© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/18 / 29. Juni 2018

„Todesstoß für die Meinungsfreiheit“
Urheberrecht: Der EU-Rechtsausschuß beschließt „Upload-Filter“ und ein Leistungsschutzrecht
Ronald Berthold

Einen Angriff auf das freie Internet und den Einsatz von „Zensurmaschinen“ werfen Kritiker dem EU-Parlament vor. Vergangene Woche hat dessen Rechtsausschuß die Einführung sogenannter Upload-Filter und ein europaweites Leistungsschutzrecht beschlossen. Urväter des World Wide Web, darunter der Gründer Tim Berners-Lee, sehen eine „Bedrohung für das Internet“. Netzpolitik.org spricht von „zwei toxischen Vorschlägen“ und der Berliner AfD-Medienexperte Ronald Gläser vom „Todesstoß für die Meinungsfreiheit“.

Von rechts bis links ist der Aufschrei groß über das, was die Parlamentarier auf Vorschlag des CDU-Abgeordneten Axel Voss als Reform des Urheberrechts mit 15 zu 10 Stimmen durchgewinkt haben. Demnach müßte jeder „Upload“ auf Internet-Plattformen wie Facebook gefiltert werden, um Urheberrechtsverletzungen auszuschließen. Experten sind sich einig: Die Vielfalt im Netz wird sinken. Hintergrund: Bislang haften nicht die Social-Media-Firmen für hochgeladene Inhalte, sondern die Nutzer. Das soll sich nun umkehren, so daß die Plattformen für illegale Inhalte ihrer User haften.

Kritiker und Netzaktivisten kündigen Protest an

Da Menschen sekündlich Hunderte Videos, Audios und Fotos hochladen, müssen Roboter die Arbeit übernehmen. Doch die automatisierten „Upload-Filter“ können nicht wissen, ob geschützte Inhalte rechtlich sauber genutzt werden – zum Beispiel als Zitat oder Satire. Die Unternehmen müssen jeden Beitrag vorab auf mögliche Urheberrechtsverstöße untersuchen und im Zweifel blockieren. Daß die Plattformen aus Sorge um horrende Strafen vorauseilend löschen oder blockieren, auch wenn kein Verstoß vorliegt, hat das vom damaligen Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) initiierte Netzwerkdurchsetzungsgesetz gezeigt. Die Kette staatlicher Beschränkungen des Netzes wird damit nach dem NetzDG und der europäischen Datenschutz-Grundverordnung immer länger. 

Sorge machen sich viele um die die Netzkultur prägenden „Memes“. Diese Sprüche auf Bildern, die sich über soziale Netzwerke verbreiten, könnten das erste Opfer werden. Denn das Urheberrecht der Fotos liegt fast nie beim Gestalter. In den USA sind die Collagen von der Meinungsfreiheit gedeckt. Dafür sorgt eine „Fair-Use-Doktrin“, die in der EU fehlt. Die Stiftung Wikimedia, die Wikipedia betreibt, fordert nun auf, dagegen aktiv zu werden. Auch der prominente deutsche YouTuber „LeFloid“ sieht die Meinungsfreiheit in Gefahr.

Das vom EU-Rechtsausschuß ebenfalls eingeführte Leistungsschutzrecht (LSR) könnte Blogs und journalistische Texte aus Suchmaschinen tilgen. Möglich ist sogar, daß Google seine Nachrichtensuchseite „Google News“ in ganz Europa schließt. Dies hat der Internetgigant bereits in Spanien getan. Das LSR, mit dem die Verlage ihre Texte schützen lassen wollten, sorgt in dem südeuropäischen Land für einen Geschäftseinbruch: 15 Prozent weniger Nutzer besuchen die Webseiten der Verlage. Die Folge: Es gibt weniger Anzeigen und damit weniger Einnahmen. Ein Schuß ins eigene Knie.

Durch das LSR möchten Verleger ein Recht an geschützten Inhalten erhalten und verwerten. In Deutschland, wo das Gesetz bereits seit fünf Jahren gilt, ist jedoch ein gegenteiliger Effekt eingetreten. Die Ausgaben für Rechtsstreitigkeiten sind deutlich höher als die Einnahmen durch Lizenzen. Obwohl die Verleger ihr eigentliches Anliegen konterkarierten und das Leistungsschutzrecht praktisch gescheitert ist, soll es nun EU-weit eingeführt werden.

Das bedeutet, Suchmaschinen dürfen nicht mehr ohne Erlaubnis Überschriften oder kurze Ausschnitte von Pressetexten in ihren Ergebnissen anzeigen. Deutsche Verleger haben dafür aus Angst vor Einnahmeverlusten eine Generalerlaubnis erteilt. Gegner des Leistungsschutzrechts sehen den freien Informationsfluß im Netz eingeschränkt. Die EU-Abgeordnete Julia Reda, die für die Piraten gewählt wurde und nun in der Grünen-Fraktion sitzt, meint, auch Privatpersonen dürften keine Zeitungsartikel mehr posten. Sie spricht von einer „Linksteuer“, Blogger von „Leistungsschutzgeld“. Und der Hauptgeschäftsführer des Digitalverbands Bitkom, Bernhard Rohleder, kritisiert: „Das EU-Parlament ignoriert die schlechten Erfahrungen aus Deutschland und Spanien mit solch einem Recht.“

Nach dem Rechtsausschuß wird das EU-Parlament wahrscheinlich Anfang Juli über den Vorschlag abstimmen. Meist orientieren sich die Abgeordneten an der Entscheidung des Fachausschusses. Theoretisch sind jedoch Änderungen möglich. Danach müssen Parlament, EU-Staaten und Kommission die endgültige Fassung verhandeln. Kritiker, Bürgerinitiativen und Netzaktivisten haben Protest bis dahin angekündigt, um die Öffentlichkeit verstärkt auf die umstrittene Reform aufmerksam zu machen und um Gegenstimmen zu mobilisieren.