© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/18 / 29. Juni 2018

Umschwung mit Folgen
Mexiko: Vom Linkstrend in Lateinamerika blieb das Land bislang verschont – das dürfte sich nun ändern
Lukas Noll

Für Andrés Manuel López Obrador dürften am 1. Juli aller guten Dinge drei sein. Sämtliche Umfragen sagen dem mexikanischen Linkspopulisten einen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen voraus, womit der 64jährige nach zwei vergeblichen Anläufen in den Palacio Nacional einziehen dürfte. Die zweitgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas steht vor einem massiven Linksrutsch – und das ausgerechnet, während sich der Rest der Region langsam von den Experimenten abgewählter sozialistischer Regierungen zu erholen versucht.

Eine Volkswirtschaft von Trumps Gnaden

Laut einer Bloomberg-Umfrage kann López Obrador auf 50,8 Prozent der Stimmen hoffen, der Kandidat des rechtskonservativen Partido Acción Nacional (PAN), Ricardo Anaya, liegt abgeschlagen bei rund 25 Prozent. Die sozialdemokratische Partido Revolucionario Institucional (PRI), die das Land über acht Jahrzehnte quasi als Staatspartei regierte, traut sich nicht einmal mehr selbst an die Wahlurnen. Der in Umfragen drittplazierte (21,6 Prozent) Kandidat José Antonio Meade diente zwar unter dem amtierenden Präsidenten Enrique Peña Nieto (PRI) als Minister, tritt aber vorsichtshalber als unabhängiger Kandidat an.

Zu satt haben die Mexikaner den Sumpf der Korruption, mit dem die Regierungspartei das Land über Jahrzehnte hinweg überzogen hat – und welchem López Obrador eine „friedliche Revolution“ angesagt hat. Der Politiker steht bislang in keinem Zusammenhang mit Korruption, auch wenn es im Umfeld seiner linken „Bewegung der Nationalen Erneuerung“ (Morena) durchaus Korruptionsfälle gibt. 

Noch-Präsident Peña Nieto spielt dabei auch persönlich eine unrühmliche Rolle: 2014 deckten Journalisten den Kauf einer 7-Millionen-Dollar-Villa namens „Casa Blanca“ („Weißes Haus“) durch First Lady Angélica Rivera auf. Was an sich unter Mexikos Reichen und Schönen – Rivera ist ehemaliger Telenovela-Star – nichts Ungewöhnliches wäre, sorgte aufgrund der involvierten Immobilienfirma für Empörung. Grupo Higa hatte mit dem Präsidenten zu dessen Zeit als Gouverneur des Bundesstaates México öffentliche Aufträge in Millionenhöhe abgeschlossen. Auch das „richtige“ Weiße Haus spielt bei der Unbeliebtheit des Amtsinhabers eine entscheidende Rolle. Daß Nieto den mit beleidigenden Parolen gegenüber Mexikanern ausfällig gewordenen Donald Trump bereits als Präsidentschaftskandidaten empfing, stieß den Wählern übel auf. 

Da kann es vielen Mexikanern nur recht sein, daß mit López Obrador ein charismatischer Populist das Parkett der internationalen Politik betreten würde, der Trump wohl deutlich lautstärker Paroli bieten dürfte. Obwohl López Obrador in der Vergangenheit als Kritiker des Nafta-Freihandelsabkommens aufgetreten ist, hat er im Wahlkampf bekräftigt, daran festhalten zu wollen. Ihm dürfte bewußt sein, daß Nafta nicht nur exis-

tenziell für die mexikanische Volkswirtschaft ist, deren Exporte zu 81 Prozent in den US-Markt gehen. 

Sein Bekenntnis zu Nafta entscheidet auch über den Vertrauensvorsprung, den die Märkte einem Linkspopulisten im Nationalpalast geben. Denn bereits jetzt verzeichnet die mexikanische Wirtschaft einen massiven Rückgang an ausländischen Direktinvestitionen. Die von Trump geschaffene politische Sicherheit verschreckt Investoren und läßt Mexikos Wirtschaft am seidenen Faden eines unberechenbaren Nachbarn hängen. 

Doch wie links „Amlo“ wirklich ist – so kürzen die Mexikaner Andrés Manuel López Obrador ab –, bleibt Gegenstand kontroverser Diskussionen. Lange Zeit galt der Politiker als linker Machthaber nach dem Vorbild des Venezolaners Hugo Chávez. Kein Wunder, daß die Wahlkampagnen seiner Gegner 2006 und 2012 darauf abzielten, die Mexikaner vor wirtschaftspolitischem Schindluder und einem zweiten Venezuela zu warnen. 

Die Konkurrenz zerfleischt sich lieber selbst

Zwar geistert das Schreckgespenst des heruntergewirtschafteten Venezuelas auch in diesem Jahr durch die mexikanische Presse. Doch was dem Konservativen Felipe Calderón 2006 und dem Sozialdemokraten Enrique Peña Nieto 2012 noch zum Sieg gereichte, dürfte in diesem Jahr an abschreckender Wirkung eingebüßt haben.

Zwar verschärft sich die humanitäre Katastrophe im sozialistischen Venezuela nur weiter, seit Chávez’ Nachfolger Nicolás Maduro das Zepter übernommen hat. Doch hat Amlo seine Rhetorik deutlich abgemildert und wird von manchem Beobachter bereits eher als mexikanische Version des gemäßigt linken brasilianischen Ex-Präsidenten Lula da Silva gehandelt. Zudem haben die großen Parteien Mexikos dem Anti-Establishment-Kandidaten genug Munition für die Darstellung geliefert, daß es so viel schlimmer in Mexiko gar nicht kommen kann. Besonders der ab 2006 unter der konservativen PAN-Regierung entfesselte Krieg gegen die Drogenkartelle hat Mexiko in eine beispiellose Spirale der Gewalt geführt, der zahllose Mexikaner zum Opfer gefallen sind. Allein in der darauffolgenden Amtszeit von Peña Nieto forderte der Drogenkrieg über 100.000 Menschenleben. López Obrador, der die Gewalt mit einem Amnestie-Konzept für die Drogenkartelle innerhalb von drei Jahren beenden will, treibt das die Wählerstimmen zu. Die Mexikaner sind des bewaffneten Konflikts überdrüssig – der Friedensvertrag im noch viel länger vom Drogenkrieg geplagten Kolumbien weckt Hoffnungen.

Profitieren kann der Linkspopulist auch von der sozialen Unzufriedenheit: Die Reallöhne sind über die letzten Jahre hinweg gefallen, und die Armutsrate verharrt auf hohem Niveau. Dem will Amlo Stipendien, Renten und Subventionen entgegensetzen, wobei er vor allem bei „denen da oben“ einsparen will. Bereits als Bürgermeister von Mexiko-Stadt hatte er zwischen 2000 und 2005 erfolgreich eine Grundsicherung für Arme und Alte geschaffen. Noch einfacheres Spiel bereitet Amlo die Tatsache, daß sich seine beiden Konkurrenten Anaya und Meade mit Vorliebe untereinander beharken, statt den weitentfernten Erstplazierten zu attackieren.

 So nutzten die beiden Kandidaten der Mitte selbst die jüngste TV-Debatte vornehmlich dazu, sich gegenseitig mit Korruptionsvorwürfen zu überziehen. Um Anaya in Zusammenhang mit Korruption zu bringen, spannte der von der PRI unterstützte Meade sogar den Staatsapparat ein – konnte seinem Kontrahenten aber bislang nichts nachweisen. Dabei setzt Mexikos für eine Präsidialrepublik ungewöhnliches Wahlsystem einer solchen Strategie keinerlei Anreize: Selbst wenn López Obrador entgegen aktueller Prognosen die absolute Mehrheit verfehlt, sehen die Wahlregeln keine Stichwahl vor. Aller guten Dinge sind drei – das gilt am 1. Juli auch für Amlo und das Kandidatenfeld. Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte.