© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/18 / 22. Juni 2018

Von wegen akademischer Schubladenzieher
Apotheker: Würdigung eines manchmal allwissend erscheinenden Antwortengebers mit viel Geduld
Burkhard Voß

Chirurgen operieren am besten mit 1,5 Promille und schnitzen sich die eigene Frau schön.

Internisten rufen stündlich bei der WHO an, auf daß diese die Normalwerte für den Blutdruck noch weiter absenkt. Dann läßt sich der neueste Blutdrucksenker noch besser verschreiben. RTL-2-Dermatologen werden demnächst Antifaltencremes für Hunde entwickeln. Wahrscheinlich tun sie es längst. 

Alles Pauschalismen und gleichzeitig nicht. Über Ärzte wird viel geschrieben und gefilmt, über Apotheker verliert niemand ein Wort. Das muß ein Ende haben. Wenn er sich immer öfter wie ein Sonderpädagoge im Erwachsenenkindergarten fühlt – volles Verständnis. Wer bei ihm kauft, hat garantiert ein Plus an Rückfragen, das gegen Unendlich galoppiert. Eben lebensentscheidende Fragen: Verträgt sich Aspirin mit mittelaltem Gouda? Können vertikale Herausforderungen nur durch Viagra generiert werden? Sind Mittel gegen klimakterische Beschwerden wirklich klimaneutral? 

In diesem Fragengewitter wäre ich als praktizierender Nervenarzt nach zwei Stunden mit den Nerven am Ende und würde mir die Einweisung ausstellen. Nicht so der Apotheker, er muß grundsätzlich anders sein, da er auch die 27. Frage nach Nebenwirkungen ernsthaft und freundlich beantwortet. Dies optimiert er in regelmäßigen Fortbildungen mit medizinisch bedeutsamen Themen: Verkauf von Blutdrucksenkern, die im Tierversuch getestet wurden, an Tierschützer – geht das? Und wie! Wenn der Kunde erfährt, daß alle Versuchskaninchen überlebten und eine gesetzliche Krankenversicherung bekamen, wird er den Blutdrucksenker auch bei Fußpilz anwenden. 

Fleischindustrie oder Pharmaindustrie – wer ist die böseste im ganzen Land? Gehe ich lieber in die Apotheke oder zum Metzger? Auch das bewegt den kritischen Konsumenten. Der schlaue Apotheker weiß: Die Macht der Bilder wird’s besorgen. Wenn ein Poster zeigt, wie der Chef von Hoffmann-La Roche auf einem Greenpeace-Schiff aktiv ist, dann wird beim kritischen Konsumenten der neuronale Schalter umgelegt und es heißt Pille statt Wurst. 

Die esoterisch aufgeladene Kundin? Auch kein Problem. Wer seiner Katze Weihwasser ins Futter träufelt, damit auch sie zur artgerechten Erleuchtung kommt, wer kurz vor dem Zubettgehen mit Nadeln die Angela-Merkel-Voodoopuppe traktiert im Glauben, damit die Flüchtlingskrise zu lösen, dem kann man auch Brennnesseltee zur Behandlung von Alzheimer andrehen. 

Mit Helikoptermüttern wird jede Zeile des Beipackzettels durchgekaut und das Ganze mit Dr. Google abgeglichen. Der Kosmos aus Absicherung hat sich geöffnet. Zu Hause wird die Drehflügelmutti ins Internet gehen und weiter forschen, idealerweise auf Seiten über Antibiotikaverseuchung und Antidepressiva-Lüge. 

Stoisch beantwortet er alle Fragen zum Beipackzettel

Der einfache Problematisierungsliebhaber, der neben der Apotheken-Umschau auch Psychologie heute liest, plant schon mit 28 Jahren, wie er mit gesunder Ernährung und Yoga dem Treppenlift mit 79 Jahren zuvorkommen kann. Dabei fühlt er sich als Held, hat aber völlig vergessen, daß Helden keine Psycho- und Ratgeberzeitschriften lesen, an Yoga und gesunde Ernährung keinen Gedanken verschwenden und sich auch niemals mit einer Patientenverfügung beschäftigen würden. So viele Garstigkeiten behält der Apotheker für sich, tritt wohlwollend auf und vermittelt diesen Kunden, ein vorbildlicher Mensch zu sein. 

Auch Homöopathie-Anhänger, die überall Chemie wittern und von der Sehnsucht nach Katastrophen beflügelt werden sind, kein Problem. 

So ganz nebenbei therapiert der Apotheker auch die Zeitgenossen, für die der Beipackzettel das maschinengeschriebene Amen in der Kirche der Gesundheit ist. In von Beipackzetteln und Internetgesundheitsplattformen verwirrten Gehirnen von Kunden und Patienten bringt er Sicherheit und Ordnung. Ein Geduldsathlet, der auch noch die verquersten Herausforderungen einer in Kompliziertheit verliebten Gesellschaft meistert. Chapeau.






Dr. Burkhard Voß ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. Zuletzt erschien 2017 sein Buch „Albtraum Grenzenlosigkeit“.