© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/18 / 29. Juni 2018

Pankraz,
D. Dennett und die Suche nach der Seele

Wissenschaft oder poetische Imagination? Das fragen sich viele Studenten in Oxford, an der School of Economics in London oder an der École normale supérieure in Paris, wenn der ehrwürdige, weiß- und vollbätige Professor Daniel Dennett (76) aus Boston bei ihnen zu Gastvorlesungen auftaucht, um sie wortgewaltig und auf subtilste Weise von der Realexistenz einer menschlichen „Seele“ zu überzeugen. Daß sie einen realen Verstand und reale Gefühle haben – daran glauben sie alle spontan, davon muß man sie nicht erst überzeugen. Aber eine Seele? Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?

Doch Daniel Dennett, ein erkärter Atheist, hoch angesehen im Lager der aufgeklärten „Brights“ und von ihnen vielfach dekoriert, unter anderem mit dem berühmten holländischen Erasmuspreis, hat eine ganz eigene Theorie zur Entstehung einer „Seele“ entwickelt. Er lehrt, daß schon viele höhere Tiere ein im Gehirn verankertes „Selbstbewußtsein“ besitzen, das sich dann im Menschen zur „Seele“ fortentwickelt habe.

Voraussetzung dafür sei die Ausbildung einer „echten Sprache“ gewesen, die Dennett gleichsam für das „Kleid der Seele“ hält. Ohne Sprache keine Seele, konstatiert er ener-gisch, doch ohne Seele auch keine Sprache.

Pankraz meldet hier, bei allem Respekt, eine fundamentale Kritik an dem Denksystem von Daniel Dennett an. Wer, wie er, bei jeder sich bietenden Gelegenheit von „echter Sprache“ redet, also von Sprache mit allen ihren gewaltigen Ausdrucks- und Modulationsmöglichkeiten, der kann sie nicht – wie Dennett das tut – als bloßes Instrumentarium zur Bewältigung von irdischen Alltagsproblemen abtun.


Sie ist ja viel mehr als das! Sie eröffnet ein Dauerfragen nach dem „Sinn des Ganzen“, zur Physik tritt in ihr, wie schon Aristoteles wußte, die Überphysik, die „Metaphysik“, zum Selbstbewußtsein höherer Tiere und ihren lautlichen Äußerungen das Bewußtsein von Mitleid, Moral, überindividueller Verantwortlichkeit. Dennetts Begriff von „Seele“ schiebt alle diese Begriffsfelder, zu denen doch jederlei „echte Sprache“ förmlich drängt, einfach beiseite. Für seine „Seele“ ist sie ein viel zu großes Kleid, das das Wort umschlottert wie ein riesiges Badetuch.

Dennett ist erklärtermaßen Anhänger der sogenannten Quali-Theorie von Thomas Nagel & Co. Äußere Ereignisse, die sogenannten „Qualia“, darunter natürlich auch Neologismen und ganze Argumentationsketten, „quälen“ die Seele demnach, drücken sich gewaltsam in die Erinnerung ein und formen sie. Sie sind wie Nägel, die in die Haut stechen, sie schmerzen, können jedoch auch positive Folgen haben, formen das Leben. Einzig die metaphysischen Qualen sind reine Lügen und Illusionen; sie formen das Leben nicht, sondern verformen es nur. Man sollte sie, wünscht sich Dennett, möglichst ignorieren und abschaffen.

Freilich ist hier der Wunsch allenfalls der Stiefvater des Gedankens. Schon ein erster knapper Blick in die Kulturgeschichte genügt ja, um zu erkennen, daß gerade die metaphysischen Qualen stets den allermachtvollsten Einfluß auf die Vorstellungen und Taten der Menschen gehabt haben; die Strecke der Ereignisse reicht von schier endlosen, hochkomplizierten akademischen Diskussionen bis zu schier endlosen grausamen Kriegen und heimtückischen Massentötungen. Dabei ging es nie um bloße Verstandesleistungen oder beschädigte Gefühle, sondern stets um das Ganze, nämlich um das „Heil der Seelen“.

Im Ernstfall wurde nie lediglich der logische Verstand beleidigt oder das Gefühl verletzt, sondern die Seele insgesamt getroffen, welcher übrigens – soweit Pankraz zu wissen glaubt – in allen entwickelten Sprachen ein Sonderwort vorbehalten ist. Es meint in allen Sprachen das gleiche: das Geistige und mir Zugehörige. Meine Seele besteht also nicht nur aus einem (eher abtrakten) Selbstbewußtsein, sondern darüber hinaus aus einem Seins- und Schöpferbewußtsein insgesamt, als dessen Teil ich mich fühle und in dem ich geborgen und wirklich zu Hause bin.


Das deutsche Wort für „Seele“ stammt, wie alle übrigen einschlägigen Worte des indogermanischen Sprachraums, aus dem indogermanischen Urwort für „See“. Das chinesische Urwort bedeutete ursprünglich „Hauch“ und meinte das laue Wehen eines wohltätigen, lebensfreundlichen Windes. Die Japaner, wie auch andere Anhänger des Buddhismus, benutzen das Wort „Anatta“, was soviel wie schöpferisches Nichts bedeutet. Im alten Judentum, der hebräischen Bibel, gab es für Seele und Körper das gleiche Wort, „Körperseele“, aber auch hier hatte das Geistige ein deutlich vernehmbares Übergewicht.

Natürlich gab es auch bei den alten Griechen von Anfang an ein Wort für die Seele, „Psyche“, doch es stand, ähnlich wie bei den Chinesen, ursprünglich für Hauch, Lebenshauch. Nur über das Prä des Geistigen in diesem Lebenshauch wurde schon früh gestritten. Der erste Materialist erschien in Gestalt des „Atomikers“ Demokrit, welcher das Sein insgesamt als einen völlig geistfreien Tanz unzähliger winziger, anfaßbarer, aber unteilbarer Partikel hinstellte. Tanzmeister war der „Zufall“.

Demokrit und die Seinen haben sich allerdings nie im griechischen Geistesleben durchgesetzt. Dessen Linie lief vielmehr  über Sokrates zu Platon, für den „die Sorge um die Seele“ (epiméleia tes psyches) ein Leben lang oberstes Anliegen jeglichen Nachdenkens war und dessen Lehre von der „Idee“ als der zielführenden Vereinigung von Seele (= Wille und Vorsicht) und Sprache (= Abbild und  Vorgriff beziehungsweise Zugriff) gleichsam zur Leitwährung erfolgreichen abendländischen Denkens und Handelns geworden ist.

Der Seelenbegriff von Daniel Dennett ist dagegen ganz offensichtlich allzu eifrig an Demokrit und seiner Atomlehre ausgerichtet und muß deshalb letztlich, trotz aller aufgesetzten Wissenschaftlichkeit, ins Nichts führen. Die Studenten in Oxford und an der École normale supérieure haben recht: Professor Dennett liefert poetische Imaginationen statt realer, handhabbarer Wissenschaft.