© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/18 / 29. Juni 2018

Ein Mann der Überzeugung und der Tat
Nachruf: Manfred Brunner mit 70 Jahren verstorben / Kämpfer für den Rechtsstaat und nationalliberaler Euro-Kritiker der ersten Stunde
Bruno Bandulet

Als mich Dieter Stein am vergangenen Sonntagabend anrief und ich erfuhr, daß Manfred Brunner von einem Herzinfarkt aus dem Leben gerissen wurde, war ich fassungslos. Wer ihn gekannt hat, trauert, und bald schon wird die Trauer überlagert von Erinnerungen an einen Mann, der für die Politik lebte, sich dennoch nie ganz von ihr vereinnahmen ließ, der aus dem Establishment kam und sich dann doch für den eigenen Weg entschied, weil er seinen Überzeugungen treu bleiben mußte.

Ich traf Manfred Brunner zum ersten Mal im Dezember 1993 in einem Hotel am Münchner Hauptbahnhof. Anlaß war der sich abzeichnende Kampf um den Euro, der bis 1998 tobte, als Bundestag und Bundesrat ihre endgültige Zustimmung gaben. Im Dezember 1991 hatten sich die europäischen Staats- und Regierungs­chefs auf den Vertrag von Maastricht geeinigt, 1992 legte Brunner sein Amt als Kabinettschef von EG-Kommissar Martin Bangemann nieder, 1993 erstritt er vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das bis heute maßgebende Maastricht-Urteil.

Daß Deutschland als Ultima ratio wieder aus dem Euro austreten kann und daß dafür 1993 die rechtliche Grundlage bereitgestellt wurde, ist Brunners Verdienst. Die EU ist, so befanden die Verfassungsrichter, kein Bundesstaat, sondern ein Verbund selbständiger Staaten. Und diese bleiben „Herren der Verträge“. Weil sie souverän sind, können sie die Zugehörigkeit zur Europäischen Union – und zur Währungsunion – „letztlich durch einen gegenläufigen Akt auch wieder aufheben“. Von Merkelscher Alternativlosigkeit war keine Rede in Karlsruhe.

Noch im Amt in Brüssel hatte Brunner gegen die in Maastricht beschlossene Währungsunion Stellung bezogen und eine Volksabstimmung in Deutschland gefordert. Damit war er auch für Helmut Kohl nicht mehr tragbar, solange er nicht klein beigab. Daß ein hoher deutscher EU-Beamter Überzeugung über Karriere stellte, die verführerischen Privilegien der Brüsseler Rundumversorgung aufgab und seinem Gewissen folgte, war einzigartig. Es ist bis heute ohne Beispiel.

Brunner ging das Wagnis ein, die etablierte deutsche Politik mit der Gründung einer neuen Partei herauszufordern. Und er fragte mich an jenem Dezembertag, ob ich mitmachen würde. Am 23. Januar 1994 gründeten wir im Wiesbadener Hotel Oranien zusammen mit 85 Mitstreitern den Bund freier Bürger (BFB), um die D-Mark zu retten und den Euro zu verhindern. Wer nichts wagt, hat schon verloren. Wer es wagt, kann verlieren. Bei den Europawahlen 1994 und bei den späteren Wahlen, denen sich der BFB stellte, schnitt er weit unter den Erwartungen ab. Im Jahr 2000 löste sich die Partei auf. Die Zeit war nicht reif gewesen. Es sollte 13 Jahre dauern, bis ein neuer und diesmal erfolgreicher Anlauf genommen wurde.

Vielleicht war er zu anständig für die Politik

Da war der Mann der ersten Tat, der den Boden bereitet hatte, nicht mehr dabei. Er hatte sich aus der aktiven Politik zurückgezogen. Er beobachtete den Aufstieg der AfD mit Genugtuung, lehnte aber Einladungen zu Vortragsveranstaltungen ab. Er pflegte seine alten Freundschaften und Kontakte, arbeitete wieder als Rechtsanwalt und erfüllte sich in den Jahren 2005 bis 2007 den Herzenswunsch, Goethes Italienreise Station für Station nachzufahren und nachzuwandern und „alle erreichbaren Spuren seiner Gedanken und Handlungen“ wieder aufzusuchen.

Solche unbeschwerten Reisen halfen wohl auch, die politische Niederlage zu verarbeiten. Trotz aller Enttäuschungen blieb Manfred Brunner immer ein lebenslustiger, aufgeschlossener und im Grunde optimistischer Mensch, der auf andere zugehen konnte. Parteiinterne Intrigen waren im BFB nicht üblich. Vielleicht war er zu anständig für die Politik. Honoriert wurde der in der Sache harte, in den Methoden moderate Auftritt des BFB von den Etablierten nicht.

Sie hetzten und registrierten das Wüten der Antifa gegen BFB-Veranstaltungen mit klammheimlicher Freude. Dafür haben sie es jetzt mit der AfD und ihren robusteren Methoden zu tun. Vor nicht ganz einem Jahr versammelte Brunner die Familie, Freunde und Weggefährten in der Schwabinger „Osteria“, um seinen 70. Geburtstag zu feiern. Focus-Gründer Helmut Markwort unterhielt die Runde, und auch mit den CSU-Politikern, die gekommen waren, stimmte die Chemie. Wer hätte geahnt, daß diese Runde die letzte war.

Die Positionen, von denen Brunner nie abgerückt ist, waren die eines Nationalliberalen. Im Hause seines Großvaters, des ersten Landesschatzmeisters der FDP nach dem Krieg, waren große Liberale wie Theodor Heuss und Thomas Dehler, von dem er oft gesprochen hat, zu Gast. 1965 trat er in die FDP ein, 1983 wurde er Vorsitzender in Bayern, im Münchener Stadtrat vertrat er erst die FDP, später den BFB. „Sein Tod ist ein Verlust für das liberale München“, erklärte FDP-Stadtrat Michael Mattar.

Der bayerische FDP-Chef Daniel Föst zollte ihm Respekt für „seine politische Lebensleistung“. Eine noble Ehrung für jemanden, der aus der FDP zweimal ausgetreten war, wobei hinzuzufügen ist, daß Brunner seinen Kampf gegen die – abgesehen von der Öffnung der Grenzen 2015 – verhängnisvollste Fehlentscheidung der deutschen Politik nach 1945 gerne in und mit der FDP geführt hätte, hätte sie nicht ihre nationalliberalen Wurzeln gekappt. Die harmlose FDP Lindners ist längst nicht mehr die Partei Thomas Dehlers.

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) würdigte Brunner als einen der „markantesten und geradlinigsten Köpfe“, der sich „stets treu geblieben ist in seiner Aufrichtigkeit, Streitbarkeit und Nahbarkeit“. Und die AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Alice Weidel, sagte, Deutschland habe „einen echten Liberalen und unbeirrbaren Kämpfer gegen den Euro-Wahn verloren“. Als „Freiheitlicher erhob er seine Stimme für das Recht und die Vernunft“, und er habe sich „weder von Opportunisten noch von Extremisten vereinnahmen“ lassen.

Es bleibt die Erinnerung an einen Bildungsbürger, an einen juristisch geschulten politischen Kopf, der Recht und Gesetz verteidigte, an einen Major der Reserve, dem die Diffamierung der Wehrmacht unerträglich war, an einen Patrioten, der für ein Europa der Vaterländer eintrat und im Brüsseler Zentralismus eine Zerfallserscheinung sah, weil er ihn so gut kannte. Er ist seinen Weg gegangen, er ist sich treu geblieben. Am 31. Juli wäre Manfred Brunner 71 Jahre alt geworden.






Dr. Bruno Bandulet war Chef vom Dienst bei der Welt und Vize-Chefredakteur bei der Quick. Der Buchautor und Gold-Experte ist Herausgeber des „Deutschland-Briefs“ (erscheint in dem Magazin Eigentümlich frei).