrisches Licht stecken – was den Gebrauch im Wohnbereich anlangt – am Ende des 19. Jahrhunderts noch in den Kinderschuhen. Deswegen ist Petroleumlicht vor allem in der dunklen Jahreszeit wichtig. Nach dem Grundsatz „Licht ist Bildung“ wird die Menge des verbrauchten Petroleums als Maß für die Zivilisation eines Landes betrachtet. 

Und da schneidet die Donaumonarchie denkbar schlecht ab: Pro Kopf und Jahr werden bloß 4,5 Kilogramm verbraucht; in der Schweiz sind es 12,8 Kilogramm, im Deutschen Reich sogar 14 Kilogramm. Norwegen mit über 20 Kilogramm kann wegen seiner geographischen Lage nur bedingt zum Vergleich herangezogen werden.

Die Nachfrage nach Benzinöl steigt durch die relativ starke Ausbreitung des Automobils. In der österreichischen Hälfte der Doppelmonarchie sind 1907 insgesamt 2.314 Autos unterwegs, 1911 bereits 7.703. Die regionale Verbreitung ist höchst unterschiedlich: Während in Wien 1910 rund viertausend Fahrzeuge zugelassen sind, sind es im gesamten Herzogtum Salzburg bloß 42.