© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/18 / 29. Juni 2018

Ländersache: Rheinland-Pfalz
Die Opfer beredt verschweigen
Christian Schreiber

Das rheinland-pfälzische Trier bezeichnet sich gerne als älteste Stadt Deutschlands. Die neuste Attraktion der Stadt an der Mosel ist die fünfeinhalb Meter große Karl-Marx-Statue, ein Geschenk der Volksrepublik China zum 200. Geburtstag des „größten Sohnes der Stadt“. Festlich eingeweiht im Beisein von Landesmutter Malu Dreyer (SPD), SPD-Chefin Andrea Nahles und dem Vizeminister im Informationsbüro des chinesischen Staatsrates, Guo Weimin. 

Doch von Beginn an gab es auch Proteste. Die AfD im Stadtrat und im Landtag, der frühere tschechische Staatspräsident Vaclav Klaus und Vereine wie die Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) hatten die Aufstellung der Statue kritisiert (JF 20/18).

Um die Kritiker ein wenig zu besänftigen und zumindest auf den Zusammenhang zwischen den Theorien des Philosophen Karl Marx und den auf seinen Lehren basierenden Diktaturen mit ihren vielen Millionen Opfern hinzuweisen, hatte der Stadtrat von Trier noch im April beschlossen, eine Gedenktafel neben der Bronzestatue zu installieren. 

Die UOKG hatte angeboten, bei der Formulierung mitzuwirken. Der Trierer Baudezernent Andreas Ludwig habe dies später im Rahmen einer Podiumsdiskussion auch zugesagt, teilte die Vereinigung mit. Der Stadtrat von Trier hat nun eine Beteiligung der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft an der Formulierung des Textes der Gedenktafel abgelehnt. „Über die Ablehnung bin ich verwundert, aber vor allem empört. Dies ist ein Affront für die Hundertausenden Opfer der SED-Diktatur. Ich fordere den Stadtrat in Trier daher auf, die Opferverbände zu beteiligen“, schrieb daraufhin Dieter Dombrowski, Bundesvorsitzender der Opferverbände. 

Der Beigeordnete Ludwig ist sich allerdings keiner Schuld bewußt und reagierte mit einem kurzen Antwortschreiben auf den offenen Brief Dombrowskis. Man habe keinerlei aktive Beteiligung, sondern lediglich eine offene Diskussion zugesagt. „Wenn wir eine Beteiligung von außen zulassen würden, müßten wir mehrere Institutionen beteiligen und nicht nur ihren eigenen Verein“, heißt es. Andreas Ludwig legt besonderen Wert auf die Feststellung, daß man schließlich eine Formulierung gefunden habe, „die der Person von Karl Marx, seinem Werk und seinem Wirken genauso gerecht wird wie den zahlreichen Menschen, die im Namen des sogenannten Marxismus so großes Leid und enormes Unrecht zu erdulden hatten.“ 

Und wie lautet dieser Text? „Karl Marx ist der bekannteste Sohn der Stadt Trier. Wie kaum ein anderer hat er die unerhörte Dynamik seiner eignen Zeit analysiert und wachsende Ungleichheit und Ausbeutung kritisiert.“ Seine wichtigsten Werke gehörten zum Weltdokumentenerbe der Unesco. „Die Würdigung seines Lebenswerkes jenseits von Legendenbildung und ideologischer Vereinnahmung ist der Stadt Trier ein großes Anliegen.“ Und abschließend: „Seine Ideen sind im 20. Jahrhundert zu Aufbau und Rechtfertigung von Diktaturen mißbraucht worden. Seine Denkanstöße können aber auch heute noch dazu dienen, unseren Blick für die Probleme der Gegenwart zu schärfen.“ 

Keine Silbe zu Holodomor und Gulag oder Mauer und Schießbefehl. Nicht einmal das Wort „Opfer“ wird erwähnt.