© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/18 / 22. Juni 2018

Bioregional statt aus aller Herren Länder
Ökologische Argumente gegen weitreisende Lebensmittel / Ausbremsen der Globalisierung möglich?
Volker Kempf

Verkehrstechnisch ist die gesamte Menschheit rings um die Erdkugel herum zu einer Einheit zusammengeschlossen. Gütertransporte finden mit Schiffen, Zügen, Lkws und auch Flugzeugen statt. Damit der Verkehr auch so richtig rollt, wurden die Zollschranken in der EU beseitigt. Im freien EU-Binnenmarkt kommt alles von überall und nirgendwo her. „Made in EU“ heißt das seit 2003 per Warenkennzeichnung. Besonders skurril: Auf vielen Honig-Packungen steht, die Ware sei aus EU-Staaten und Nicht-EU-Staaten. Damit ist der Gipfel der Globalisierung erreicht. Was kommt dann aber noch aus der Region? Sollte Europa nicht ein Europa der Regionen werden?

Als ginge es um vom Aussterben bedrohte Dinge, gibt es in einigen Supermarktketten mittlerweile Schilder mit der Aufschrift „Aus der Region“. Ein Probeeinkauf in einem Supermarkt bei Freiburg ergibt als Antwort, was aus der Region kommt: Spargel, Erdbeeren, Salat, Müsli, Marmelade, Sekt und Wein. An der Fleischtheke gibt es Wurst vom regionalen Erzeuger. Nicht eigens als Regionalprodukt ausgewiesen wird die heimische „Schwarzwaldmilch“, bei der der Name die Herkunft verrät.

Auf Produkte aus der Region zu setzen ist ein Trend geworden, der in den 1970er Jahren von einigen Öko-Pionieren aus den USA angestoßen wurde und über Großbritannien auf den Kontinent schwappte. Der bekannteste Name dieser bioregionalistischen Bewegung wurde der aus einer deutsch-jüdischen Familie stammende und 1928 in Paris geborene Philosoph Edward Goldsmith.

In den sechziger Jahren um die ganze Welt gereist, gründete Goldsmith 1969 die rennomierte Umweltzeitschrift The Ecologist, die inzwischen von seinem Neffen, dem Tory-Politiker Zac Gold­smith, herausgegeben, wird. Bis kurz vor seinem Tod (2009) gab Edward Gold­smith auch das „Schwarzbuch Globalisierung“ mit heraus. In Deutschland leisteten auf diesem Themenfeld die aus Grünen und der ÖDP hervorgegangen Unabhängigen Ökologen Deutschlands (UÖD) erste Pionierarbeit.

Eine Region läßt sich nach Auffassung der Bioregionalisten an physischen Eigenschaften wie zum Beispiel Wasserscheiden, Gebirge oder Schluchten sowie anhand von kulturellen Merkmalen eingrenzen. Manche nennen das einfach intuitiv Heimat und bieten in Supermärkten „Heimat“-Milch zum Verkauf an. Etwas teurer ist diese Milch als die palettenweise in Discountern angebotene, dafür ohne den Beigeschmack von Massentierhaltung und „Höfesterben“. Einigen ist das ihr Geld wert. Doch Supermarktleiter betonen immer wieder, die Kunden wollten überwiegend Billigware, und das ist Massenware.

Heimat first! Trend hin zu regionaler Saisonware

Dieser immense Warenverkehr kostet viel Energie. Eine Beispielrechnung machte kürzlich die österreichische Organisation „VCÖ – Mobilität mit Zukunft“ für Tomaten aus Spanien auf. Wie heute üblich, wird der Aufwand nicht mehr in Steinkohleeinheiten berechnet, sondern in Kohlendioxid-Äquivalenten, was aber keinen großen Unterschied macht. Von Spanien nach Österreich transportiert, fallen je Kilogramm Tomaten 400 Gramm CO2-Äquivalent an. Bei österreichischen Paradeisern, wie sie dort heißen, sind es 85 Gramm.

Noch deutlicher ist der Unterschied bei der Art des Anbaus. Beheizt in einem Treibhaus aufgezogen, fallen für ein Kilogramm Tomaten zusätzlich 1.440 Gramm CO2-Äquivalent an, im sonnigen Spanien selbst im Winter nur 680. Das heißt: Den geringsten Energieaufwand erfordert eine Freilufttomate aus der Heimat. Saisonwaren sind daher in der Regel am ehesten „ökologisch“.

Ein besonders fragwürdiges Unterfangen ist es, Lebendtiere quer durch Europa zu transportieren. So werden nach Österreich laut VCÖ pro Jahr etwa 16 Millionen Hühner ein- und acht Millionen ausgeführt. Bei den Schweinen werden 57.000 Tiere exportiert, 513.000 importiert; 117.000 Rinder werden exportiert, 104.000 importiert. Das ist dann nicht nur energetisch fragwürdig, sondern auch gegen jeden gesunden Tierschutzverstand gerichtet.

Wo bleibt die Heimat mit ihrer bäuerlichen Landwirtschaft, wenn alles überwiegend aus Billiglohnländern kommt? Selbst die Grünen warben schon beim vorletzten Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg auf Plakaten mit „Volle Kanne Heimat“; sie versuchten damit den Heimatbegriff neu zu besetzen und für sich in Anspruch zu nehmen. Die Heimat ist wichtiger geworden, weil sie bei der Globalisierung sonst auf der Strecke zu bleiben droht. Nie ganz unbedeutend blieben die Gemüse-Wochenmärkte, die ohnehin regionale Saisonware anbieten, ohne dies eigens kenntlich zu machen.

Die immer rasantere Ausbreitung der Industriegesellschaft wird ihre eigenen Grundlagen aufzehren, war sich Gold­smith bei seiner Ecologist-Gründung sicher. Je mehr Entwicklungsländer sich diesem westlichen Trend anschlössen, um so sicherer sei das. Er hielt daran 2001 in einem – vom damaligen UÖD-Vorsitzenden Herbert Pilch übersetzten – Text im Jahrbuch „Naturkonservativ heute“ ausdrücklich fest. Goldsmith gestand aber auch zu, die Industriegesellschaft habe sich als „widerstandsfähiger erwiesen“, als er Anfang der 1970er Jahre glaubte. Der Bioregionalismus als Gegenbewegung zur Globalisierung wurde lange als alt-agrarisch oder technikfeindlich abgetan. Aber die Entwicklung war weder für die bäuerliche Landwirtschaft noch für die Regionen vorteilhaft. Auf mehr Bioregionalität zu setzen ist ein kleiner Beitrag, die heimische Landwirtschaft zu stärken und den Verkehr zu entlasten. Das spart zudem viel Energie und ist auf jeden Fall tierfreundlicher. 

VCÖ-Factsheet „Weitgereiste Lebensmittel“:  www.vcoe.at

 theecologist.org





Bayern hat die meisten Ökobauern

Bio-Lebensmittel aus der Heimat? Das ist im auf über 18 Millionen Einwohner angewachsenen NRW unrealistisch: Nur 4,2 Prozent der 1,4 Millionen Hek­tar großen Anbaufläche werden ökologisch bewirtschaftet. Auch das benachbarte Niedersachsen (3,2 Prozent) kann da nicht aushelfen. Die deutsche Ökohochburg ist das Saarland (14,9 Prozent), gefolgt von Hessen (11,6) und dem Berliner Hauslieferanten Brandenburg (10,4). Alle anderen Bundesländer liegen klar unter der Zehn-Prozent-Marke. Bayern ist zwar mit 7.433 von 19.901 Ökohöfen deutscher Spitzenreiter, doch in bezug auf den Anteil der Öko-Agrarfläche liegt der Freistaat mit 8,3 Prozent hinter Mecklenburg-Vorpommern (9,4) und Baden-Würtemberg (9,3). Bayern verfolgt mit dem Programm „BioRegio 2020“ daher seit 2013 eine Gegenstrategie: Die Anbaufläche soll auf 300.000 Hektar (9,6 Prozent) ausgeweitet werden. 31 Prozent der Weideflächen und 23 Prozent der Wiesen Bayerns werden heute schon ökologisch bewirtschaftet.